Häufig sorgt das stundenlange Schreien von Babys, kombiniert mit Schlafmangel und anderem Stress, für Überforderung. Das kann so weit gehen, dass Babys in Ausnahmesituationen geschüttelt werden, um für Ruhe zu sorgen. Die lebensgefährlichen Folgen sind entweder nicht bekannt oder werden in diesen Momenten ausgeblendet. Ein breites Angebot der Wiener Spitäler will dem entgegenwirken.

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Nachdem in Wien am Samstag ein zehn Wochen altes Baby gestorben ist – der Vater gab gegenüber der Polizei zu, das Kind geschüttelt zu haben, er und die Mutter, die bei der Misshandlung anwesend war, sitzen in Untersuchungshaft –, rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie solche Fälle verhindert werden können. Denn der tragische Todesfall ist leider kein Einzelfall. Wie viele Babys in Österreich jedes Jahr durch Schütteln entweder schwere Schäden erleiden oder sterben, ist aber unklar. In Deutschland geht man von 100 bis 200 Fällen im Jahr aus, die Dunkelziffer dürfte noch höher sein, meinen Ärzte.

Eine gefährliche Kombination

Präventionsarbeit beginnt mitunter schon in der Schwangerschaft, wenn die behandelnden Ärzte bzw. das Spital das Jugendamt bei auffälligen Situationen oder bei schwierigen Verhältnissen informieren. Im Wiener St.-Josef-Krankenhaus erhalten alle Eltern nach der Geburt des Kindes zudem einen Informationsfolder. "Bitte nicht schütteln!", steht da in großen Lettern auf der Titelseite, das Bild eines weinenden Babys darüber.

Das ist kein Zufall, denn meistens sind es die Momente der Überforderung, in denen Babys geschüttelt werden – Schlafmangel, ein schreiendes Baby, Stress können eine gefährliche Kombination sein. Aber: "Ganz egal, wie oft und wie lange Ihr Kind schreit: Verlieren Sie nicht die Beherrschung und schütteln Sie niemals Ihr Kind! Mit dem Schütteln riskieren Sie eine bleibende Behinderung, unter Umständen sogar den Tod Ihres Babys", wird im Folder gewarnt. Den jungen Eltern wird außerdem versichert, dass es keine Schande ist, sich überfordert zu fühlen. Gezeigt wird, an welche Stellen man sich wenden kann. Für die konkrete Situation wird geraten, das Kind in sein Bettchen oder auf eine Decke am Boden zu legen, den Raum selbst zu verlassen, durchzuatmen und alle paar Minuten nach dem Kind zu schauen. Wenn nötig, solle man sich Unterstützung holen.

Spezialambulanzen für Krisensituationen

Informationsfolder für die erste Zeit mit Baby daheim gibt man auch in den Spitälern des Wiener Gesundheitsverbundes (Wigev) aus – in mehreren Sprachen. Auch hier wird darauf hingewiesen, dass das Schütteln von Babys schwerwiegende Folgen bis zum Tod haben kann.

Auch abgesehen davon biete der Wigev "ein umfangreiches Behandlungsangebot für Eltern und Babys in besonderen Situationen", wie ein Sprecher zum STANDARD sagt. Ein Beispiel ist die Schreiambulanz der Klinik Ottakring. Hier bekommen Eltern konkrete Tipps, die "Schreikindern" helfen, sich besser zu regulieren – also weniger zu schreien. In Akutfällen ist auch eine stationäre Aufnahme möglich, damit Eltern sofortige Entlastung haben.

Stationärer Aufenthalt bei schwierigen Verhältnissen

In der Klinik gibt es außerdem eine Spezialambulanz für peripartale Psychiatrie: Hier werden Mütter und Väter in psychischen Krisen von der Schwangerschaft bis zum ersten Lebensjahr des Kindes unterstützt. Mindestens zehn Prozent aller Mütter leiden in der Schwangerschaft oder nach der Geburt an Depressionen und Ängsten, heißt es vom Wigev dazu.

Auch in der Klinik Favoriten gibt es spezielle Angebote. Wird im Laufe des Aufenthalts der Mutter mit ihrem Neugeborenen seitens der Ärztinnen beziehungsweise Ärzte oder des Pflegepersonals festgestellt, dass es ein Problem oder eine Überlastung geben könnte, wird die Kliniksozialarbeiterin darauf aufmerksam gemacht. "Zur genaueren Feststellung einer möglichen Überforderung sehen sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Baby-Care-Ambulanz an, wie Mutter und Vater mit dem Kind zurechtkommen. Wenn dabei alles gutgeht, werden nach der Entlassung Fixtermine zur weiteren Betreuung angeboten. Andernfalls kann der stationäre Aufenthalt verlängert werden", sagt der Wigev-Sprecher zum Ablauf.

Hebammen sowie Ärzte und Ärztinnen sensibilisiert

Im St.-Josef-Krankenhaus sei hingegen eine Gewaltschutzgruppe institutionalisiert worden, die sich unter anderem auch mit dem Thema Kinderschutz beschäftigt, sagt eine Sprecherin. "Wir arbeiten eng mit der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt zusammen und bieten bei Bedarf direkt im Haus sozialarbeiterische Unterstützung an."

Grundsätzlich seien auch die Hebammen und Gynäkologinnen und Gynäkologen sehr für dieses Thema sensibilisiert. Falle bereits während der Schwangerschaft auf, dass eine Familie soziale Unterstützung braucht, werde frühzeitig Kontakt mit dem Jugendamt aufgenommen. "Während der Zeit im Wochenbett beobachten wir ebenfalls die Mutter-Kind-Interaktion und bieten auch hier im Bedarfsfall aktiv Unterstützung an – bis hin zur Vorsichtsmeldung beim Jugendamt, wenn wir das Gefühl haben, dass eine Gefährdung vorliegt." Das komme allerdings "nur ganz selten" vor.

Welche Folgen das Schütteln haben kann

Werden Babys heftig geschüttelt – oder erleiden sie durch Schläge oder einen Sturz innere Kopfverletzungen –, ist es notwendig, sofort medizinische Hilfe aufzusuchen und das Schütteln, Schlagen oder den Sturz auch nicht zu verschweigen. Denn für die medizinische Versorgung sind diese Informationen essenziell, von außen sind bei Schütteltraumata häufig keine Spuren von Gewalteinwirkung sichtbar.

Babys reagieren auf das Schütteln häufig damit, dass sie apathisch beziehungsweise schlapp wirken, das Essen beziehungsweise Trinken verweigern oder erbrechen, auch Atemaussetzer können eine Reaktion sein. Erst seit den 1970ern ist bekannt, dass heftiges Schütteln für Babys schwerwiegende bis tödliche Folgen haben kann. Bis dahin blieben Misshandlungen oft unentdeckt oder wurden fälschlicherweise als plötzlicher Kindstod diagnostiziert. Laut einer deutschen Untersuchung aus dem Jahr 2008 endet das Schütteln in 20 Prozent tödlich, 65 Prozent überleben mit lebenslangen Hirnschäden. Lediglich 15 Prozent leben gesund weiter.

"Ich war überfordert"

Dieses Glück hatte ein fünf Monate altes Baby 2017 in Salzburg. Der Vater hatte es geschüttelt. Vor Gericht gab er an, aus Angst gehandelt zu haben, weil das Kind blau angelaufen sei und geröchelt habe. Sein Mandant habe im Geburtsvorbereitungskurs zwar einmal gehört, Babys keinesfalls zu schütteln, daran aber beim Vorfall nicht gedacht, sagte der Verteidiger damals. Das Baby musste fast vier Wochen im Spital bleiben – der Mann wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung zu drei Monaten bedingter Haft verurteilt.

Tödliche Folgen hatte das Schütteln in Niederösterreich ein Jahr später: Ein drei Monate alter Bub starb, der 19-jährige Vater wurde 2019 wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zu sechs Jahren unbedingter Haft verurteilt. Ein Jahr zuvor – ebenfalls in Niederösterreich – lautete das Urteil für einen geständigen Vater: fünfzehn Jahre Haft wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang. Zu der Tat sagte der Mann vor Gericht: "Ich wollte einfach meine Ruhe haben. Ich war überfordert." (Lara Hagen, 14.6.2021)