Schulter an Schulter die Ära Benjamin Netanjahu beenden: Das war das Ziel, das sich die acht Koalitionspartner der neuen Regierung in Israel gesetzt hatten. Das Ziel ist erreicht, Netanjahu musste weichen. Und jetzt?

Eine Einheitsregierung nennt es der neue Premier Naftali Bennett. Das ist Wunschdenken. Die acht Partner liegen in ihren Zielsetzungen so weit auseinander, dass selbst die Willensbildung zu einer gemeinsamen Koalition nur mit äußerster Mühe und in letzter Minute gelang. Und da ging es erst darum, wer welchen Posten erhält und auf welchen Passus im Koalitionspakt besteht. Ein solcher Vertrag ist aber immer noch vage genug, um die eigene Parteibasis mit einem "Papier ist geduldig, wir werden schon sehen" zu besänftigen. Wenn es aber ernst wird, wenn erst die Milliarden verteilt und die Grundstücke gewidmet werden, dann beginnt der Streit.

Nach zwölf Jahren unter von Benjamin Netanjahu geführten Regierungen ist die israelische Gesellschaft zerklüftet.
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Dann wird es ernst. Die neue Opposition wird dafür sorgen, dass das bald passiert. Das oppositionelle Lager besteht aus Netanjahus Likud-Partei, den ultraorthodoxen Fraktionen, den rechtsextremen Zionisten und der arabischen Vereinigten Liste. Ihre gemeinsame Stimmkraft im Parlament ist fast so groß wie die der Regierung. Sie verfügen über Abgeordnete mit langer Erfahrung im Politikgeschäft. Sie sind außerparlamentarisch gut vernetzt, haben Zugriff auf Medienkanäle und Finanznachschub. Vor allem aber kennen sie die Schwachstellen der neuen Regierung – und sie werden sie zu nutzen wissen.

Fallen

Netanjahu und seine Verbündeten werden im Parlament regelmäßig Fallen stellen. Ein Antrag, um eine illegale jüdische Siedlung im Westjordanland zu legalisieren, dann noch einer, um ein rechtswidrig gebautes Beduinendorf zu räumen: Das sind genau die Fragen, an denen sich die Koalition gerne vorbeischwindeln würde. Die Opposition wird sicherstellen, dass ihr das nicht gelingt. Die Bruchlinien werden sichtbar werden: Was für die rechten Parteien in der Koalition wünschenswert und für die Mitte-links-Parteien gerade noch akzeptabel ist, gilt in der islamistischen Ra’am-Liste als rotes Tuch.

Das zeigte sich schon am Tag der Vereidigung. Wenige Stunden zuvor kündigte ein Ra’am-Abgeordneter an, nicht für die Koalition zu stimmen. Polizeieinheiten waren zuvor in seiner Beduinensiedlung im Negev aufgetaucht, drohten mit der Räumung. Er könne es nicht vertreten, eine Regierung zu unterstützen, wenn zugleich Bulldozer in seinem Dorf auffahren, sagte er. Am Ende stimmte er nicht gegen die Regierung, er enthielt sich nur. Die Koalition wurde mit knapper Mehrheit angenommen. Aber es wurde klar, wie brüchig sie ist.

Noch hält die Parteien in der Regierung zusammen, dass keine von ihnen Neuwahlen riskieren kann. Alle haben viel zu verlieren, müssen sich in den neuen Ämtern erst beweisen. Zugleich stehen aber alle Beteiligten unter genauer Beobachtung ihrer Wähler, die wissen wollen, ob sich ihre Vertreter in der Regierung über den Tisch ziehen lassen.

Nach zwölf Jahren unter von Benjamin Netanjahu geführten Regierungen ist die israelische Gesellschaft so zerklüftet und das Vertrauen in die Politik so gering wie nie zuvor. Da ist es ein hehres Ziel, Gräben zu überwinden und das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. Wer aber meint, dass dieser Wunsch nach Einigkeit Interessengegensätze verblassen lässt, wird bald eines Besseren belehrt werden. (Maria Sterkl, 14.6.2021)