Erli Grünzweil fotografierte die Diplomkollektion von Larissa Falk, Absolventin der Modeklasse der Universität für angewandte Kunst. Auf dem Foto trägt Model Isabel Eberhardt einen mit Kunsthaaren benähten Mantel.

Foto: Erli Grünzweil

Stark und präsent dürfte die Trägerin sich in ihrem Mantel mit den verstärkten Schultern fühlen, so die Designerin.

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Am Anfang war der Gasthof. Eröffnet hatte ihn die Ururoma, weitergeführt wurde er von den Eltern. "Ich war Teil dieses Gasthauses", erzählt Larissa Falk. Los ließ sie der Mikrokosmos in dem kleinen Ort nahe Hartberg nie, auch nicht, als sie mit 14 die Modeschule in Graz besuchte, fürs Studium nach Wien ging und später für ein Jahr nach New York zog.

Je größer der Abstand wurde, desto genauer schaute die Modestudentin allerdings hin. Die Rollenverteilungen im Gasthausalltag, sie waren klar: Die meist männlichen Gäste wurden von Frauen bedient. Befanden sie sich während der Arbeit nicht auch auf dem Präsentierteller?

Die organischen Muster in Larissa Falks grünem Strick-Look wurden aus Brustabdrücken entwickelt.
Foto: Erli Grünzweil

Falk setzte sich mit dem eigenen Unwohlsein im Gasthaus auseinander und begann, sich weitergehende Fragen zu stellen. Erst in einer theoretischen Arbeit, die von Grace Wales Bonner, der neuen Modeprofessorin an der Universität für angewandte Kunst, eingeführt wurde, dann im Rahmen ihrer Diplomkollektion Alienation, übersetzt "Entfremdung".

Warum muss der weibliche Körper eigentlich ständig als Fetischobjekt herhalten? Wieso werden in der Mode vor allem Brust, Po und weibliche Kurven inszeniert? Und ginge es auch anders? Ja, meint die 28-Jährige.

Ins Groteske überzeichnet

Larissa Falks Entwürfe für Alienation sind die Fortsetzung ihrer letztjährigen Kollektion Metamorphosis, die sie Oma, Mutter, Tante widmete. Auf ihrem Instagram-Account sieht man die weiblichen Familienmitglieder vor und in jenem Gasthaus in Blusen, Blazern und Jacken posieren.

Ins Groteske überzeichnet: die Oberweite des Shirts. Die Hose ist über dem Knie verformt.
Foto: Erli Grünzweil

Die Abschlusskollektion setzt dort an: Falk spielt diesmal mit Störelementen, verzerrt die Proportionen. Auf einen Mantel hat die Studentin mit einem Nylonfaden überlange schwarze Kunsthaare genäht, ein glänzendes Oberteil wird mit einer ins Groteske überzeichneten Oberweite versehen, eine Hose aus Fake-Leder ist über den Knien verformt, während des RONDO-Shootings sorgen so einige Stücke für ein Schmunzeln.

Persönliche Angelegenheit

Gleichzeitig ist Falks Kollektion eine sehr persönliche, ernsthafte Angelegenheit geworden. Die Muster ihrer selbstentwickelten Strickstücke beruhen auf dem Abdruck ihrer Brust, auf einer transparenten Bluse prangt in Brusthöhe ein roter Abdruck ihres Körpers.

"Ich wollte visualisieren, dass ich mich oft als Frau zur Schau gestellt fühle", erklärt die Diplomandin, die auch unter Hussein Chalayan sowie Luke und Lucie Meier, dem Designerduo von Jil Sander, studiert hat.

Ob sie die Stücke auf der Straße sieht? "Meine Herangehensweise an die Kollektion mag eine künstlerische sein, tragbar sind die Kleidungsstücke trotzdem", meint Falk und hat gleich einen Styling-Vorschlag parat: "Unter die transparente Bluse lässt sich auch ein Tanktop anziehen."

Dass sie sich als Frau oft zur Schau gestellt fühlt, möchte Larissa Falk mit dem Abdruck ihres Körpers auf einer transparenten Bluse verdeutlichen.
Foto: Erli Grünzweil

Sicher ist sicher

Die Abschlusskollektion hat die 28-Jährige in kürzester Zeit fertiggestellt, erst zu Beginn des Jahres legte die Studentin los, oft wird bis zu ein Jahr am Diplom gearbeitet. Auch während des RONDO-Shootings hat Larissa Falk die Dinge gern im Griff. Sie hilft beim Herumschieben der Kulissen, vor jedem Outfitwechsel schaut sie sich die Bilder des Fotografen an – sicher ist sicher.

Hat sie Vorbilder? Nicht direkt, meint die Steirerin. Sie fände die Arbeiten verschiedenster Designer spannend. "Rei Kawakubo war für meine Recherche und die Diplomkollektion wichtig. Sie hat in ihrer Mode mit Verformungen gearbeitet, die konventionelle Darstellung des weiblichen Körpers infrage gestellt."

Während sie über die japanische Modedesignerin redet, klingt Larissa Falk dann doch recht begeistert. So wie sie wenige Minuten später von ihrem Auslandsjahr in New York berichtet. Eine Affinität zu den USA habe sie schon immer gehabt, in der amerikanischen Metropole habe sie sich frei gefühlt: "Die Stadt hat mich in meiner Arbeit sehr verändert."

Die 28-jährige Steirerin Larissa Falk hat ein Jahr lang in New York gelebt. Wohin es nach dem Studium geht, weiß sie noch nicht.
Foto: Erli Grünzweil

Ein Jahr war sie dort, machte Praktika beim Label Vaquera und der deutschen Designerin Melitta Baumeister. Theoretisch könne sie zu der Marke zurückkehren. Ob sie das tun wird, weiß Larissa Falk noch nicht so recht, die französische Modehauptstadt fände sie auch interessant: "Die Showrooms sind alle in Paris, zum Glück ist die Stadt nicht so weit weg."

Entschleunigung der Branche

Ein wenig Zeit bleibt Larissa Falk aber noch. Ende Juni werden die Diplomkollektionen der Modeklasse präsentiert: Dann wird Grace Wales Bonner, die Modeprofessorin aus London, ihre Arbeit vielleicht in Wien und nicht nur über Zoom bewerten. Die Pandemie hat die Lehre auch für die Studenten und Studentinnen der Modeklasse verändert.

Während dieser Zeit wurde viel über eine Entschleunigung der Branche diskutiert. "Offenbar wurde davon schon wieder viel vergessen. Ich hoffe, dass die großen Marken in Zukunft nicht weiterhin an sechs bis acht Kollektionen im Jahr festhalten", meint Falk.

Die Absolventin weiß, was Stress bedeutet. Einen Tag nach dem RONDO-Shooting produziert sie ein Lookbook mit den weiblichen Mitgliedern ihrer Familie.

Oma, Mutter und Tante kamen nach Wien, zogen ihre Diplomkollektion über und traten den Beweis an, dass Falks Mode auch generationenübergreifend funktioniert. "Alle haben sich wohl- und verändert gefühlt", erzählt Larissa Falk. Ein größeres Kompliment kann man einer Modekollektion kaum machen. (Anne Feldkamp, RONDO, 18.6.2021)

Drei Kilo Mohair wurden für den hellen, langen Strickmantel verarbeitet.
Foto: Erli Grünzweil