Wie die Ranke einer Fantasiepflanze mäandert ein blassviolettes Band organisch über Wangen und Stirnpartie. Über den Augenbrauen schwingen mintgrüne flossenartige Gebilde jeder Bewegung des Kopfes nach. Das gesamte Gesicht schimmert metallisch.

So oder so ähnlich sieht das Make-up der Zukunft aus – zumindest wenn es nach Ines Alpha geht. Es handelt sich dabei aber nicht um Bodypainting. Die 36-jährige Französin kreiert digitale Animationen, die das eigene Gesicht durch die Kamera des Smartphones oder Computers mit kunstvollen Verzierungen schmücken. 3D-Make-up nennt sie ihre Face-Filter.

Der oben beschriebene entstand für die diesjährige Ausgabe von Impulstanz in Wien. Es war ihre erste Zusammenarbeit mit einem Tanzfestival. Vor kurzem hat sie auch für den Make-up-Artist-Wettbewerb "Glow Up" auf Netflix einen Filter gestaltet. Ansonsten beauftragen sie große Marken wie Dior oder Jean Paul Gaultier. Es läuft gut für die junge Künstlerin.

Realitätserweiterung

Ihren ersten großen Kunden zog sie 2019 an Land: Nike. Davor hatte sich Ines Alpha eine Deadline gesetzt: Wenn sie nach einem Jahr kein Geld mit 3D-Make-up verdiente, würde sie in ihren alten Job zurückkehren. Dazu kam es aber nie.

Vor ihrem internationalen Erfolg als 3D-Make-up-Artist hatte Ines Alpha sieben Jahre lang in einer Werbeagentur gearbeitet, vorrangig Kunden aus dem Beautybereich betreut. Von ihrem Job wenig erfüllt, beschäftigte sie sich in ihrer Freizeit mit 3D-Design. Als sie ein solches Element auf ein klassisches Beauty-Werbesujet platzierte, entstand 2016 die Idee zum 3D-Make-up.

"Anfangs war das noch statisch. Ich wollte aber, dass man meine Kreationen live erleben kann", erzählt Ines Alpha, die sich daraufhin mit Augmented Reality auseinandersetzte, um ihre Designs dynamischer gestalten zu können. Dabei wird die Wirklichkeit im Blick durch die Kamera um digitale Elemente erweitert.

Ihre ersten 3D-Make-up-Visuals kreierte Ines Alpha 2016. Mittlerweile sind ihre Filter international gefragt.
Foto: privat

Als Snapchat und Facebook entsprechende Funktionen implementierten, tüftelte Ines Alpha an ihren Designs, damit sie für die Social-Media-Plattformen kompatibel werden. Wie ihre Kreationen am eigenen Gesicht aussehen, findet man auf Ines Alphas Snapchat-Account heraus.

Wer sich "Snap Camera" herunterlädt, kann die 3D-Make-ups sogar bei der nächsten Videokonferenz über Zoom, Skype oder Teams tragen. Einfach statt der Kamera des Computers die Snap Camera auswählen und Filter anwenden. Schon sehen die anderen Teilnehmer die digitalen Verzierungen. Auch auf Ines Alphas Instagram-Account lassen sich einige ihrer 3D-Make-ups ausprobieren. Dazu einfach auf das Icon mit den drei Sternchen klicken und Filter auswählen.

Digitale Schmuckstücke

Ihr 3D-Make-up hat aber nichts mit den vielen anderen Beauty-Filtern zu tun, die mittlerweile angeboten werden und auf derselben Technologie beruhen. Sie werden meist als digitales Make-up bezeichnet. Diese Augmented-Reality-Elemente umfassen Eyeliner, Wimperntusche, Rouge oder Highlighter. Sie glätten die Haut, schmälern die Nase.

"Ich grenze mich bewusst davon ab", erklärt Ines Alpha. "Wenn man diese Beauty-Filter täglich verwendet und dadurch gezeigt bekommt, wie man aussehen könnte, fühlt man sich womöglich irgendwann hässlich. Dabei ist die digital kreierte Perfektion gar nicht erreichbar."

Mit dem 3D-Make-up von Ines Alpha können auch jene Gäste Teil von Impulstanz sein, die nicht zum Tanzfestival nach Wien reisen können.
Foto: Ulrich Zinell

Ihre eigenen Filter hingegen seien vielmehr Schmuckstücke, die das Gesicht in Szene setzen, anstatt vermeintliche Makel zu retuschieren. "Natürlich fühlt man sich wohler, wenn man sich schön fühlt, aber man sollte sich auch abseits der gängigen Ideale schön fühlen können", so die Künstlerin. Es brauche ein diverseres Verständnis von Schönheit. Mit ihrem 3D-Make-up wolle sie dazu beitragen.

Schöne Aussichten

Ob die Menschen sich mit künstlerischen Kreationen schmücken oder sich doch per Beauty-Filter dem Schönheitsdiktat des Mainstreams unterwerfen werden, bleibt offen. Augmented Reality wird laut Ines Alpha in Zukunft aber auf jeden Fall an Relevanz gewinnen. "Wir werden spezielle Brillen oder Kontaktlinsen tragen. Damit können wir Filter auch im Alltag anwenden und sehen."

Aber bis es so weit ist, trägt die Digitalkünstlerin auch "analoges" Make-up? "Ja klar!", sagt sie. "Ich liebe die Farben, Texturen, den Glitzer, einfach alles. Damit kann Augmented Reality noch nicht mithalten. Warum sollte ich also eine schlechte Version des Originals kreieren? Da konzentriere ich mich lieber auf Dinge, die es in der realen Welt nicht gibt." (Michael Steingruber, RONDO, 8.7.2021)