Die Ladenöffnung polarisiert und treibt eine tiefe Kluft in den Handel.

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Wien – Ernst Fischer hält seine beiden Modegeschäfte in Velden jeden Sonn- und Feiertag offen. Bummvoll mit Kunden seien diese, auch an Personal, das gern am Tage des Herrn arbeitet, fehle es ihm nicht, sagt der Unternehmer. "Warum soll ich zusperren, wenn die Leute am Wochenende durch Velden bummeln?" Zumal seine Branche mit der Gastronomie und Hotellerie Hand in Hand gehe. In der Wiener Innenstadt betreibt Fischer zwei Filialen. "Hier zählen wir zu den armen Hunden, die nur an sechs Tagen die Woche verkaufen dürfen. Ich verstehe nicht, warum sich da keiner drübertraut."

Bald 15 Jahre ist es her, dass Fischer in Wien gemeinsam mit zwei anderen Händlern gegen die Ladenöffnung rebellierte. Das Trio öffnete ihre Türen an Adventsonntagen und büßte dafür mit in Summe gut 60.000 Euro Strafe. "Wir wurden brutal niedergeknüppelt."

Stellungskrieg

Seither kochen rund um den in weiten Teilen des Landes verbotenen Einkauf am Sonntag regelmäßig die Emotionen hoch. Moralische und wirtschaftliche Keulen werden geschwungen. Marktforscher fächeln den Interessenvertretern für ihren Stellungskrieg mit widersprüchlichen Studien Luft zu.

Allein, an den gesetzlichen Rahmenbedingungen hat sich nichts geändert. Erst jüngst holte sich WKO-Präsident Harald Mahrer für seinen Appell für einige offene Adventsonntage zwischen den Lockdowns eine herbe Abfuhr – auch aus den eigenen politischen Reihen. Zu sehr polarisiert der Sonntag, als dass sich zumindest die Wirtschaftsvertreter auf eine gemeinsame Linie einigen könnten.

Freiwilliger Pilotversuch

Nun kommt, wie DER STANDARD erfuhr, erneut Bewegung in die Debatte, diesmal aus dem Lager der Neos. Sie bringen am Mittwoch im Nationalrat einen Antrag auf flexible Öffnungszeiten auf freiwilliger Basis ein. Dieser soll die Händler dazu ermächtigen, selbst über ihren Ladenschluss unter der Woche und die Arbeit am Sonntag zu entscheiden. Der Pilotversuch soll bis Jahresende befristet sein. Danach gehöre evaluiert, ob der Einkaufssonntag hierzulande Zukunft hat. "Der Onlinehandel hielt nie zu. Das kleine Büchergeschäft hatte heuer monatelang geschlossen. Fair ist das nicht", sagt Sepp Schellhorn. Der Wirtschaftssprecher der Neos verwehrt sich dagegen, dass der Staat Unternehmern vorschreibt, wann sie ihre Geschäfte aufsperren dürfen und wann nicht. "Erkennen die Sozialpartner jetzt nicht die Zeichen der Zeit, hat das System versagt."

Sepp Schellhorn: "Die ÖVP muss endlich alte Familienmuster aufbrechen."
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Schellhorn räumt ein, dass Betreuungsmöglichkeiten für Kinder für alleinerziehende Angestellte am Wochenende und über die regulären Öffnungszeiten hinaus fehlen. Dafür sei die Politik verantwortlich, es gehöre noch an vielen Schrauben gedreht. "Die ÖVP muss endlich alte Familienmuster aufbrechen und ein modernes Arbeiten ermöglichen." Österreich könne es sich angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nicht mehr leisten, das strengste Land in Europa bei den Öffnungszeiten zu sein. Länder wie Frankreich, Italien und Spanien zeigten zudem vor, dass damit keine niedrigeren Sozialstandards verbunden seien, ist sich der Hotelier sicher.

Sozialpartner am Zug

Harter Widerspruch ist ihm gewiss. Ohne Sozialpartner ist das Ringen um mehr Liberalisierung nicht zu gewinnen. Vor allem aber redet Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ein gewichtiges Wort mit. In acht Bundesländern wird sonntägliches Shoppen weitgehend konfliktfrei über eine Tourismuszone geregelt. An Wien hingegen prallen entsprechende Vorstöße seit Jahren nahezu spurlos ab.

Kritiker einer längeren Ladenöffnung führen schlechtere Arbeitsbedingungen für hunderttausende Handelsangestellte ebenso ins Treffen wie Wettbewerbsverzerrung zugunsten großer Konzerne, für die teure Zuschläge leichter zu stemmen wären. Arbeitet der Handel quasi rund um die Uhr, bringt das auch Lieferketten dahinter unter Zugzwang.

Mit der vielzitierten Freiwilligkeit ist es aus Sicht der Chefin der Gewerkschaft GPA, Barbara Teiber, nicht weit her. "Es geht hier um die Freiheit der Stärkeren." Viele Beschäftigten im Handel hätten bei der Erstellung der Einsatzpläne schon jetzt wenig mitzureden. Ihre Dienstzeiten änderten sich laufend, Geschäfte würden personell immer knapper besetzt. Der Sonntag sei der einzige Tag, an dem sich Privatleben noch planen ließe.

Verlust an Lebensqualität?

Doppelte Gehälter und Zeitausgleich wiegen den Verlust an Lebensqualität nicht auf, ist Teiber überzeugt. Sie bezweifelt aber auch, dass die Neos bei ihrem Vormarsch die Mehrheit der Händler auf ihrer Seite haben. Der Rahmen an möglichen Öffnungszeiten werde schon bisher nicht ausgeschöpft, und viele Betriebe hielten auch Samstagnachmittag geschlossen.

Dass längeres Einkaufen den boomenden Onlinehandel in Schach hält, glaubt sie nicht. Um Internetgiganten Paroli zu bieten, brauche es vielmehr faire Besteuerung.

Rainer Trefelik, Handelsobmann der Wirtschaftskammer, fordert emotionsfreie Debatten. Corona habe die Branche verändert, der Sonntag sei für Webkonzerne der wichtigste Einkaufstag. "Wir müssen weg von Stereotypen und uns in Ruhe ansehen, wohin die Reise geht." Sinn mache längeres Offenhalten freilich nur, wenn der Großteil der Geschäfte mitziehe. "Kunden wollen klare Botschaften."

Viele Baustellen

Handelsverbandschef Rainer Will betont den Wert der Freiwilligkeit. Diese müsse auch für Einkaufscenter und Vermieter gelten, die Händler nicht zu längerem Verkauf verpflichten dürften. Zudem gehöre der "Dschungel an Bürokratie" rund um das Zuschlagswesen gelichtet. Der erste Schritt ist für ihn eine Wiener Tourismuszone: Zu sehr stehe die Bundeshauptstadt im Wettbewerb mit anderen Metropolen. Generell hält er die Abschaffung der Mietvertragsgebühr für ein noch effizienteres Mittel, um den Handel zu stärken.

Fischer sieht den aktuellen Zeitpunkt jedenfalls für ideal an, um Unternehmern mit Einkaufssonntagen "eine Karotte vor die Nase zu halten". "Es ist doch klüger, selbst Geld zu verdienen, als uns vom Staat weiterhin durchfüttern zu lassen." Das Argument, dass Betriebe abseits der großen Touristenströme das Nachsehen hätten, lässt er nicht gelten. "Dafür zahlen wir im in guten Lagen das Fünffache an Miete." Würde er es wagen, erneut gegen die Ladenöffnung zu rebellieren? "Ich würde es wohl intelligenter angehen. Aber ja, ich würde es wieder riskieren." (Verena Kainrath, 15.6.2021)