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Israelis feierten bereits am Wochenende die neue Regierung in Israel, die die Amtszeit von Langzeitpremier Benjamin Netanjahu vorerst beendet. Doch der Koalition steht nicht nur ein möglicher Streitpunkt im Weg.

Foto: Reuters / Corinna Kern

Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 60 zu 59 Stimmen wurde Israels neue Regierung am Sonntag im Parlament vereidigt. Es ist nach zwölf Jahren das erste Mal, dass Benjamin Netanjahu ihr nicht angehört. Das ist nicht die erste Neuerung. Ein Chef einer Kleinstpartei stellt den Premierminister. Eine israelisch-arabische Partei ist Teil der Koalition. Und Linksfraktionen teilen sich die Geschäfte mit stramm rechten Parteien.

Nicht in der Regierung vertreten sind neben Netanjahus stimmenstarker Likud-Partei auch die ultraorthodoxen Fraktionen. Anderen beim Regieren zuzuschauen ist keine Rolle, die sie gut kennen, und noch weniger eine, die sie schätzen. Und bevor die Regierung vereidigt war, kündigte Netanjahu schon an, sie bald wieder zu Fall zu bringen. Er weiß die Ultraorthodoxen hinter sich.

Die nötigen Sollbruchstellen gibt es schon. Die erste Hürde wird das neue Budget. Das klingt nach Routine-Regierungsarbeit, wird aber auch deshalb zur besonderen Herausforderung, weil Netanjahus Kabinett es zwei Jahre lang verabsäumt hat, einen Finanzplan vorzulegen. Israel manövrierte sich ohne Budget durch Corona-Krise, Impfprogramm, Rekordarbeitslosigkeit und Hamas-Raketenbeschuss, wurstelte sich mit fortgeschriebenen Budgets durch. Dass Netanjahu sich beharrlich weigerte, einen Haushaltsentwurf vorzulegen, war der Grund, warum die letzte Regierung in die Brüche ging.

Differenzen beim Budget

Nun hat es Netanjahu darauf angelegt, dass ständig neu gewählt wird und er als Übergangspremier im Amt bleibt. Bennett hingegen will Neuwahlen vermeiden.

Das Ringen um ein Budget, dem alle acht Partner zustimmen müssen, wird zum Drahtseilakt. Der neue Finanzminister Avigdor Liberman ist ein deklarierter Gegner von Religionsprivilegien. Er würde bei Zuschüssen für Ultraorthodoxe sparen, das ist aber wohl für Bennetts Jamina-Partei inakzeptabel. Bennett wiederum hat ein großes Herz für einen möglichst freien Markt – und stößt damit bei den Linksfraktionen auf Widerstand. Die islamistische Ra’am-Partei verlangt mehrstellige Millionenbeträge für arabisch bewohnte Städte. Das wurde ihr in Koalitionsverhandlungen auch zugesagt. Was aber passiert, wenn die nationalreligiösen Kräfte in der Regierung sehen, dass diese Geldflüsse zulasten jüdischer Siedlungen gehen, bleibt abzuwarten.

Jubelstimmung in Israel am Wochenende
DER STANDARD

Gemeinsames im Vordergrund

Die wirklich großen Fragen, etwa Gespräche mit den Palästinensern über eine dauerhafte Lösung, will die Regierung nicht angehen. Alle Seiten betonen, dass es jetzt darum gehe, "das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen". Das hat Israel nach zwölf Jahren Netanjahu auch bitter nötig. Der Rechtspopulist teilte das Land in Gut und Böse. Zu Letzterem gehörte in seiner Darstellung alles, was unabhängig und damit unkontrollierbar ist: Justiz, Wissenschaft, freie Medien. "Es wird lange dauern, bis sich das Land von diesem Diskurs der Hetze erholt hat", sagt Guy Ben-Porat, Politikwissenschafter an der Ben-Gurion-Universität im Negev.

Wie es gelingen könnte, den verhärteten Umgangston zu überwinden, zeigte Naftali Bennett vor, als führende ultraorthodoxe Politiker ihn vergangene Woche attackierten. Sie widmeten ihrem Anliegen, Bennett zum neuen Verräter des Judentums zu brandmarken, eine eigene Pressekonferenz. "Er sollte seine Kippa abnehmen", eiferte Yaakov Litzman, langjähriger Minister in Netanjahu-Regierungen. Bennetts Reaktion war besonnen. "Vor einem Jahr wurde eine Regierung gebildet, der die Ultraorthodoxen angehörten und wir nicht", sagte er. "Es gab eine Regierung, wir waren kein Teil davon – und trotzdem ging am nächsten Morgen die Sonne auf."

Zündstoff im Nahostkonflikt

Auch wenn die neue Regierung heiße Eisen nicht anfassen will, so fliegen ihr diese wohl früher oder später zu. Die von Ägypten geführten Verhandlungen mit den Terrorgruppen in Gaza, die dazu führen sollen, dass aus der fragilen Waffenruhe ein längerer Waffenstillstand wird, blieben bisher ergebnislos. Die Hamas macht regelmäßig klar, dass sie eine Eskalation in Jerusalem jederzeit mit neuem Raketenbeschuss beantworten wird. Es waren die rechtsextremen Kräfte im Netanjahu-Lager, deren Basis diese Eskalation auf der Straße mit Fäusten vorantrieb. Es ist nicht zu erwarten, dass sie damit nun aufhören.

Zündstoff für diesen Konflikt bringt ein Ereignis, das Netanjahus Kabinett der Nachfolgeregierung hinterlassen hat. Den von rechtsextremen Gruppierungen angekündigten "Flaggenmarsch" durch Jerusalems Altstadt hatte Netanjahus Regierung wohlwissend auf Dienstag verschoben. Die Frage, ob und wie die Parade stattfinden darf, wird für die neue Regierung zur ersten Feuerprobe.

Israelis feierten bereits am Wochenende die neue Regierung in Israel, die die Amtszeit von Langzeitpremier Benjamin Netanjahu vorerst beendet. Doch der Koalition steht nicht nur ein möglicher Streitpunkt im Weg. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 15.6.2021)