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Benjamin Netanjahu bestreitet die Vorwürfe vehement und spricht von einem Komplott.

Foto: AP / Maya Alleruzzo

Als Benjamin Netanjahu 1999 zum ersten Mal aus dem Amt gewählt wurde, empfing er seinen siegreichen Widersacher Ehud Barak noch zu einem Gläschen Wein in seinem Büro im Westen Jerusalems. Am vergangenen Sonntag sah sich der mittlerweile 71-Jährige zum zweiten Mal mit einer veränderten politischen Realität konfrontiert – doch von warmen Worten war diesmal keine Spur. Noch während Naftali Bennett in der Knesset als 13. Premier des Staates Israel vereidigt wurde, rief Netanjahu zum Widerstand gegen die "Verräter" auf. Und das nicht ohne Grund – jedenfalls aus seiner Sicht.

Anklage während der Amtszeit

Denn neben dem Umstand, dass er am Montagmorgen nach zwölf Jahren im Zentrum der Macht erstmals als Oppositionspolitiker erwachte, drohen Israels Rekordpremier nun auch Kalamitäten juristischer Natur. Als erster Regierungschef in der Geschichte des Landes wurde Netanjahu während seiner Zeit im Amt angeklagt. Seit gut einem Jahr steht er nun in mehreren Fällen vor Gericht – Korruption, Betrug und Untreue lauten die Vorwürfe. Die Causa polarisiert in dem ohnehin gespaltenen Land. Seit Jahren halten Protestierende vor Netanjahus Amtssitz und sogar vor der Privatresidenz Schilder mit der Aufschrift "Crime Minister" hoch.

Während er im Frühjahr – vergeblich – an einer neuen Koalition unter seiner Führung feilte, liefen am Jerusalemer Bezirksgericht die ersten Anhörungen. Wie ernst es für den abgewählten Langzeitpremier tatsächlich werden könnte, lässt sich am Strafmaß ablesen, das Israels Gesetz für Korruption vorsieht: bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Und die Vorwürfe wiegen schwer. Im sogenannten "Fall 4000" soll Netanjahu dem Telekommunikationsunternehmen Bezeq indirekt umgerechnet mehr als 400 Millionen Euro zugeschanzt haben, damit auf einer Nachrichtenseite, die von dem Unternehmen kontrolliert wird, in positivem Ton über ihn und seine Ehefrau Sara berichtet wird. Der Boulevardzeitung Yedioth Ahronoth soll Netanjahu im Handel gegen wohlwollende Berichterstattung versprochen haben, ein Konkurrenzblatt per Gesetz auszubremsen. Wie Peanuts liest sich im Vergleich dazu der "Fall 1000": Der Ex-Premier und seine Ehefrau sollen von einem israelischen Hollywood-Produzenten und einem australischen Milliardär Geschenke im Wert von umgerechnet 200.000 Euro erhalten haben – Zigarren und Champagner. Dafür soll Netanjahu den beiden bei Geschäften zur Hand gegangen sein.

Verzögerungstaktik

Warum er trotz dieser Vorwürfe im Amt blieb, erklärt sich aus der De-facto-Verfassung des Landes: Zwar genießt ein Ministerpräsident laut den sogenannten Grundgesetzen keine Immunität, zurücktreten muss er wegen eines Gerichtsprozesses aber auch nicht – anders als ein einfacher Minister oder eine Ministerin. Nun, wo er abgewählt ist, hat Netanjahu keine Möglichkeit mehr, auf die entsprechenden Gesetze direkt Einfluss zu nehmen. In der Vergangenheit hatte er mehrfach versucht, sich auf parlamentarischem Weg Schutz vor Strafverfolgung zu verschaffen. Sogar eine Änderung der Grundgesetze soll der Ex-Premier zu seinem eigenen Schutz erwogen haben. Nun dürfte es damit erst einmal vorbei sein.

Doch Benjamin Netanjahu wäre nicht Benjamin Netanjahu, wenn er nicht alles dransetzte, bald ein Comeback zu landen. Und selbst wenn ihm dies auf absehbare Zeit nicht gelingt, könnte sich der Prozess auch so in die Länge ziehen. Die Aussagen von mehr als 300 Zeugen bilden das Rückgrat der Anklage der Staatsanwaltschaft, das Gericht könnte Jahre damit beschäftigt sein, sie anzuhören und die Einwände von Netanjahus Anwältinnen und Anwälten abzuwägen. Einzig ein mögliches Geständnis könnte den Prozess beschleunigen – etwa als Teil einer Abmachung. Doch dafür spricht von der Unschuldsvermutung abgesehen auch politisch wenig.

Denn der nationalkonservative Ex-Premier bestreitet die Vorwürfe bis heute vehement und schimpft über die angebliche "Hexenjagd", mit der ihn die israelische Linke im Verband mit den Medien aus dem Amt drängen wolle. Die Vorwürfe seien "lächerlich", er selbst Opfer eines Komplotts, hadert er. Dass es ruhig wird um "Bibi", ist unwahrscheinlich. (Florian Niederndorfer, 14.6.2021)