Seit Kurzem überbieten sich Staaten regelmäßig gegenseitig bei der Ankündigung neuer Klimaziele und inszenieren sich als Klimaschutz-Vorreiter. Das ist nicht nur ein Problem, weil die klimapolitische Realität damit selten mithalten kann. Denn die Debatte über Klimaziele wird seit jeher von einer sehr beschränkten Sicht auf Emissionen geprägt. Die Fragen lauten meist: Um wie viel Prozent will ein Land seine Treibhausgas-Emissionen bis zu einem bestimmten Jahr senken? Oder rückblickend: Wie stark hat es sie innerhalb eines gewissen Zeitraums reduziert? Doch dieser Blick auf bloße relative Veränderungen verschleiert einen großen Teil der Geschichte – und reicht nicht, um zu bewerten, wie gerecht oder ungerecht bestimmte Entwicklungen und Klimaziele sind. Werfen wir also einen näheren Blick auf verschiedene Arten, um Klimaziele vergleichbar zu machen und darauf, nach welchen Kriterien politische Maßnahmen zur Zielerreichung bewertet werden können.

Für alle Perspektiven ist es wichtig, sämtliche klimaschädlichen Emissionen in den Blick zu nehmen, also nicht nur CO2, sondern auch Methan, Lachgas und andere. Zur Vergleichbarkeit und der Einfachheit halber werden diese in der Regel in CO2-Äquivalente umgerechnet.

CO2-Emissionen zu vergleichen, kann schwierig sein.
Foto: System Change, not Climate Change!

1. Territoriale Emissionen

Die Standardsicht, nach der Klimaziele sowie Fort- und Rückschritte nach Vorgaben der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC gemessen werden, sind territoriale oder produktionsbezogene Emissionen. Damit gemeint sind alle Treibhausgase, die direkt in einem Land ausgestoßen werden, also etwa das CO2 von Fabriken oder Kraftwerken in Österreich. Im Jahr 2019 waren das in Österreich rund 80 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. 

Diese Sicht dominiert trotz vielfacher Kritik immer noch die Debatte und bildet die Basis für politisches Handeln. Sie lässt aber nur eine begrenzte Bewertung darüber zu, wie große klimapolitische Fortschritte ein Land macht.

2. Konsumbasierte Emissionen

Durch Globalisierung und weltweite Warenströme fällt heute ein großer Teil der ökologischen Belastungen, die durch Konsum in Österreich verursacht werden, in anderen Ländern an. So auch klimaschädliche Emissionen. Wenn wir heute Waren importieren, bei deren Produktion fossile Energien und Ressourcen verwendet wurden, werden diese der Klimabilanz der exportierenden Länder angerechnet – die sich dementsprechend verschlechtert. Früh industrialisierte Staaten wie Österreich importieren oft besonders viele solcher emissionsintensiven Güter aus dem Ausland – besonders aus China und anderen später industrialisierten Staaten. Auch das ist ein Grund, warum deren Klimabilanz schlechter aussieht als durch das Konsumniveau ihrer Bürgerinnen und Bürger zu erklären ist. Eine Analyse des österreichischen Klimaforschungs-Netzwerks CCCA von 2018 zeigt, dass Österreich 50 bis 60 Prozent mehr Emissionen verursacht, als ihm offiziell angerechnet werden: rund 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr statt nur 80.

Im Gegensatz zur territorialen Sicht lassen die konsumbasierten Emissionen besser einschätzen, ob ein Land Fortschritte bei der Gestaltung einer klimaverträglichen Gesellschaft macht. Schließlich müssen am Ende alle Länder der Welt klimaneutral wirtschaften und bald werden einzelne Staaten ihren Fußabdruck nicht mehr in andere Regionen auslagern können.

3. Pro-Kopf-Emissionen

Teilt man die gesamten (bevorzugt konsumbasierten) Emissionen eines Landes durch die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner, erhält man deren Pro-Kopf-Emissionen. Diese sind vor allem relevant, um zwei Dinge zu bewerten: Wie gut ist ein Land auf dem Weg in Richtung klimaverträgliche Wirtschaft? Und: Belastet es beziehungsweise seine Bürgerinnen und Bürger das Klima in Relation zu anderen Nationen mehr oder weniger? Ein Mensch in Österreich ist pro Jahr im Durchschnitt für 15 Tonnen CO2-Äquivalente verantwortlich. Zum Vergleich: Laut Umweltprogramm der Vereinten Nationen müssten wir, um das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, diesen Wert global bis 2030 auf 2,1 Tonnen reduzieren. Die Pro-Kopf-Emissionen vieler afrikanischer Staaten und auch großer Länder wie Indien liegen heute zum Teil weit unter dieser Grenze.

Dagegen lässt ein Blick auf Pro-Kopf-Emissionen sowohl gefeierte Klimaziele als auch vermeintliche Erfolge in anderem Licht erscheinen. Wenn etwa die USA ihre Emissionen wie geplant bis 2030 um rund die Hälfte reduzieren, wären diese pro Kopf immer noch auf dem derzeitigen Durchschnittsniveau der EU (rund zehn Tonnen). Etwa auf diesem Niveau liegen auch vermeintliche Klimaschutz-Vorreiter wie Schweden und Großbritannien, nachdem sie ihre Emissionen in den letzten Jahren deutlich gesenkt haben – allerdings eben von einem absurd hohen Fußabdruck ausgehend.

Grafik: Manuel Grebenjak

4. Historische Emissionen

Will man vergleichen, welchen Anteil ein bestimmtes Land oder eine Region bisher insgesamt an der Erderhitzung hat, muss man einen Blick auf die historischen Emissionen werfen. Seit Beginn der Industrialisierung im Globalen Norden haben die USA und die heutigen Staaten der EU rund die Hälfte aller Treibhausgase verursacht – ein Vielfaches ihres gerechten Anteils im Verhältnis zur Größe ihrer Bevölkerungen. Teilt man die zum Einhalten des 1,5-Grad-Limits zulässigen Emissionen auf alle Länder auf und berücksichtigt auch historische Emissionen, wird klar, dass Österreich seinen fairen Anteil längst überschritten hat. Oder anders ausgedrückt: Wir haben Klimaschulden. “Begleichen” müsste Österreich diese, indem es Klimaschutz-Maßnahmen in Ländern mit “Emissions-Guthaben”, also Staaten im Globalen Süden, finanziert oder diesen kostenlos Technologien zur Verfügung stellt. Bisherige Bemühungen für internationale Klimafinanzierung wie der Green Climate Fund bleiben bisher weit hinter angekündigten Summen zurück – die eigentlich ihrerseits um ein Vielfaches zu niedrig sind. 

Klimafinanzierung darf aber weder als Kompensation verstanden werden, noch von Klimaschutz vor Ort ablenken. Vor allem müssen Staaten, die ihren fairen Anteil am globalen Emissionsbudget schon aufgebraucht haben, natürlich im eigenen Land die Emissionen möglichst rasch auf null bringen, um künftige Klimaschäden zu begrenzen. Dafür entwickelte Technologien und Konzepte sollten solidarisch mit anderen Ländern geteilt werden.

5. Emissionsbudgets

Emissionsbudgets, die bisher in der Regel verwendet werden, um offizielle Klimaziele näher zu bestimmen, berücksichtigen die historische Verantwortung meist nicht. Stattdessen werden die noch verbleibenden Emissionen zur Einhaltung eines Temperaturlimits anhand des Anteils eines Landes an der Weltbevölkerung gleichmäßig aufgeteilt. Forscher vom Wegener Center Graz haben für ein klimaneutrales Österreich bis 2040 ein verbleibendes Budget von knapp 700 Millionen Tonnen ab 2021 bestimmt. Von diesem Budget abgezogen werden in der Regel immer nur territoriale Emissionen, derzeit also rund 80 Mio. Tonnen pro Jahr. Reduzieren wir also unsere Emissionen nicht ab sofort deutlich, ist auch dieses eigentlich großzügige Budget binnen weniger Jahre verbraucht. Die Grazer Forscher machen aber auch klar, dass angesichts der historischen Emissionen neben Emissionsreduktion im eigenen Territorium “angemessene Unterstützung von Entwicklungsländern beim Klimaschutz erforderlich” ist. Denn eigentlich (siehe historische Emissionen) hat Österreich sein Budget eben schon längst überzogen.

6. Netto-Null-Emissionen

Österreich hat sich das Ziel gesetzt, bis 2040 “Netto-Null”-Emissionen zu erreichen, die USA etwa wollen das gleiche 2050 erreichen. Netto-Null bedeutet, dass nicht mehr Emissionen ausgestoßen werden als durch natürliche Senken (wie Wälder und Meere) oder technische Mittel zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre wieder gebunden werden können. Zu einem gewissen Grad wird das immer notwendig sein, weil manche Prozesse schlicht immer Emissionen ausstoßen werden. Das an sich ist noch kein Problem, solange diese “Restemissionen” auf einen möglichst geringen Umfang reduziert werden, der sich mit Senken realistischerweise ausgleichen lässt. Trotzdem bergen Netto-Klimaziele eine große Gefahr, vor der auch Klimaforschende warnen. Denn teilweise basieren heutige Netto-Ziele auf einer unrealistisch hohen Annahme von Potenzialen zur Wiederentfernung von Emissionen aus der Atmosphäre. Während die natürlichen Senken unseres Planeten begrenzt sind und ihr Potenzial durch die Erderhitzung und die ökologische Zerstörung weiter abnehmen wird, bergen technische Lösungen eigene Risiken und Nachteile. Beispiele für solche Technologien sind etwa Carbon Capture and Storage, also das Absaugen von CO2 aus der Luft mit einer Art großem “Staubsauger”, wonach es unterirdisch gespeichert werden kann. Allerdings ist dies extrem energieaufwändig und teuer – und es ist unklar, ob es überhaupt jemals in großen Stil machbar sein wird. Ähnliches trifft auf andere “Negativemissionstechnologien” zu, die alle ihre Nachteile und Grenzen haben. 

Es bleibt der Schluss, dass alle Länder mit so wenig Ausgleichspotenzial wie möglich rechnen und ihre Emissionen so weit wie möglich absolut senken müssen. Denn bisher lenkt das Spekulieren auf Negativemissionstechnologien vor allem davon ab, heute zu handeln.

7. Subsistenz- und Luxusemissionen

Eine Tonne CO2 ist nicht gleich eine Tonne CO2. Während manche Emissionen bei lebensnotwendigen Aktivitäten entstehen, werden andere durch Luxuskonsum verursacht. In diesem Sinne kann zwischen Subsistenz- und Luxusemissionen unterschieden werden. So hat eine bestimmte Emissionsmenge, die etwa in der Landwirtschaft oder durch Arbeits-Pendeln entsteht, einen höheren sozialen Nutzen und eine größere moralische Berechtigung als dieselbe Menge, die beispielsweise bei einem Flug im Privatjet ausgestoßen wird. Dazu kommt, dass der Anteil an Subsistenz- beziehungsweise Luxus-Emissionen zwischen und innerhalb von Ländern sehr ungleich verteilt ist. In reichen Ländern werden weit mehr Treibhausgase für nicht notwendige Luxus-Aktivitäten produziert als in ärmeren. Zudem belasten Menschen mit höheren Einkommen auch in Staaten wie Österreich das Klima ungleich mehr mit Luxusemissionen durch Flugreisen, große Autos oder Zweitwohnsitze. Dadurch erklärt sich etwa, dass die reichsten zehn Prozent in Österreich viermal so viele Emissionen verursachen wie das ärmste Zehntel der Bevölkerung. Diese Unterschiede müssen im Sinne der Gerechtigkeit bei klimapolitischen Maßnahmen berücksichtigt werden. 

8. Klimaschutz und andere Umweltprobleme

Beim Klimaschutz darf nicht vergessen werden: Es gibt noch weitere ökologische Probleme und Krisen, wie das Artensterben oder die zunehmende Erosion und Versiegelung von fruchtbaren Böden. Die Maßnahmen, mit denen Klimaziele erreicht werden sollen, müssen immer auch danach bewertet werden, wie sie sich auf diese anderen Umweltbereiche – und natürlich auch auf soziale Aspekte – auswirken. Im kürzlich erschienenen ersten gemeinsamen Bericht von Weltklimarat (IPCC) und Weltbiodiversitätsrat (IPBES) wird vor Klimaschutz zulasten der Artenvielfalt gewarnt. Derart betrachtet greifen aktuelle Klimapläne, die gleichzeitig “Wachstumsstrategie” sein wollen, wie der European Green Deal der EU, zu kurz und könnten langfristig auch viel Schaden anrichten. 

In der Stellungnahme zur Veröffentlichung des IPBES-IPCC-Berichts sagte Hans-Otto Pörtner als Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe dazu: “Die Lösung einiger der großen und scheinbar unvermeidlichen Zielkonflikte zwischen Klima und Biodiversität wird eine tiefgreifende kollektive Veränderung der individuellen und gemeinsamen Wertvorstellungen in Bezug auf Natur umfassen – wie zum Beispiel die Abkehr vom Konzept des wirtschaftlichen Fortschritts, der ausschließlich auf BIP-Wachstum basiert.”

Um Klimaziele umfassend zu bewerten, reichen eine oder zwei der verschiedenen hier zusammengefassten Perspektiven nicht aus. Stattdessen müssen Gerechtigkeitsaspekte, Soziales und die mögliche Verlagerung von ökologischen Problemen berücksichtigt werden. Alle beschriebenen Betrachtungsweisen haben Vor- und Nachteile und sollten wenn möglich immer gemeinsam betrachtet werden. (Manuel Grebenjak, 18.6.2021)

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