Nahe der ostsibirischen Gemeinde Batagai haben Forscher am Fuße eines gewaltigen Abbruchs die bislang ältesten Permafrostschichten Sibiriens entdeckt.
Foto: Alfred-Wegener-Institut / Thomas Opel

Als vor kurzem russische Wissenschafter im sibirischen Permafrost bohrten und Proben aus rund 3,5 Meter Tiefe holten, erlebten sie eine Überraschung: Die darin enthaltenen Rädertierchen waren keineswegs fossile Überreste, wie man nach 24.000 Jahren annehmen könnte, sondern sie waren nach dem Auftauen quicklebendig und vermehrten sich sogar fleißig.

Im Vergleich zu einem anderen Projekt haben die Forscher am nordostsibirischen Alaseja-Fluss freilich gerade einmal an der Oberfläche gekratzt: Ein internationales Team von Fachleuten hat nun Proben aus 50 Meter Tiefe auf einem Untersuchungsareal in der Nähe der ostsibirischen Gemeinde Batagai auf mindestens 650.000 Jahre datiert. Sie sind damit zur ältesten bekannten Permafrostschicht in Sibirien vorgedrungen.

Überdauerte Warmzeiten

"Das bedeutet, dass diese Permafrostschicht bereits mehrere Kalt- und Warmzeiten überdauert hat", sagt der Geograph Thomas Opel vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. Diese Erkenntnis ist von Bedeutung, weil sie zeigt, dass Permafrostböden selbst in wärmeren Zeiten nicht gänzlich abtauen müssen. So hat der Permafrostboden von Batagai offensichtlich auch besonders warme Phasen vor rund 130.000 Jahren überstanden, als es in der Arktis im Sommer rund vier bis fünf Grad Celsius wärmer war als heute.

Beim Permafrost handelt es sich um Böden und Gesteine, die dauerhaft gefroren sind, teilweise bis zu mehrere Hundert Meter tief. Sie kommen vor allem in Nordamerika und Sibirien, aber auch in Hochgebirgen vor und konservieren wie eine gigantische Gefriertruhe riesige Mengen abgestorbener Biomasse, vor allem Pflanzenreste, aber auch Überreste von Vertretern der Tierwelt der letzten Eiszeit wie Mammut oder Wollnashorn.

Taut der Permafrost auf, werden Bakterien aktiv, die die uralte Biomasse abbauen und durch ihren Stoffwechsel die Klimagase Kohlendioxid und Methan freisetzen; je stärker das Tauen, desto stärker der Gasausstoß. Im Hinblick auf den heutigen Klimawandel befürchten Fachleute, dass sich dadurch der Treibhauseffekt noch verstärkt.

In den vergangenen 50 Jahren hat sich die Hangrutschung in Batagai auf eine Breite von rund 900 Metern ausgedehnt.
Foto: Alfred-Wegener-Institut / Thomas Opel

Haltbar und empfindlich

Insofern sind die aktuellen Ergebnisse, die die Wissenschafter jetzt im Fachjournal "Quaternary Research" veröffentlicht haben, von großer Relevanz. Sie zeigen, dass sehr alter, tief begrabener Permafrost bei tiefen Temperaturen im Boden natürliche Wärmeperioden überdauern kann, während der Permafrost anderenorts und vor allem von der Oberfläche her durch Erwärmung massiv abtaut.

Andererseits zeigt die Situation bei Batagai aber auch, wie empfindlich der Permafrostboden auf Störungen durch den Menschen reagiert. Der 650.000 Jahre alte Permafrostboden liegt an einem Berghang eigentlich in rund 50 Meter Tiefe, wo permanent eine Temperatur von etwa minus zehn Grad Celsius herrscht. Ein Teil des Hangs aber war zwischen den 1940er- und 1960er-Jahren teilweise entwaldet und außerdem mit schweren Kettenfahrzeugen einer nahe gelegen Mine befahren worden.

Rasante Erosion

Dadurch ging die schützende und isolierende Pflanzendecke verloren. In der Folge taute der jüngere Permafrost an der Oberfläche im Sommer auf, bis der Boden schließlich ins Rutschen geriet und den alten Permafrost freilegte. Seit Jahren trägt das Schmelzwasser das aufgetaute Material hangabwärts, sodass ein großer Krater entstanden ist. Inzwischen ist die Abbruchkante bis zu 50 Meter tief. Zudem erodiert der Hang weiter um bis zu 30 Meter pro Jahr.

Das internationale Team unter Leitung von Julian Murton von der University of Sussex hat den Permafrostboden vom oberen Ende der Abbruchkante bis zu ihrem Fuß mit verschiedenen Methoden untersucht, um das Alter des Permafrosts in den verschiedenen Tiefen genau zu bestimmen. Durch Bestrahlung mit Licht wurde beispielsweise gemessen, wann die in den Sandkörnern enthaltenen Quarz- und Feldspatkristalle in den verschiedenen Tiefen von nachfolgenden Schichten überlagert wurden und zum letzten Mal dem Sonnenlicht ausgesetzt waren.

Ein Teil des Hangs wurde in der Vergangenheit entwaldet und mit schweren Kettenfahrzeugen befahren. Dadurch ging die schützende Pflanzendecke verloren, der jüngere Permafrost taute im Sommer an der Oberfläche auf, bis der Boden schließlich ins Rutschen geriet und den alten Permafrost freilegte.
Foto: Alfred-Wegener-Institut / Thomas Opel

Verschiedene Datierungsmethoden

Die Forschenden vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf bestimmten in den Eisproben die Konzentration von radioaktivem und stabilem Chlor mittels der hochsensitiven Beschleunigermassenspektrometrie. Dadurch ließ sich direkt das Alter des Eises selbst bestimmen, welches sich in Form langer Keile im Laufe von Jahrtausenden im Permafrost gebildet hat. Außerdem wurden Isotope bestimmter chemischer Elemente gemessen, woraus man auf die vorherrschenden Klimabedingungen und damit indirekt auf das Alter der verschiedenen Permafrostschichten und des enthaltenen Eises schließen kann.

"Die Datierungsergebnisse von Batagai zeigen eindrucksvoll, wie stabil ein Permafrostboden sein kann und so Jahrhunderttausende überdauert", sagt Opel, "aber auch, wie empfindlich er gegenüber Störungen ist." Der Schaden sei irreparabel, weil der offen liegende Permafrostboden in jedem Sommer weiter abtaue. In den vergangenen 50 Jahren hat sich die Hangrutschung bereits auf eine Breite von rund 900 Metern ausgedehnt. (red, 15.6.2021)