Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) blieb am Montagabend auf ÖVP-Linie.

Foto: imago images/Metodi Popow

Die hitzige Debatte über Einbürgerungen geht weiter.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

500.000 Menschen seien von den Vorschlägen der SPÖ rund um die Einbürgerung von Migrantinnen und Migranten betroffen – da blieb am Montagabend auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) dabei. Selbst wenn in den Tagen davor schon Experten die Aussagen – die eigentlich von ÖVP-Klubchef August Wöginger kamen – zerpflückten und für falsch befanden.

Doch wie kommen ÖVP-Vertreterinnen und -Vertreter auf diese Zahl? Edtstadler bezieht sich da im Interview mit der "ZiB 2" auf Daten von der Statistik Austria, die man auch dem Innenministerium vorgelegt habe. Dort habe man die Daten bestätigt, sagt sie. Und da komme man eben auf 500.000 Personen, die von einer einfacheren Einbürgerung profitieren würden.

Wo kommen die 500.000 her?

Auf Anfrage schickt die Statistik Austria aber andere Zahlen: Von den derzeit etwa 1,5 Millionen ausländischen Staatsangehörigen, so geht daraus hervor, sind nur 105.502 Drittstaatsangehörige, seit sechs bis neun Jahren im Land und damit vom SPÖ-Vorschlag betroffen. Denn die gut 155.000 EU-Bürgerinnen und -Bürger, die so lange da sind, können ohnehin schon nach sechs Jahren die Staatsbürgerschaft beantragen. Die 338.283 Drittstaatsangehörigen, die bereits zehn Jahre oder länger da sind, könnten das auch schon jetzt.

Meinen Edtstadler und Wöginger mit der halben Million Personen vielleicht auch Drittstaatsangehörige, die erst in den nächsten Jahren die Sechs-Jahres-Grenze erreichen könnten? Immerhin gab es ab 2015 die großen Flüchtlingsbewegungen – und Asylberechtigte können derzeit nach mindestens zehnjährigem rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt ansuchen. Auch das geht sich nicht aus: Addiert man jene gut 100.000 Personen, die sechs bis neun Jahre da sind, mit jenen, die null bis fünf Jahre da sind, kommt man auf knapp 380.000 Personen.

Wie kommen Experten auf ihre Zahlen?

Die Zahl ist also nach den verfügbaren Daten deutlich geringer, als von der ÖVP angegeben, aber auch ein wenig höher, als etwa von Politikwissenschafter Gerd Valchars errechnet. Dieser meinte, die infrage kommende Personengruppe sei mit rund 90.000 Personen deutlich kleiner. Das ist rascher aufgeklärt: Valchars bezieht sich offensichtlich auf Daten aus dem Jänner 2020, dem STANDARD liegen welche aus dem Jänner 2021 vor.

In ebenjenen Daten aus dem Vorjahr ist auch die Zahl von 534.000 Personen angegeben, die sechs bis zehn Jahre in Österreich leben, und auf die könnte sich Edtstadler, so meint zumindest Valchars, beziehen. "Allerdings inkludieren diese 534.000 eben auch 310.000 Österreicher:innen", schreibt er dazu – und legt nahe, dass man sich in der ÖVP in der Zeile verschaut hat.

Was sagt das Innenministerium?

Das Innenministerium hat auf STANDARD-Anfrage aber eine andere Erklärung: Da nahm man als Basis für die Berechnung alle Drittstaatsangehörigen, die im Jahr 2015 da waren – nicht nur jene, die in den letzten sechs bis neun Jahren gekommen sind. Das wären dann laut Angaben einer Ministeriumssprecherin 642.000 Drittstaatsangehörige mit Stand 2015, davon seien seither 170.000 weggezogen. Dazu habe man noch 40.000 Kinder von EU-Staatsbürgerinnen, die ebenfalls von den SPÖ-Vorschlägen profitieren würden, gerechnet und sei so auf etwa eine halbe Million Menschen gekommen. Wobei man betont: Es geht dabei um eine Schätzung.

Würde der Plan der SPÖ nutzen?

Noch ein Sager von Ministerin Edtstadler hat manch Experten verwirrt. So sagt sie im Interview mit der "ZiB 2", man sehe "auch in vergangenen Wählerstromanalysen, dass Personen mit Migrationshintergrund eher dazu neigen, die SPÖ zu wählen", und stützt damit Wögingers Theorie, die SPÖ hätte den Vorschlag nur unterbreitet, um Stimmen zu generieren – eine höchst umstrittene Theorie, da sie an rechtsextreme Verschwörungen von einem Bevölkerungsausstausch erinnert.

Christoph Hofinger vom Institut Sora, das sich intensiv mit Wahlanalysen beschäftigt, sagt dazu: "Es gibt keine Wählerstromanalyse für Menschen mit Migrationshintergrund." Was Edtstadler wohl gemeint habe, seien Befragungen und Wahlanalysen, da gebe es aber keinerlei repräsentative Daten für ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Österreich – "und schon gar nicht für eine Gruppe, die von einer Lockerung profitieren würde. Da fischen wir alle im Trüben."

Sehr wohl gibt es aber von Sora eine Wahltagsbefragung von der Wien-Wahl 2015. Und hier zeigte sich: Wienerinnen und Wiener, die selbst im Ausland geboren wurden, "wählten mit 52 Prozent überdurchschnittlich die SPÖ gefolgt von den Grünen mit 18 Prozent und der FPÖ mit 17 Prozent". Die zweite Einwanderer-Generation, wo mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde, unterscheide sich im Wahlverhalten hingegen weniger von der Gesamtbevölkerung: Diese wählten weniger häufig die ÖVP und SPÖ, dafür etwas häufiger die Grünen und die Neos.

Was wissen wir über das Wahlverhalten von Migranten und Migrantinnen?

Zwei Feststellungen aber könne man – nach allem, was man wisse – zumindest machen. Erstens: Die Wahlbeteiligung bei Ausländern und Ausländerinnen sei sehr gering, sagt Hofinger, das sei "eine Konstante in der Forschung". Es sei davon auszugehen, dass weniger als die Hälfte der Ausländerinnen und Ausländer von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen würden. Das liege schlicht daran, dass Wählen auch eine Übungssache sei.

Und zweitens: Die SPÖ würde aller Erwartung nach nicht von einem aufgeweichten Wahlrecht profitieren, sondern vielmehr die Grünen. Auch da gibt es freilich nur Annäherungen, aber die Daten von den Wiener Bezirksvertretungswahlen 2015 zeigen etwa: Bei den Nichtösterreichern und -Österreicherinnen schnitt die SPÖ sogar um 0,8 Prozentpunkte schlechter ab als bei den Österreicherinnen, während die Grünen um über 18 Prozentpunkte besser abschnitten. Die ÖVP übrigens wäre um 2,8 Prozentpunkte schlechter dagestanden, hätten nur Nichtstaatsbürgerinnen und -Staatsbürger gewählt.

Auch das könne sich freilich ändern und sei weniger von der Staatsbürgerschaft abhängig als davon, welche Kommunikationsstrategie eine Partei einschlage – gerade weil Ausländerinnen und Ausländer noch kein Stammwahlverhalten haben, könnte man die ansprechen, sagt Hofinger. Da hätte auch die ÖVP Chancen, immerhin seien etwa in der türkischen Community viele Kleinunternehmer. Außerdem herrsche ein konservativer Habitus vor. Aber "auch nach der Islamlandkarte wird es schwieriger, bei dieser Gruppe zu mobilisieren", sagt Hofinger.

Wie viel wird tatsächlich eingebürgert?

Mit den aktuell so restriktiven Gesetzen in Österreich sind Einbürgerungen in den vergangenen Jahren zu einem Nebenthema geworden. Seit dem Jahr 2009 beträgt die Einbürgerungsrate laut Statistik Austria nämlich durchgehend unter ein Prozent. Von 100 in Österreich lebenden nichtösterreichischen Staatsbürgern wird also seit elf Jahren weniger als eine Person eingebürgert. Der Tiefststand wurde erst im Vorjahr erreicht: Da ging die Einbürgerungsrate auf 0,6 Prozent zurück. Zum besseren Verständnis: 2020 wurden insgesamt 8.996 Personen eingebürgert – um 15,2 Prozent weniger als 2019 (10.606 Personen). Seit 2009 wurden übrigens knapp 100.000 Personen eingebürgert – das waren im Durchschnitt 8200 pro Jahr.

Dabei waren die Zahlen rund um die Jahrtausendwende noch viel höher: Nach einem sprunghaften Anstieg waren es 2003 zum Höhepunkt knapp 45.000 Einbürgerungen. 100.000 zusätzliche Staatsbürger wurden damals in weniger als drei Jahren verzeichnet. Der Anstieg um die Jahrtausendwende war unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Flüchtlings- und Migrationswelle aus dem ehemaligen Jugoslawien wegen des Krieges damals rund zehn Jahre her war. Das war und ist jene Grundvoraussetzung, ab der Anträge etwa von Asylberechtigten auf Staatsbürgerschaften gestellt werden können. Zudem konnten nach einer Gesetzesreform 1998 bestimmte Personengruppen, die in Österreich geboren wurden, schneller eingebürgert werden. Die Einbürgerungsrate betrug zum Höhepunkt um die Jahrtausendwende bis zu sechs Prozent.

Welche Personengruppen wurden zuletzt in Österreich eingebürgert?

Im Vorjahr erfolgten fast zwei Drittel aller Einbürgerungen für Personen, die alle Voraussetzungen für eine Einbürgerung aufgrund eines Rechtsanspruchs erfüllten. Das waren knapp 5.700 Personen. Davon erhielten als größte Gruppe rund 4.100 Personen die Staatsbürgerschaft nach mindestens sechsjährigem Wohnsitz in Österreich sowie aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen. Das konnte eine EWR-Staatsbürgerschaft sein, Geburt in Österreich oder der Status "asylberechtigt". 663 Personen wurden aufgrund der Ehe mit einer Österreicherin oder einem Österreicher eingebürgert. 362 Personen erhielten die Staatsbürgerschaft nach einem mindestens 15-jährigen Wohnsitz in Österreich sowie nachhaltiger Integration. Rund ein Zehntel (953 Personen) erhielt die Staatsbürgerschaft im sogenannten Ermessen, darunter 917 Personen nach mindestens zehnjährigem Wohnsitz. 2.063 Kinder sowie 282 Ehepartner wurden unter dem Titel "Erstreckung der Verleihung", also Ausweitung der Staatsbürgerschaft auf Kinder oder Partner, eingebürgert.

Das ist auch der Grund, weshalb ein Drittel der Eingebürgerten im Vorjahr unter 18 Jahre alt war. Von den neuen Staatsbürgern hatten 967 Personen zuvor die Staatsangehörigkeit von Bosnien-Herzegowina, gefolgt von Serbien (943), der Türkei (847), dem Kosovo (527), der Russischen Föderation (355) und dem Iran (355). Mehr als ein Drittel aller Eingebürgerten (konkret 3.188 Personen) wurde bereits in Österreich geboren. (David Krutzler, Gabriele Scherndl, 15.6.2021)