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Vergeblicher Protest vor dem Parlamentsgebäude in Budapest.

Foto: Reuters / Marton Monus

Das ungarische Parlament hat am Dienstag ein Gesetz beschlossen, das verhindern soll, dass Kinder und Jugendliche objektive Informationen über Homosexualität, Transidentität und Geschlechtsanpassungen erhalten. Für die Vorlage stimmten die Abgeordneten des rechten Lagers, unter ihnen auch die der rechtsnationalen Jobbik-Partei, die in Opposition ist. Die linke und liberale Opposition boykottierte die Abstimmung.

Die Abgeordnete Tímea Szabó von der Dialog-Partei bezeichnete das Gesetz als "schändlich". Die Regierung des Rechtspopulisten Viktor Orbán wolle "Hass gegen unsere schwulen Landsleute schüren".

Kurzfristige Abänderungen

Das Gesetz, das Abgeordnete der Orbán-Partei Fidesz eingebracht hatten, trägt den scheinbar unverfänglichen Namen "Gesetzesnovelle für ein strengeres Vorgehen gegen pädophile Straftäter und für den Kindesschutz". Ursprünglich enthielt die Vorlage strafgesetzliche Bestimmungen, um die Strafmaße für sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige anzuheben, darunter durchaus fragwürdige Maßnahmen wie etwa die Erstellung eines "Pädophilen-Registers".

Doch am Freitag brachten die Fidesz-Abgeordneten Abänderungen mit zusätzlichen Bestimmungen ein, die nichts mit strafrechtlich relevantem Kindesmissbrauch zu tun haben, dafür aber die Informationsfreiheit für Jugendliche unter Zensur stellen. Am Dienstag wurde das Gesetz in dieser Form gebilligt.

Über 5.000 Personen haben am Montag vor dem ungarischen Parlament gegen ein umstrittenes Anti-LGBTIQ-Gesetz demonstriert.
DER STANDARD

Keine Schulvorträge mehr

Konkret beinhaltet das Gesetz ein Verbot aller Bücher, Filme und sonstigen Inhaltsträger, in denen Homosexualität, Transidentität und Geschlechtsanpassungen als Teil einer gesellschaftlichen Normalität erscheinen und die Kindern und Jugendlichen zugänglich sind.

Auch werden Organisationen der Zivilgesellschaft künftig keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr in die Schulen schicken dürfen, um Jugendliche über anders gelebte Sexualität aufzuklären oder die jungen Menschen für einen respektvollen Umgang mit Mitschülern zu sensibilisieren, die sich zu einer anderen als der heterosexuellen Orientierung bekennen. Die Orbán-Regierung behauptet, "die bei der Geburt empfangene geschlechtliche Identität des Kindes" schützen zu wollen.

Aus für Harry Potter

Verboten ist in Ungarn künftig jede Werbung, die diese spezielle Art von "Kindesschutz" unterlaufen könnte. Ein Getränkehersteller, der etwa im Werbeclip für sein Produkt nicht nur heterosexuelle, sondern auch gleichgeschlechtliche Paare in fröhlicher Stimmung zeigt, würde gegen diese Zensurbestimmung verstoßen.

Der private Fernsehsender RTL Klub, eine Tochter der deutschen RTL-Gruppe, verwies darauf, dass etwa die Harry-Potter-Verfilmungen künftig nur noch spätabends und mit der Kennzeichnung "Nicht für unter 18-Jährige" ausgestrahlt werden dürfen.

Post auf der Facebook-Seite von RTL Klub.

Kritik und Demonstrationen

Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Montagabend vor dem Parlament gegen das Gesetz, das letztlich Homo- und Transsexualität mit Pädophilie gleichsetzt. Vor einem Meer von Regenbogenfahnen erklärte die Psychologin Julianna Lászlóffy: "In einer Gesellschaft, die ausgrenzt, sind LGBTIQ-Jugendliche zahllosen Diskriminierungen ausgesetzt."

Das neue Gesetz spiele mit dem Leben der Kinder und verletze ihre Rechte – auch schon so sei die Häufigkeit von Depressionen und Suiziden in der betroffenen Jugendlichengruppe höher als im Durchschnitt. Ungarische LGBTIQ-Verbände und Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Gesetz scharf.

Nicht erste Maßnahme

Dabei ist klar, dass jeder Buchstabe, jedes Komma in dem Gesetzeswerk dem Willen von Regierungschef Orbán entsprang. Der autoritäre Populist schlägt immer wieder politisches Kapital aus dem Schüren von Hass und Vorurteilen gegen Minderheiten.

Das am Dienstag beschlossene Zensurgesetz ist nicht die erste Maßnahme, um LGBTIQ-Menschen zu diskriminieren. In den vergangenen Monaten ergingen Rechtsakte, die die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare unmöglich machen und die die Änderung amtlicher Dokumente nach einer erfolgten Geschlechtsumwandlung verbieten. (Gregor Mayer aus Budapest, 15.6.2021)