Demonstranten in Slowenien wollen Premier Janez Janša hinter Gittern sehen – hier bei einer Demo in Ljubljana Ende Mai.

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Er schreibt eigentlich gerne "Landkarten der Nostalgie", seine drei Hauptwerke umfassen 44.000 Verse. Boris Novak scheint selbst wie aus einem Roman entsprungen, ein geschichtenreicher, sanfter Mann mit einem verwehten Haarschopf, der im Petit Café in Ljubljana sitzt, über Mitteleuropa redet und seine Bücher wie Schätze bei sich trägt.

Nun muss er allerdings eine Geldstrafe zahlen, weil er am 27. April bei der bisher größten Demonstration in der slowenischen Geschichte zwei Gedichte vorgelesen hat. Die Polizei war damals ziemlich brutal gegen die Demonstranten und den 67-jährigen Novak vorgegangen.

"Der Panther ist kein Panther, er ist ein Parteiausweis auf den Dekreten der Slowenischen Demokratischen Partei, der SDS ohne D. Sie werden angeführt von einem Führer, einer Trump'schen Posaune, einem Kletterer, einem Meister für neue Balkangrenzen, einem perfiden Täter, Waffenhändler und Entführer seiner eigenen Leute", rezitierte er sein Poem "Kretinischer Kärntner Quarantäne-Panther".

"Aber Kitsch ist Kitsch, und ein Verbrechen ist ein Verbrechen, das dritte Mal ist das dritte Mal, und das letzte Mal ist das letzte Mal", machte er Anspielungen auf die dritte Amtszeit von Premier Janez Janša und dessen Idee, einen schwarzen Panther, das Symbol der rechtsradikalen Szene in Slowenien, zum Maskottchen der slowenischen EU-Ratspräsidentschaft zu machen.

400 Euro Strafe wegen Vorlesung

Auch die Soziologin Sandra Bašić-Hrvatin hat erst kürzlich wieder ein Strafmandat über 400 Euro zugestellt bekommen, weil sie auf eine Demonstration ging und dort die Verfassung vorlas. Insgesamt hat sie bereits fünf Strafzettel kassiert. Dabei hat die 59-Jährige Maske getragen und Abstand gehalten. Mittlerweile identifiziert die Polizei die Demoteilnehmer auch über Facebook-Videos.

Manche Regierungskritiker haben bereits Strafen von 10.000 Euro. Sie gehen seit Wochen jeden Freitag auf die Straße, um Neuwahlen zu fordern. Doch noch hat Janša eine Mehrheit von Abgeordneten hinter sich, und er nutzte die Pandemie, um gegen seine politischen Konkurrenten vorzugehen.

Novak und Bašić-Hrvatin sind berühmte Vertreter des akademischen Widerstands gegen den Rechtspopulisten. Selbst die Studenten sind oft erstaunt über die ältere Generation, die sich von den Polizisten wegtragen lässt. Es handelt sich um Leute, die bereits in den 1980er-Jahren um Demokratie und Rechtsstaat in Slowenien kämpften. Jetzt malen sie noch einmal Plakate und singen Demolieder.

Unmut über Corona-Maßnahmen

Es ist vor allem die Art und Weise, wie die Pandemiemaßnahmen entschieden und umgesetzt wurden und wie die Menschenrechte missachtet wurden, meint etwa der Dekan der juridischen Fakultät in Ljubljana, Rajko Pirnat. So wurden öffentliche Versammlungen – also auch Demos – auf zehn Personen limitiert, gleichzeitig wurden aber religiöse Veranstaltungen für 100 Leute zugelassen.

Die Angelegenheit landete beim Verfassungsgericht. Die Regierung musste die Verordnung ändern. Doch kurze Zeit später wurde diese Anpassung an das Urteil des Höchstgerichts wieder zurückgenommen und wieder die alte Regel, die religiöse Veranstaltungen bevorzugte, eingeführt.

Maßnahmen verfassungswidrig

Anfang Juni hat das Verfassungsgericht nun mehrere Maßnahmen im Infektionsschutzgesetz für komplett verfassungswidrig erklärt und außer Kraft gesetzt. Das Infektionsschutzgesetz habe der Regierung deutlich zu viel Spielraum überlassen, so das Gericht. Direkt angesprochen wurde auch die umstrittene Einschränkung des Ausmaßes der Versammlungen auf öffentlichen Plätzen. Und all jene Verfahren, bei denen Geldstrafen noch offen sind, sollen beendet werden. Nicht aber jene, bei denen bereits bezahlt wurde.

Die Leute vom "Rechtsnetzwerk zum Schutz der Demokratie", das im Vorjahr gegründet wurde, verteidigen kostenlos Leute, die durch ihre politischen Äußerungen im System Janša unter Druck gekommen sind. Die junge Aktivistin Anuška Podvršič hat dafür 25 Anwälte und Anwältinnen um sich versammelt.

"In den meisten Fällen geht es darum, dass die Leute nur dann bestraft werden, wenn sie ihre politische Meinung äußern", erzählt sie dem STANDARD. Es ist genau diese Unverhältnismäßigkeit, die rechtlich mehr als fragwürdig ist. "In Slowenien ist es nicht verboten, sich zu versammeln, sondern seine politische Meinung auszudrücken", spitzt Podvršič noch weiter zu.

Ungleiche Bestrafung

So verlautbarte die Polizei etwa, dass es erlaubt sei, vor dem Parlament aufzutauchen, sobald man aber seinen Fußabdruck in Farbe zurückließ und auf den Asphalt schrieb, was einem an der Regierung nicht gefiel, wurde man bestraft. Leute, die Regenschirme mit Anti-Regierungs-Zeichen trugen, wurden bestraft. Andere Leute, die einfach auf dem Platz spazieren gingen, wurden nicht behelligt.

"Wir haben in zwölf Fällen gegen die Entscheidung Berufung eingelegt", erzählt Podvršič. Viele Leute würden sich allerdings dafür entscheiden, die Strafe zu bezahlen, denn wenn man innerhalb von acht Tagen das Geld überweist, muss man nur 200 statt 400 Euro berappen.

"Spontane" Proteste

Weil auch die Organisatoren von Protesten mit Geldstrafen von etwa 10.000 Euro rechnen müssen, wurden die Proteste in den vergangenen Monaten "spontan" organisiert. Das "Rechtsnetzwerk zum Schutz der Demokratie" hat die Regierung aufgefordert, zu erklären, welche epidemiologischen Erkenntnisse als Basis für die Verordnungen verwendet wurden. Einige Verordnungen wurden zudem nicht einmal im offiziellen Amtsblatt veröffentlicht.

Vieles wird von den Höchstgerichten revidiert werden. Doch diese arbeiten natürlich langsamer als die Dekretschreiber in der Regierung. Der Verfassungsjurist Pirnat meint, dass die Gewaltenteilung in Slowenien noch funktioniere, dass der Druck auf die Staatsanwälte und Medien aber groß sei. "Janša hat den Geisteszustand eines Diktators", meint er. Der Premier würde denken, dass er über dem Gesetz stehe, er akzeptiere den Rechtsstaat nicht wirklich.

Aufregung um Europäische Staatsanwälte

Jüngst hat der Regierungschef etwa die Auswahl zweier Staatsanwälte, die zur Europäischen Staatsanwaltschaft entsandt werden sollten, einfach für nichtig erklärt, wohl weil sich die beiden nicht devot genug verhalten hatten. "Die Regierung hat in der Frage dieser Entsendung aber überhaupt nichts zu sagen", erklärt Pirnat die rechtliche Situation. "Sie kann die Kandidaten gar nicht auswählen, denn die Staatsanwaltschaft ist unabhängig."

Es gehe Janša wohl auch darum, Druck auf die Europäische Staatsanwaltschaft zu machen. Das kennt man aus Polen und Ungarn. Justizministerin Lilijana Kozlovič trat aus Protest gegen Janšas Aktion zurück.

Doch selbst dieser Rücktritt hat nicht dazu geführt, dass die Koalition zerfällt. Janša könnte bis zu den Neuwahlen im kommenden Jahr durchhalten. So lange werden wohl auch die Proteste gegen ihn weitergehen. (Adelheid Wölfl aus Ljubljana, 16.6.2021)