Auch heute noch kann sich Politik gegen die jahrhundertealten Ideale der Aufklärung wenden. Die Rezepte mögen sich in den Details unterscheiden, die Grundzutaten sind jedoch stets dieselben: Förderung dumpfer Vorurteile, Ablehnung einer offenen Debattenkultur, Wissenschaftsfeindlichkeit und quasireligiöses Sendungsbewusstsein.

Proteste in Budapest gegen Einschränkungen der Rechte sexueller Minderheiten durch die Orbán-Partei.
Foto: AFP/GERGELY BESENYEI

Selten aber tritt der Kampf gegen eine aufgeklärte Gesellschaft so offen zutage wie in dem neuen ungarischen Gesetz, mit dem die rechtsnationale Regierung von Premier Viktor Orbán Homosexualität noch mehr als bisher aus der Öffentlichkeit verbannen will. Es zieht so ziemlich gegen alles zu Felde, was Jugendliche bei der freien Entfaltung von Sexualität und sexueller Toleranz unterstützen könnte: etwa gegen schulische Programme, die für einen respektvollen Umgang mit sexuellen Minderheiten sensibilisieren; oder gegen Bücher für Jugendliche, in denen homosexuelle Beziehungen als Teil der gesellschaftlichen Normalität dargestellt werden.

Dass die Bestimmungen eingebettet sind in ein Gesetz, das strengere Strafen für sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vorsieht, ist – rein strategisch betrachtet – kein dummer Schachzug. Schärferes Vorgehen gegen Kindesmissbrauch wird weniger Gegner auf den Plan rufen als das gesetzliche Wegleugnen von Homosexualität. Die Vermischung beider Themen aber ist nicht nur unstatthaft, sondern gefährlich. Denn dafür, dass ausgerechnet das Totschweigen einer sexuellen Realität Heranwachsende vor Übergriffen durch Erwachsene schützt, spricht nun wirklich rein gar nichts. (Gerald Schubert, 16.6.2021)