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Vor dem Treffen mit Wladimir Putin traf sich Joe Biden mit den EU-Spitzen.

Foto: REUTERS/Yves Herman

Im März 2011 war Joe Biden, damals US-Vizepräsident, bei Wladimir Putin im Kreml zu Gast. Er flog nach Moskau, um den damaligen Ministerpräsidenten zu beruhigen. Vor allem versuchte er, ihm die Angst vor dem Raketenabwehrsystem zu nehmen, das die USA in Osteuropa aufbauen wollten. Beide standen einander direkt gegenüber, und in dem Moment sagte Biden, so beschreibt er es jedenfalls in seinen Memoiren: "Herr Ministerpräsident, ich schaue Ihnen direkt in die Augen, ich glaube nicht, dass Sie eine Seele haben." "Wir verstehen uns", habe Putin lächelnd erwidert. Und sie hätten sich tatsächlich verstanden, beendet Biden das Kapitel.

Um das mit der Seele zu verstehen, muss man zurückblenden ins Jahr 2001, als sich der damalige US-Präsident George W. Bush in Slowenien mit Putin traf und hinterher vor der Presse ins Schwärmen geriet. "Ich war in der Lage, einen Eindruck von seiner Seele zu gewinnen. Das ist ein Mann, der seinem Land und den Interessen seines Landes zutiefst verpflichtet ist."

Ruhig und streitlustig

Biden, damals Senator, machte kein Hehl aus seiner Skepsis. Er vertraue Putin nicht, erklärte er – und spielte ein Jahrzehnt später bei seinem Besuch im Kreml auf das Bush-Zitat an. Putin, schildert er in seinem Memoirenband, habe während der stundenlangen Unterredung eine "eiskalte Ruhe" ausgestrahlt, sei aber zugleich von Anfang bis Ende streitlustig gewesen.

Wiederum ein Jahrzehnt später, in einem seiner ersten Interviews als Präsident, wurde er von George Stephanopoulos, einst Regierungssprecher, heute Fernsehmoderator, gefragt: "Sie kennen Wladimir Putin, glauben Sie, dass er ein Killer ist?" "Das tue ich", antwortete der Mann im Weißen Haus.

Allein schon die Vorgeschichte sorgt dafür, dass die Erwartungen in Washington ausgesprochen gedämpft sind, wenn sich Biden und Putin am Mittwoch in Genf treffen. Der US-Seite gehe es darum, das bilaterale Verhältnis in berechenbare Bahnen zu lenken, damit man nicht von einer Krise in die nächste stolpere, doziert Andrea Kendall-Taylor, Russland-Expertin am Center for a New American Security, einem Thinktank.

Temperatur senken

"Biden will die Temperatur senken, er will verhindern, dass der Kessel explodiert." Außenpolitisch fokussiere er sich auf China, Russland sei im Vergleich deutlich weniger wichtig. Aber wisse er auch, dass ihm Putin das Leben schwermachen könne, wenn dieser sich nicht genügend beachtet fühle.

Bereits durch die Choreografie seiner Europareise hat Biden deutlich gemacht, wie er Putin zu begegnen gedenkt. Während der G7- und Nato-Gipfel und beim Treffen mit EU-Spitzen zelebrierte er den Schulterschluss mit den Verbündeten. Man stehe vereint, um Russland die Stirn zu bieten, wenn es in Europa provoziere, schrieb Biden in der Washington Post.

Offener Meinungsaustausch erwartet

Amerikanische Regierungsmitarbeiter, zitiert von der New York Times, erwarten in Genf einen offenen, schnörkellosen Meinungsaustausch. Eine gemeinsame Pressekonferenz, ließ das Weiße Haus wissen, stehe nicht auf dem Programm. Es sei besser, wenn Biden nach dem Gipfel solo vor die Journalisten trete, um "klar zu kommunizieren", über welche Themen er mit Putin gesprochen habe. (Frank Herrmann aus Washington, 16.6.2021)

Was sich Moskau vom Gipfel erwartet, lesen Sie hier: Putin trifft Biden: Diskutieren mit dem Oberlehrer