Dass chinesische Kampfjets in den Luftraum von Taiwan eindringen, ist eigentlich nichts Neues. Immer wieder in den vergangenen Monaten überflogen Maschinen aus dem Festland das Gebiet. Es ist eine Machtdemonstration Pekings und soll gleichzeitig den Anspruch auf das Land deutlich machen, das die kommunistische Partei als abtrünnige Provinz betrachtet. Am Mittwoch aber waren es 28 Kampfflugzeuge und Bomber – eine neue Dimension.

Hintergrund könnte die Erklärung der Nato vom Montag sein: Die Mitgliedsstaaten hatten zusammen mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden zum ersten Mal die Volksrepublik China als Bedrohung dargestellt. Bisher nämlich tauchte China im strategischen Konzept des Bündnisses nicht auf. Nun aber hieß es in der Abschlusserklärung: "Chinas erklärte Ambitionen und selbstbewusstes Verhalten stellen systemische Herausforderungen für die regelbasierte internationale Ordnung und relevante Bereiche der Sicherheit der Allianz dar." China erweitere sein Nukleararsenal schnell und arbeite außerdem militärisch eng mit Russland zusammen.

Die chinesische Propaganda-Presse schäumt seitdem: Die "China-Bedrohungs-Theorie" sei naiv, schrieb die nationalistische Zeitung Global Times. Auch die chinesische Vertretung in Brüssel sagte: Die Nato solle "Chinas Entwicklung rational betrachten" und nicht länger "verschiedene übertriebene Formen" einer "Bedrohungstheorie" verbreiten.

Grenzlinie Taiwan

Taiwan ist weit weg von Mitteleuropa, so weit, dass es hin und wieder mit Thailand verwechselt wird. Tatsächlich aber ist die geopolitische Bedeutung des Landes in den vergangenen Jahren riesig geworden. Nirgendwo kommen sich die beiden Supermächte USA und China näher als auf der Insel Taiwan. Nirgendwo sonst könnte ein Konflikt so leicht militärisch eskalieren.

Nach dem verlorenen Bürgerkrieg floh Maos Widersacher Chiang Kai-shek mit seiner Partei der KMT auf die Insel und stellte sich dort quasi unter US-Schutz. Für die Kommunisten unter Mao und alle seine Nachfolger aber war klar: Die Insel ist eine abtrünnige Provinz und muss früher oder später wieder mit dem Festland vereinigt werden.

Dass das Festland und die Insel, die einst den wohlklingenden Namen Formosa trug, zusammengehören, war lange auch die Meinung der politischen Oberschicht auf Taiwan. Mittlerweile aber ist eine neue Generation herangewachsen, die sich als eigene Nation fühlt und mit dem Regime in Peking nichts zu tun haben möchte.

Wirtschaftliche Interessen

Der Umgang der KP mit der Demokratiebewegung in Hongkong hat vielen Bewohnern Taiwans vor Augen geführt, dass eine Vereinigung mit dem Festland das Ende der Zivilgesellschaft bedeutete.

Für Peking geht es in Taiwan aber auch um wirtschaftliche Interessen. Die Insel mit ihren 23 Millionen Einwohnern ist in den vergangenen Jahren zu einem der größten Halbleiterproduzenten geworden. Das Unternehmen Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) ist der größte Hersteller weltweit.

Auf dem nach immer mehr Unabhängigkeit vom Weltmarkt strebenden chinesischen Festland dagegen herrscht eine Knappheit an Halbleitern. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 16.6.2021)