Autor Peter Rosei, wohnhaft in Wien und im Burgenland, vermisst die Träume und Illusionen neoliberaler Marktteilnehmer – und bleibt dabei jederzeit vorurteilsfrei.

Foto: Heribert Corn

Als Prosafigur, die mit beiden Beinen im Leben steht, kann einem nichts Besseres widerfahren, als von Peter Rosei erfunden worden zu sein. In Rosei-Romanen gelten nur die feinsten Unterschiede: solche zwischen Großmäulern und Leisetretern. Die einen, die glauben, das Glück für sich gepachtet zu haben, begegnen anderen, die auch der größte Schaden kein bisschen klüger macht.

Schon seit geraumer Zeit veröffentlicht Rosei in lockerer zyklischer Anordnung einen in sich abgeschlossenen Roman nach dem anderen. Allein seit 2009 ("Das große Töten") sind es sieben Stück. Heuer erschien, als Episodenwerk zwischen ungarischem Plattenbau und Brünner Vorstadt, "Das Märchen vom Glück". So entsteht, Stein für Stein, ein Kompendium hiesiger Verhältnisse, eine Enzyklopädie der – sehr frei nach Eckhard Henscheid – Unbedenklichkeit in der Erörterung geistiger Fragen. Dabei wird keiner Figur erzählerisch ein Haar gekrümmt. Der kürzeste Befund über den heimischen Markt neoliberaler Eitelkeiten lautet: Schwein gehabt, Karriere gemacht.

Heimisches Wimmelbild

Manche dieser gelernten Österreicher kommen erst in dem Moment zu sich, wenn sie meinen, andere übervorteilt zu haben. Wieder andere taumeln blindlings in den Untergang – und tragen dabei bis zuletzt ein siegesgewisses Lächeln zur Schau. Rosei ist seinen Geschöpfen, die irgendwann alle in das schöne Wien übersiedeln, der durchtriebenste Anwalt. Er schüttelt ihre Bewusstseinsinhalte durcheinander. Bis sie bereitwillig Weisheiten wie die folgende preisgeben: "Wie das Wasser hat auch die Luft keine Balken, so ist das." Man meint, Ödön von Horváth auf dem Heiligenstädter Friedhof kichern zu hören.

Rosei, der gelernte Jurist, zimmert seit bald 50 Jahren eine alpenrepublikanische "Comédie humaine". Sie ergibt ein Wimmelbild, in dem kein Federstrich zu viel vorkommt. Eher schon schlägt Rosei sich auf die Seite der Sentimentalen: Besser wissen es die Menschen halt nicht. Der neoliberale Kapitalismus nimmt ihnen die Luft zum Atmen.

Geld ist das Medium, in dem die Rosei-Figuren ihre Ansichten konvertieren. Die abstrahierende Wirkung der Währung nährt Illusionen, die sämtliche Marktteilnehmer voneinander hegen.

Notorisch reisefreudig

Als Sekretär des "Phantastischen Realisten" Ernst Fuchs schärfte Rosei in den Jahren vor 1970 seinen Blick: Auf dem Gebiet der Transaktionen macht ihm – bis heute – keiner etwas vor. Eine Wiederveröffentlichung zum heutigen 75. Geburtstag des in Wien und im südlichen Burgenland lebenden Dichters rückt eine weitere Facette in den Blick: In "Wer war Edgar Allan?" (1977) entführt der notorisch Reisefreudige in ein Venedig, das der Leser, zunehmend kopflos werdend, nur wie durch rußgeschwärztes Glas betrachten kann.

Auch das ist Peter Rosei: Der enge Freund H.C. Artmanns jongliert mit Bestandteilen der Moderne. Während der halluzinierende Held, ein Drogenesser vor dem Herrn, durch "La Serenissima" torkelt, ereignen sich die mysteriösesten Todesfälle. Contessen stürzen von Hausdächern; die Sätze des Romans aber zerspringen in abertausend Scherben.

Über die vermeintlichen Gewinner der neuen Weltordnung hat Rosei seinen Kommentar bereits abgeben. In "Die Globalisten" (2014) äußert eine Figur, die kein Wässerchen trüben kann, den Satz: "Wir versuchen doch alle nur, auf der goldenen Kugel zu tanzen, ganz egal, wie und wohin sie rollt." Rosei, der unentbehrliche Chronist unserer Gegenwart, wird sie noch lange in Bewegung halten. (Ronald Pohl, 17.6.2021)