Im Gastkommentar antwortet Ednan Aslan, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien, den Kritikerinnen und Kritikern an seinem Projekt der Islamlandkarte.

Die Islamlandkarte hat für Aufregung gesorgt – nun ist sie wieder online.
Foto: Screenshot islam-landkarte.at

Die Islamlandkarte hat eine internationale Debatte entfacht, mit deren Ausmaß und Dynamik bei der Präsentation mit Integrationsministerin Susanne Raab niemand gerechnet hat. Immerhin existiert diese Karte mit Unterbrechungen seit 2012, ohne nennenswerte Beachtung gefunden zu haben. Wenn, dann stets begleitet vom Vorwurf, dass hier mit staatlicher Förderung Werbung für Islamisten betrieben würde – während die nun lautstark auftretenden Kritikerinnen und Kritiker der Islamlandkarte in ihr ein Instrument rechtsradikaler Kräfte sehen. Diese Aufregung zeigt: Vieles, was über die muslimische Präsenz in Österreich zu sagen wäre, kann noch immer nicht in einer sachlichen Atmosphäre vorgetragen werden.

Eine Kollegin, die ich sehr schätze, verortet die Islamlandkarte im Narrativ des politischen Islams, sie beschwört die Verantwortung der Wissenschaft und pocht berechtigterweise auf einen differenzierteren Umgang mit islamischen Organisationen (siehe Sieglinde Rosenberger, "Auf dem politischen Terrain ausgerutscht", DER STANDARD, 10.6.). Leider spricht aus diesem Gastkommentar – wie aus vielen anderen Zeitungsberichten – eine sehr oberflächliche Wahrnehmung dieser Arbeit.

Langjährige Forschung

Die Islamlandkarte ist ein Produkt langjähriger Forschung zur muslimischen Bevölkerung Österreichs. Die Studien "Islamische Theologie in Österreich" (2012), "Zwischen Moschee und Gesellschaft – Imame in Österreich" (2012), "Imame und Integration" (2015), "Islamische Seelsorge in Österreich" (2015), "Muslimische Diversität" (2017), "Islamistische Radikalisierung" (2018) sind nur einige der Arbeiten, die sich intensiv mit muslimischen Organisationen und deren Akteuren auseinandersetzen. Allein die Studie "Imame und Integration" beruht auf Interviews mit 43 Imamen und weiteren Moscheefunktionären, in der Studie "Muslimische Diversität" kamen mehr als 800 Musliminnen und Muslime zu Wort, jene zur Seelsorge enthält eine Vielzahl von Gesprächen und Interviews mit Expertinnen und Experten.

Für die Islamlandkarte wurden und werden über dieses Grundlagenmaterial hinaus öffentlich zugängliche Dokumente, Pressemeldungen, Webpages usw. islamischer Vereine und Verbände mittels Dokument- und Diskursanalysen ausgewertet. In der zweiten Phase wurden zusätzliche Interviews mit Moscheeverantwortlichen geführt; die Vorstände der großen Dachverbände, die mehr als 250 Moscheeeinrichtungen betreiben, wurden persönlich aufgesucht und um Stellungnahmen gebeten. Nach der Veröffentlichung haben mein Team und ich der IGGÖ unsere Bereitschaft zur Überarbeitung der veröffentlichten Daten bekundet. Gleichwohl haben wir – bei allem damit demonstrierten Bewusstsein unserer wissenschaftlichen Verantwortung – mit unserer Arbeit weder Vollständigkeit noch Fehlerfreiheit beansprucht. Vielmehr war und ist es unser Anliegen, unsere Arbeit immer wieder neu zu reflektieren.

Bewusste Ignoranz

Die Verortung der Islamlandkarte im Narrativ des politischen Islams zeugt demnach von unzureichender Kenntnisnahme – wenn nicht bewusster Ignoranz – der ihr zugrunde liegenden wissenschaftlichen Intentionen und der daraus folgenden langjährigen Forschung. Die Karte ist vor der Gründung der Dokumentationsstelle für Politischen Islam entstanden und will nicht etwa als Werk verstanden werden, mit dem deren zukünftige Arbeit bereits weitgehendend erledigt wäre. Die Zusammenarbeit mit der Dokumentationsstelle wurde nach langen Diskussionen vertraglich geregelt und gestaltet sich in vollem Einklang mit den Bestimmungen dieses Vertrags. Dies wurde mir auch seitens der Universität Wien mehrfach bestätigt. Andernfalls wäre die Weiterführung der Landkarte nicht möglich gewesen.

Angesichts des Anspruchs, die muslimische Vielfalt wissenschaftlich fundiert und umfassend darzustellen, kann die Islamlandkarte das Thema politischer Islam nicht einfach unter den Tisch fallenlassen. Seit Jahren prägt der politische Islam den innerislamischen Diskurs und setzt mit provokativen Aktionen, mit dem Schüren antiwestlicher Ressentiments die muslimische Community unter Druck.

Unsachliche Diffamierung

Die Migrationsforschung wiederum hat mit ihrer beharrlichen Darstellung von Menschen muslimischen Glaubens als schutzbedürftigen Opfern und mit ihrer unsachlichen Diffamierung des innerislamischen Diskurses nicht wenig dazu beigetragen, dass der politische Islam samt seinen Strukturen ohne größeren Widerstand in Europa Fuß fassen konnte. Eine gewisse Unredlichkeit wiederum vermeine ich bei einigen Kolleginnen und Kollegen zu entdecken, die sich selbst als aufgeklärte Kirchenkritiker verstehen, aber Moscheekritik als rechtsradikal denunzieren und mich der Pauschalisierung bezichtigen.

Ein weiterer Vorwurf besteht darin, dass die Islamlandkarte anfällig für Missbrauch durch die Politik sei. Aber Wissenschaft kann nie darüber bestimmen, was die Politik aus ihren Erkenntnissen macht. So haben sich gerade in den letzten Jahren und Monaten nicht wenige Kollegen mit Solidaritätsbekundungen für fragwürdige internationale Netzwerke und mit Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Österreich hervorgetan – alles Äußerungen, die in den staatlich gelenkten Medien autoritär regierter Länder gerne zitiert und als Unterfütterung der eigenen antiwestlichen Rhetorik benutzt werden.

Nun würde ich diesen Kollegen niemals unterstellen, dass sie die Positionen von Regierungen stärken wollen, die für Krieg, Vertreibungen, Morde und Arbeitsverbote für Wissenschafter verantwortlich sind. Weil es eben nicht in ihrer Hand liegt, wie mit ihren Befunden umgegangen wird. Ähnliche Fairness würde ich mir für die Islamlandkarte wünschen. Deren Urheber sehen es als ihre Aufgabe, die islamischen Organisationen wissenschaftlich fundiert in ihrer theologischen, ideologischen und politischen Vielfalt darzustellen, und sie verwehren sich entschieden gegen jegliche Vereinnahmung durch die Politik.

Versachlichung der Debatte

Ungeachtet aller Kritik bin ich nach wie vor überzeugt, dass diese Karte die öffentlichen Debatten versachlichen wird und der muslimischen Bevölkerung jene Sichtbarkeit verleiht, die sie sich so wünscht – mit allen ihren positiven und problematischen Aspekten. (Ednan Aslan, 17.6.2021)