Der Blick aus dem Forschungsflugzeug auf das arktische Meereis zeigt den problematischen Schwund im Sommer.

Foto: Alfred-Wegener-Institut / Esther Horvath

In der zentralen Arktis hat sich das Eis schneller zurückgezogen als je zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen. Das haben Wissenschafter während der einjährigen "Mosaic"-Expedition des Forschungsschiffes "Polarstern" nachgewiesen. Die Ausdehnung des Eises sei im Sommer 2020 nur noch halb so groß wie vor Jahrzehnten gewesen, sagte der damalige Fahrtleiter Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) bei einer Zwischenbilanz acht Monate nach dem Ende der Expedition.

Warnung vor "unkontrolliertem Kaskadeneffekt"

Zugleich sei das Eis nur noch halb so dick wie vor fast 130 Jahren gewesen. Im Herbst 2020 habe sich das Eis wiederum viel später geschlossen als je zuvor. "Durch die lange eisfreie Zeit im Sommer konnte der Ozean große Mengen an Wärme aufnehmen und speichern", sagte Rex. Grundlage dieser Ergebnisse sind über 150 Terabyte Daten und mehrere 10.000 Proben von Eis, Schnee, Wasser und Luft, die die Expedition mit nach Hause gebracht hat.

Erst die Auswertung der nächsten Jahre werde zeigen, ob das ganzjährige arktische Meereis noch zu retten sei, sagte Rex. Er warnte, sollte die sommerliche Arktis eisfrei werden, könne dies "unkontrollierte Kaskaden" auslösen. Diese könnten die Erderwärmung immer weiter antreiben. "Das Auslösen des Kipppunktes, der zum Verschwinden des sommerlichen Meereises in der Arktis führt, steht unmittelbar bevor", betonte Rex. "Wir werden womöglich die letzte Generation sein, die eine eisbedeckte Arktis im Sommer erlebt hat", sagte auch Meereis-Physikerin Stefanie Arndt, eine der insgesamt 300 internationalen Forschenden an Bord der "Polarstern".

Wärmeattacken aus dem Ozean

Verantwortlich für die deutliche Abnahme des Meereiswachstums insbesondere im Winter ist unter anderem der Einstrom warmer Wassermassen aus dem Nordatlantik in die europäischen Randmeere des Arktischen Ozeans. Das konnten Meereisphysiker vom AWI gemeinsam mit Forschenden aus den USA und Russland in zwei neuen Studien nachweisen.

In den Arbeiten im "Journal of Climate" und im Fachmagazin "The Cryosphere" zeigen die Wissenschafter zum einen, dass die Wärme aus dem Atlantik das winterliche Eiswachstum in der Barents- und Karasee bereits seit Jahren hemmt. Zum anderen können sie belegen, dass Wärmeattacken atlantischer Wassermassen auch weiter östlich, am Nordrand der Laptewsee, das Eisdickenwachstum mitunter so nachhaltig beeinflussen, dass die Effekte selbst ein Jahr später noch nachweisbar sind, wenn das Eis über den Nordpol Richtung Grönland gedriftet ist und die Arktis durch die Framstraße verlässt.

Die neuen Studien unterstreichen die Bedeutung von Langzeitdatenreihen für die Meereisforschung in der Arktis. "Wenn wir die Veränderungen des arktischen Meereises verstehen wollen, sind Langzeitbeobachtungen der Eisdicke mit Hilfe von Satelliten und Flugzeugen unverzichtbar. Gemeinsam mit Modelldaten zeichnen sie ein Gesamtbild mit jener Detailschärfe, die wir benötigen, um die wirklich entscheidenden Prozesse der sich verändernden Arktis zu identifizieren", sagt AWI-Meereisphysiker Jakob Belter.

Klimadaten besser zugänglich

Grundlage dieser Erkenntnisse sind globale Klimadaten, die Klimaforscher nu auch besser der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen. Über das neue Online-Portal "ISIpedia" bietet ein Team aus zwölf Forschungsinstituten – darunter das Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien – Daten und Erklärungen zu den Auswirkungen der globalen Erwärmung – von Überschwemmungen bis hin zu Dürren. Die Forscher erklären ihre Studien und brechen globale Ergebnisse auf Länderebene herunter.

Ziel des Projektes sei es, die Beweise auf den Tisch zu legen, damit sowohl Bürger als auch Unternehmen und Politiker bestinformierte Entscheidungen treffen können, wenn es um das Handeln in der Klimakrise geht. "ISIpedia" steht für "Inter-Sectoral Impacts Encyclopedia", weil das Portal auf Forschungsarbeiten basiert, die im Rahmen des "Inter-Sectoral Impact Model Intercomparison Project" durchgeführt wurden, an dem weltweit rund 100 Forschergruppen beteiligt sind. Durch den einheitlichen Rahmen für verschiedenste Computersimulationen von Klimafolgen ermöglicht das Projekt konsistente und robuste Projektionen der Auswirkungen des Klimawandels.

Klimaauswirkungen auf Länderebene

Neben Artikeln in den drei Kategorien "Beobachtete Auswirkungen des Klimawandels", "Modellevaluation" und "Zukunftsprojektionen" stellt das Portal Klimaauswirkungen auf Länderebene konkret dar. So erfährt man etwa über Österreich, dass sich seine Treibhausgasemissionen bis 2030 mit 84,7 Megatonnen CO2-Äquivalent kaum gegenüber 2017 verändern, ebenso wie sein Anteil an den globalen Treibhausgasemissionen (0,15 Prozent). Zudem kann man herausfinden, ob sich durch den Klimawandel hierzulande etwa die Gefährdung durch Flussüberschwemmungen oder Dürren erhöhen wird. (red, 19.6.2021)