Der Corona-Blues macht alle so furchtbar hibbelig: Tamara Stern (re.) und das Ensemble des "aktionstheater ensembles" erobern mit einer Monologe-Collage das Meidlinger Werk X.

Foto: Breitwieser

Bei vielen hat erst die soziale Ruhigstellung durch die Pandemie für eine besondere Ausgewogenheit ihrer Work-Life-Balance gesorgt. Für Single-Frau "Isabella" (Isabella Jeschke) hat sich Corona sogar als Volltreffer erwiesen. Das Stretch-Kleid, an dem sie auf der Bühne des Meidlinger Werk X vor lauter Hyperventilation unablässig zerrt und nestelt, spannt sich unübersehbar über einem niedlichen Babybauch.

Sollte Isabella – alleinstehend, freizeitaktiv – während der vergangenen Monate dennoch an Vereinsamung gelitten haben, so hat sie den Blues erfolgreich heruntergewürgt. In "Lonely Ballads eins + zwei", der neuen Produktion von Regisseur Martin Grubers "aktionstheater ensemble", steht ihr für allfällige Sentimentalitätsanwandlungen ein "laid back" aufspielendes sechsköpfiges Ensemble mit Ergriffenheitsmusik zur Seite. Das Herz geht einem auf bei diesem Liederkreis im Geist der Americana, hübsch dezent vorgetragen hinter transparenten Wänden (Bühne: Valerie Lutz). Als hätten Nick Cave & The Bad Seeds zusammen mit ein paar entflohenen Benediktinermönchen eine Singgemeinschaft gegründet.

Diese famose Combo, optisch angeführt von Sänger/Drummer Andreas Dauböck, bildet das innige Zentrum einer nach Verschiebungen nunmehr in Wien zur Uraufführung gebrachten Doppelpremiere.

Extrem skurril

In die Hände Isabellas, des wirren Sterntalermädchens, sind ein paar Corona-Euros aus den Unterstützungsfonds geprasselt. Schon ist die Gute wieder obenauf: Kauft in der Mediamarkt-Filiale ihres Vertrauens einen Beamer zum Diskontpreis. Und lässt sich vom Kundenberater prompt schwängern.

Drei weitere Monologe fügen dem generellen Befund die eine oder andere Skurrilität hinzu. Der grundsätzliche Tenor müsste lauten: Der neoliberale Kapitalismus lässt ausgerechnet seine bravsten Adepten emotional im Regen stehen. Ein Bodenturner in Damenwäsche (Thomas Kolle) referiert über sein privates Leid als "Küchennazi". Eine Berliner Jüdin (Tamara Stern) hortet ein wahres Arsenal an Verhaltensauffälligkeiten. Ein infantil gebliebenes Muttersöhnchen (Benjamin Vanyek) kann die Namen aller U1-Stationen unfallfrei hersagen und versteht sich ansonsten auf das Malen von Apfelbäumen in der Nachfolge Gustav Klimts.

So viel unbedingter Wille zur Extravaganz, hyperaktiv realisiert und jeweils ölkreidendick unterstrichen, löst beim Zuschauer erst Bedenken, schließlich Völlegefühle aus. Was hat der Exhibitionismus dieser sympathisch verpeilten Einsamkeitsathleten eigentlich mit Corona zu schaffen? Doch schon wegen der erhebenden Musik lohnt sich ein Besuch in Meidling. (Ronald Pohl, 17.6.2021)