Die Juroren Philipp Tingler und Vea Kaiser vor den Bildschirmen, die die Videolesung der Kandidaten übertragen.

Foto: Puch Johannes

Klagenfurt – Die ersten Texte des Bachmannpreises gingen süffiger runter als die Eröffnungsrede von Hubert Winkels am Mittwochabend. Der Ex-Juror machte aus der traditionellen Klagenfurter Rede zur Literatur eine zur Literaturkritik. Sie sei in eine "dienende Funktion" nicht gegenüber dem Werk, sondern dem Publikum geraten, beklagte er. Denn Medienmacher schielten auf Klickzahlen und Einschaltquoten.

Hintergrund dafür waren etwa in deutschen Radiosendern jüngst gekürzte Literatursendungen. Die Schimpfrede wider vorauseilend gehorsame Niederschwelligkeit traf insofern Punkte, zugleich meldete sich darin aber auch das alte Feuilleton zu Wort und pochte auf ein hoheitliches Recht. Autorengespräche? Gibt es für Winkels zu viele!

Auf Twitter fühlten sich manche User im literaturwissenschaftlichen Seminar, andere boten Übersetzungen der mit hochtrabenden Begriffen verstellten Rede an. Winkels betonte die Literaturkritik als Thema "von allgemeinem öffentlichen Interesse". Wer das will, sollte angesichts sinkender Leserzahlen aber vielleicht nicht die Nase über ein breites Angebot an Zugängen rümpfen. Etwa ist der Kurznachrichtendienst Twitter zum besten Begleitprogramm der Lesungen geworden.

Lebensverändernder Sex

"Klagenfurt ist furt", kommentiert ein Nutzer, nachdem bei der ersten Autorin die Videolesung hakte. Als es dann klappte, erzählte Julia Weber von einer lebensverändernden lesbischen Sexszene. Vea Kaiser freute sich darüber, insofern das "bisher eine Domäne alter weißer Autoren war, die es noch schlimmer gemacht haben, als es eh schon ist", war aber nicht zufrieden. Tatsächlich gerieten die Beschreibungen zäh statt sinnlich. Während Klaus Kastberger rote Schamhaare und den Text als den "besten, den Michael Wiederstein je nominiert hat" verteidigte, war er für Philipp Tingler nur "unglaublich verstaubt".

Stimmt, obwohl die angerissenen Schönheitsnormen als Nebenthema eigentlich ebenso aktuell sind wie der Wohnraumkapitalismus bei Heike Geißler danach. Ihr Text fiel aber noch einhelliger durch. Eine "Lastenfahrradladung von Befindlichkeiten", ortete Mara Delius. Auch Brigitte Schwens-Harrant ließ das kalt, obwohl sie sich fragte: Wie geht heutige Literatur mit der an der Gesellschaft scheiternden Frau um?

"Knalleffekt" besser als nichts

Viel Wohlwollen hingegen erntete Necati Öziri für seinen (vermeintlichen) Abschiedsbrief an den Vater, der einst die Familie verlassen hat. Zu viel "Knalleffekt" mäkelte Tingler, was Kaiser egal war: "Wenn es ein Text nur schafft, mich emotional zu berühren, ist das mehr, als ein Großteil der Literatur hinkriegt."

Manche Diskussionen gerieten angriffslustig. Insa Wilke gibt es auch heuer nicht auf, das Gute in Texten zu suchen, was man von Tingler nicht behaupten kann. Ausgerechnet er fand aber Magda Woitzucks Text "grandios". Die erste Österreicherin fiel mit ihrer die Handlung sehr aufzählenden Geschichte einer Krankenschwester, die im Wald eine tote Nachbarin findet, sonst ziemlich durch. Ähnlich erging es Katharina Ferners surrealen Miniaturen über den Zustand der Welt von Umweltzerstörung bis zum Antifeminismus. "Muss man schreiben, bloß weil man die technischen Möglichkeiten dazu hat?", ätzte Tingler. Kastberger hat den Job dagegen verstanden: "Ihr seid hier angestellt, um Erklärungen zu liefern!" (wurm, 17.6.2021)