Sommer und Strand sind immer auch Schauplätze einer knallharten Körperkultur.

Foto: Imago / Chris Emil Janßen

Ein farbenfroher Rock mit stufigen Volants, der hatte es dem Mädchen angetan. Es war eine "kunterbunten Wolke", wie die Autorin Melodie Michelberger auch 35 Jahre später noch schwärmt. Doch es hat sich nicht eine große Freude am Tragen dieses Rocks in ihre Erinnerung eingebrannt, sondern die Feststellung ihrer Mutter, dass sie Volants nicht tragen könne. Dass so was doch auftragen würde, kurz: ihr Hintern dafür zu dick sei.

Das war der Anfang eines langen Kampfes, den Michelberger mit ihrem Körper austrug und von dem sie in ihrem Buch Body Politics erzählt. Das Bewusstsein eines "zu großen Körpers" begleitete sie jahrzehntelang, und sie hat es, wenn sie ehrlich ist – und das ist Michelberger –, noch immer nicht ganz vertrieben.

Die Autorin war persönlich und auch beruflich als Mitarbeiterin bei verschiedenen Frauenzeitschriften mittendrin – und abwechselnd war sie magersüchtig, sport- und diätabhängig.

Melodie Michelberger, "Body Politics". 18,90 Euro / 224 Seiten. Rowohlt-Polaris-Verlag 2021
Cover: Rowohlt

Einblick in die Mode- und Beautybranche

Viele Frauen um die vierzig oder fünfzig werden sich erinnern, was hinsichtlich Diäten vor etwa dreißig Jahren gerade hip war, wenn sie Michelbergers Buch lesen. An die Reisdiäten, die Saftkuren und natürlich die Brigitte-Diät, für die Michelberger sogar selbst einmal fröhlich Gemüse putzend auf dem Cover dieses regelmäßig erscheinenden Sonderhefts abgebildet war.

Auch sonst war die heutige scharfe Kritikerin rigider Körpernomen vorne mit dabei und bietet daher einen Einblick in die Mode- und Beautybranche, wie ihn sonst nur wenige Aktivistinnen haben. Sie erzählt von kollektiven Diätwochen in der Betriebskantine und von Fotoshootings mit Klamotten, für deren Größe der passende Körper hermusste – und nicht die passende Konfektionsgröße für den Körper.

Wo kommen wir denn da hin, wenn jedes Model eine andere Größe hat? Nur so bleibt es billig und für potenzielle Käuferinnen die Arbeit am Standardkörper maximal groß – womit viele Branchen bestens verdienen.

Wandel der Sprache

Michelberger beschreibt auch den Wandel der Sprache in Frauenzeitschriften, die gestern wie heute den Ton einer guten Freundin als Tippgeberin für die Arbeit am Körper hat. Mit ein paar feinen, aber wichtigen Unterschieden: Diäten sind inzwischen etwas in Verruf geraten, nachdem Millionen Menschen am eigenen Leib erfahren haben, dass sie nichts bringen, was inzwischen auch Studien belegen.

So musste man zumindest diskursiv etwas umsatteln, von der Anleitung für die schlanke Linie hin zur "gesunden Lebensführung". Aus Weight Watchers wurde WW, aus der Brigitte-Diät wurde Brigitte Balance, aus "FDH" Intervallfasten, aus "Diätplänen" "Clean Eating".

Und so stecken unzählige Menschen weiter in einer Spirale aus Selbsthass und unablässiger Körperarbeit. Rauszufinden ist schwer angesichts des Getöses einer auf das Äußerliche fixierten Gesellschaft, die sich längst für die Belange der Diät- und der Schönheits-OP-Industrie, der Sport- und Wellnessindustrie hat einspannen lassen. "Diätkultur" nennt das Michelberger, die herausarbeitet, wie sehr wir in ein "unsichtbares Netz aus Definitionen und Glaubenssätzen, das den Wert eines Menschen anhand seines Äußeren definiert", verstrickt sind.

Liebe dich doch!

Elisabeth Lechner, "Riot, Don’t Diet! Aufstand der widerspenstigen Körper". 22,– Euro / 240 Seiten. Kremayr & Scheriau 2021
Cover: Kremayr Scheriau

Doch was dagegen tun? Elisabeth Lechner stellt in ihrem Buch Riot Don’t Diet – ein Titel, der eigentlich schon eine Antwort liefert – diese Frage. Sie legt damit ein wichtiges Buch über die aktuellen Entwicklungen und Aktivismen rund um Körperpolitik vor.

Lechner skizziert, woher die verschiedenen Bewegungen kommen, was sie können und wodurch sie womöglich nur mehr zahnlose und einer neoliberalen Logik unterworfenen Slogans geworden sind. "Body-Positivity" als fröhlicher Aufruf an alle Frauen, sich doch bitte jetzt schön zu finden, ist so ein Slogan.

Ein paar dicke Frauen auf Magazincovers oder in Werbekampagnen und Anleitungen, wie man sich so zu lieben lernt, wie man ist, und fertig. Die Unterdrückung von Frauen lief jahrtausendelang über ihren Körper. Deshalb funktioniert es nicht, ihnen jetzt einfach zu sagen: Habt bitte ein unkompliziertes Verhältnis zu eurem Körper, liebt ihn doch! Jetzt müssen Frauen es auch noch hinkriegen, plötzlich drüberzustehen.

Erhellende Mechanismen

Wie Lechner steht dem auch Michelberger kritisch gegenüber. Konnte sie doch am eigenen Leib erfahren, wie sie plötzlich von Magazinen zur Vorzeigefrau in Sachen Body-Positivity gemacht wurde, zur Vorreiterin eines "neuen Instagram-Trends". Warum gerade sie? Weil sie mit ihrem Körper gerade noch das repräsentiert, was akzeptabel sei, schreibt Michelberger. Weil ihre Figur zwar anders sei, aber gerade noch keinen Ekel auslöse.

Genau solche Affekte, Ekel oder auch Scham, sind erhellende, weil kulturell unterfütterte Mechanismen, wie Elisabeth Lechner hervorragend zeigt. Ekel, schreibt sie, ist ein ambivalentes Gefühl, das einerseits kulturelle Grenzen ausdrückt. Trotzdem suchen viele die Nähe zu dem, wovor man sich ekelt. Als Beispiel für Ekel bei gleichzeitiger Faszination für Grenzüberschreitungen in Körperbelangen führt Lechner die Aufregung um Lena Dunham an. Die Macherin und Hauptdarstellerin der US-Serie Girls setzte ab 2013 damit neue Maßstäbe in Sachen Körperbilder, die sie erfolgreich im Mainstream platzierte.

Dass Lena Dunham keinen normschönen Körper hat und trotzdem in der Serie oft und sichtlich gern nackt ist, war ein Faszinosum für die Massen. Der Diskurs über die immer prominenter werdende Dunham changierte jahrelang zwischen Abscheu vor ihrem Körperfett und einem bewundernden Stauen über das Körpergefühl einer jungen Frau, das völlig befreit vom gängigen Ideal zu sein scheint.

Ungesunder Körperkampf

Zahlreiche Menschen in sozialen Medien wollten über abwertende Kommentare Abstand gewinnen, zeigen, dass sie selbst nicht so "undiszipliniert" und "schwach" seien, also all das, wofür dicke Menschen in unserer Gesellschaft oft Pate stehen müssen. Doch ebendiese Debatte zeigte auch, wie verheißungsvoll die Vorstellung ist, dass wir nicht mehr alle den gleichen Körper haben wollen. Was, wenn es sich um Längen besser lebt, wenn wir drauf pfeifen?

Sehr viel Leid würde vermieden werden. Denn während derzeit intensiv vor den Folgen einer anrollenden Adipositas-Epidemie gewarnt wird, bleiben die zahllosen Verletzungen aufgrund des herrschenden Schlankheitsdiktats völlig unberücksichtigt. Solange Gesundheitsbehörden auf Adipositas fixiert seien, entgingen ihnen die enormen Qualen, die durch "bizarres Ess- und Nichtessverhalten, durch Ritzen, ein Übermaß an Sport und Fitnesstraining" entstehen, schreibt Susie Orbach.

Die Psychotherapeutin und Autorin ist die Koryphäe schlechthin für Analysen über die Verzahnung gesellschaftlicher Anforderungen und individuellen Körperbewusstseins, die sie seit über 40 Jahren vorlegt.

Körper als Visitenkarte

Susie Orbach, "Bodies. Vom Kampf mit dem Körper". 20,60 Euro / 256 Seiten. Arche- Literatur-Verlag 2021
Cover: Arche-Verlag

In der überarbeiteten Neuausgabe ihre Bestsellers Bodies. Kampf um den Körper untersucht Orbach, was es bedeutet, dass der Körper zu einer "unendlich formbaren Visitenkarte" geworden ist, zu einem gestaltbaren "Ort der Selbstdefinition".

Die Arbeit am Körper ist mehr denn je ein wichtiges To-Do für alle, schreibt sie. Wer diese Arbeit nicht ernst nimmt, dem fehle die Kontrolle, der Antrieb. Orbach untersucht den zeitgenössischen Körper somit als etwas, durch das wir eine Art Leistungsschau und maximale Selbstverantwortung zelebrieren, und geht damit nichts Geringeres als eine Theorie des Körpers unserer Zeit an.

Die eine wesentliche Entwicklung sei die Arbeit am Körper als Wert an sich, die andere, dass technologische Entwicklungen eine neue Unabhängigkeit vom Körper und physischen Prozessen versprechen. Unser Verhältnis zum Körper zwischen künstlicher Intelligenz, Schnapchat-Dysmorphie, Trans-Bewegung, #MeToo, Leihmutterschaft und den Kardashians ist somit zu einer hochkomplizierten Sache geworden, die Orbach anhand von konkreten Fallbeispielen durchdenkt: von einem starken Zwang eines jungen Mannes, alles, was er zu sich nimmt, bis ins letzte Detail zu analysieren, bis hin zu einem anderen, der ein Leben in einem Körper mit zwei gesunden Beinen nicht erträgt und durch Selbstverletzung eine Amputation erzwingt – und dann tatsächlich glücklich wird, ohne Beine.

Warum begehren Menschen einen bestimmten Körper, fragt Orbach, und weshalb denken wir, dass es uns befreien würde, hätten wir ihn nur endlich? Und warum ist es in manchen Fällen tatsächlich so?

Schmaltalk und Körperhass

Gerade zum Umgang mit dem Körper gibt es genug Handlungsanleitungen. Davon lassen diese Autorinnen bewusst die Finger. Eine Idee von Melodie Michelberger klingt aber gut: Man könnte die ständigen Kommentare über den eigenen und andere Körper doch einfach lassen.

Dass wir uns nicht "beherrschen" oder zum Sport einmal wieder nicht "motivieren" konnten, das Jammern über die "Corona-Kilos": einfach kurz und knapp antworten, schlägt Michelberger vor, dass man grundsätzlich nicht über Essverhalten, Diäten, Gewichtsverlust oder wer was alles tue, um nicht dick zu sein, spreche. Kein als Schmaltalk getarnter Körperhass mehr. (Beate Hausbichler, ALBUM, 19.6.2021)