Wer schon einmal eine Abschlussarbeit geschrieben hat, kennt das Gefühl: Der Abgabetermin rückt näher, und die letzten 20 Seiten wollen sich nicht füllen. In der Verzweiflung ist manchen wohl der Gedanke gekommen, einen Ghostwriter anzuheuern. Im Netz gibt es zahlreiche Anbieter, die gegen Geld wissenschaftliche Arbeiten anfertigen. Doch die Schreiber bekommen Konkurrenz: von künstlicher Intelligenz (KI).

Die Organisation Open AI hat im Vorjahr die hochleistungsfähige Sprach-KI GPT-3 präsentiert, die auf Knopfdruck Texte schreibt. GPT-3 wurde mit 499 Milliarden Wörtern und Zahlen trainiert, etwa aus der Wikipedia. Es ist so, als hätte man das Internet ausgedruckt, Textschnipsel ausgeschnitten und in einen Trichter gestopft. Nach dem Motto: Friss, Maschine!

Blogs, Essays, Liebesbriefe, Gedichte, Drehbücher – die Maschine beherrscht das gesamte Schreibrepertoire.
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Anhand der Daten hat der Algorithmus gelernt, Muster in Texten zu erkennen. Etwa haben Autoren Lieblingswörter oder verwenden öfter bestimmte Stilmittel. Die statistische Häufigkeit von Wort- oder Buchstabenfolgen macht sich GPT-3 zunutze: Die KI sagt bei der Eingabe eines Texts die nächsten Worte voraus. Ähnlich wie die Autokorrektur in Messengern – nur viel komplexer. GPT-3 nutzt 175 Milliarden Parameter – Stellschrauben, an denen die KI so lange dreht, bis die Ergebnisse passen. So viel PS hatte bislang noch kein KI-System. Zum Vergleich: Googles Chatbot Meena, der Konversationen führen kann, hat 2,6 Milliarden Parameter.

Schreiben wie ein Dichter

Blogs, Essays, Liebesbriefe, Gedichte, Drehbücher – die Maschine beherrscht das gesamte Schreibrepertoire. Man wirft ihr ein paar Brocken hin, schon spinnt sie einen logisch kohärenten Text. Das intelligente Sprachmodell adaptiert dabei auch verblüffend gut den Stil von Autoren. So hat der Autor und Programmierer Gwern Branwen GPT-3 unter anderem Gedichte von Edgar Allen Poe oder Dylan Thomas fortschreiben lassen. Schreiben wie die Großen – was ambitionierte Autoren nicht schaffen, gelingt einer KI in ein paar Minuten. Ist das "nur" die hohe Kunst der Mathematik? Oder schon maschinelles Creative Writing?

Doch so groß die Potenziale der schreibenden Algorithmen sind, so groß ist ihr Missbrauchspotenzial. Mit hochkomplexen Sprachgeneratoren lassen sich einfach Fake-News produzieren. Der Vorgänger von GPT-3 wurde von den Entwicklern auch als "zu gefährlich" eingestuft, der Quellcode unter Verschluss gehalten. Das sorgte bei Experten für Spekulationen, sie hielten die KI für einen Bluff. Schließlich wurde das Programm doch als Vollversion ins Netz gestellt. Beim Nachfolger ist der Zugang restriktiver: Man muss sich für die Nutzung bewerben.

Das hält findige Tüftler aber nicht davon ab, das Tool zu nutzen. Ein amerikanischer Informatikstudent hat mit GPT-3 einen Blogbeitrag geschrieben, der es auf Platz eins der Website Hacker News schaffte. Doch bekäme eine Maschine bessere Noten als ein Mensch? Die US-Seite EduRef.net wollte das herausfinden. Sie ließ Absolventen und Studierende sowie GPT-3 Essays über Forschungsmethoden, amerikanische Geschichte, kreatives Schreiben und Recht schreiben und Professoren die anonymisierten Texte prüfen.

Das Resultat: Die KI schnitt in allen Fächern schlechter ab, aber nicht so schlecht, wie man es hätte erwarten können. In Geschichte und Recht erhielt sie einen Zweier. Nur im kreativen Schreiben kassierte sie ein Nicht genügend – in Kreativität hat GPT-3 noch Nachholbedarf. (Adrian Lobe, 1.7.2021)