Carmen Thornton ist selbstständige Rechtsanwältin in Wien. Ihre Kanzlei ist spezialisiert auf Trennungen und Scheidungen sowie Obsorge- und Unterhaltsverfahren. Für den STANDARD schreibt sie zum Thema Familienrecht.

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Ein großer Nachteil des sogenannten Außerstreitverfahrens ist die mangelnde Transparenz, schreibt Carmen Thronton.

Bei vielen familienrechtlichen Streitigkeiten, zum Beispiel bei Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren, handelt es sich um sogenannte Außerstreitsachen. Für sie ist eine besondere Verfahrensordnung vorgesehen, nämlich das Außerstreitgesetz. Das bedeutet zwar nicht, dass hier weniger gestritten wird, denn oft ist genau das Gegenteil der Fall, allerdings sind Außerstreitverfahren flexibler und weniger formell als "normale" Zivilverfahren. Diese Verfahrensregeln sollen es dem Gericht ermöglichen, schnell und flexibel Entscheidungen zu treffen, um rasch auf aktuelle Entwicklungen eingehen zu können.

So sinnvoll dieser Ansatz auch ist, er bringt in der Praxis leider viele Probleme mit sich. Ein großer Nachteil des Außerstreitverfahrens ist die mangelnde Transparenz. Oft werden die Parteien von Beweisaufnahmen außerhalb der Verhandlung nicht einmal informiert – außer sie haben dies explizit beantragt, was vor allem unvertretene Parteien meist nicht wissen. So telefonieren Richterinnen und Richter mit der Familiengerichtshilfe, Besuchsbegleitern und manchmal auch mit Parteien und erstellen dazu nur kurze Aktenvermerke, die den Parteien manchmal nicht einmal zugestellt werden.

Befragungen kaum überprüfbar

Befragungen werden nicht aufgezeichnet und sind kaum überprüfbar. Befragungen der Kinder finden oft ohne Anwesenheit der Rechtsvertreter statt. Die Protokolle der Aussagen sind manchmal nur eine kurze Zusammenfassung. Nachfragen sind dann kaum möglich. Auch Gespräche der Eltern und Kinder mit der Familiengerichtshilfe finden ohne Anwesenheit der Rechtsvertreter statt, es gibt keine Videoaufzeichnungen und nicht einmal Protokolle, die den Inhalt des Gesprächs transparent nachvollziehbar machen. Da die Berichte und Empfehlungen der Familiengerichte oft die wichtigste Entscheidungsgrundlage darstellen, ist ein wesentlicher Teil des Verfahrens für die Parteien de facto nicht überprüfbar. Das ist vor allem deshalb problematisch, weil die Entscheidungen des Gerichts sich unmittelbar auf das Leben der Beteiligten auswirken und manchmal dazu führen, dass ein von den Eltern vor der Trennung über Jahre praktiziertes Lebensmodell von einem Tag auf den anderen geändert werden muss.

Erfahrene und empathische Richterinnen und Richter wissen den großen Entscheidungsspielraum und die Flexibilität des Außerstreitgesetzes zu nutzen, indem sie streitlustige Parteien durch eine rasche und stringente Verfahrensführung schnell wieder einfangen und Ruhe in eine Familie bringen, um die Kinder aus der "Schusslinie" zu nehmen.

Ständige Angst, die Kinder zu verlieren

Diese Flexibilität und mangelnde Transparenz kann aber auch zu endlosen und unkontrollierbaren Verfahren führen, die geprägt sind von immer neuen Anträgen, uferlosen Schriftsatzwechseln und Eingaben mit den abenteuerlichsten Anschuldigungen. Nach einer strittigen Trennung leben die Eltern oft jahrelang in permanenter Unsicherheit und in der ständigen Angst, ihre Kinder zu verlieren.

Gerade wegen der unmittelbaren Auswirkung von gerichtlichen Entscheidungen sollte die Entscheidungsfindung möglichst transparent, nachvollziehbar und vorhersehbar sein. Wenn die Parteien das Gefühl haben, dass sie nicht wirklich gehört wurden, sondern der Gerichtsbarkeit völlig hilflos ausgeliefert sind, und Entscheidungen willkürlich oder aus persönlichen Motiven und Erfahrungen getroffen wurden, entstehen Misstrauen und Angst. Und wenn der Ausgang des Verfahrens davon abhängig ist, ob man zufällig bei einer "väterfreundlichen" bzw. "mütterfreundlichen" Institution landet oder welcher Elternteil den sympathischeren Eindruck macht, zerstört dies das Vertrauen in die Justiz und in den Rechtsstaat.

Der Gesellschaft verpflichtet

Das Recht und die Justiz sind kein Selbstzweck, sondern den Menschen und der Gesellschaft verpflichtet und sollten das Zusammenleben erleichtern oder zumindest verbindlich regeln. Umso wichtiger ist es daher, den Parteien diese Entscheidungen und vor allem die Gründe dafür auch verständlich zu machen und sie durch diesen Prozess zu begleiten, anstatt sie zu Zaungästen in ihren eigenen Verfahren (und ihrem eigenen Leben) zu machen. (Carmen Thornton, 21.6.2021)