"Disco Elysium" gilt wohl auch als Meisterwerk, weil es RPG-Traditionen bricht. Allem voran: Es verzichtet auf Kämpfe.

Foto: Disco Elysium

Egal ob per Pistolenschuss, Schwerthieb, Feuerball oder Meucheldolch: Eigentlich geht es bei der Spielmechanik der meisten Games immer um das Gleiche. In irgendeiner Form soll jemand umgebracht werden. Das zeigen die Vorstellungen der kürzlich vergangenen, diesjährigen Spielemesse Electronic Entertainment Expo (E3) einmal wieder. Erneut, wie eigentlich jedes Jahr, konnte kaum ein Spiel der größeren Publisher auf ein Spielsystem verzichten, das sich ums Kämpfen dreht.

Das ist schade. Nicht wegen der Mär, dass Games zu mehr Aggressionen oder Gewaltbereitschaft führen würden. Die Debatte um Killerspiele ist ein Schwachsinn: Wie bei jedem anderen Medium, sei es Film oder Serien oder Musik, schaffen es auch Konsumentinnen und Konsumenten von Games, sich nicht direkt von Gewaltinhalten beeinflussen zu lassen. Auch wenn die Politik, speziell nach Amokläufen, das immer wieder propagiert, konnte die Forschung bisher keinen derartigen Zusammenhang feststellen.

Etablierter Einheitsbrei

Trotz dieser Erkenntnis ist der stetige Fokus von Games auf Systeme, in denen es immer nur um Töten geht, nicht gut. Nicht weil Kampfsysteme schlecht für das eigene Verhalten sind – sondern schlicht, weil sie unkreativ sind. Fast jedes Spiel größerer Studios greift auf sie zu und verschwimmt damit irgendwo in dem etablierten Einheitssumpf.

Nur wenige Genres wie Aufbausimulationen, Point-&-klick-Games und Sportspiele verzichten in dem immergleichen Brei auf das Töten. Der Grund dafür ist einfach und zugleich bedauerlich: Die Publisher setzen lieber immer wieder auf das gleiche Erfolgsrezept und sind nicht bereit, Risiken einzugehen. Angesichts des enorm hohen Budgets größerer Produktionen sind die Spiele stets "too big to fail".

Unendliche Möglichkeiten

Während das wirtschaftlich nachvollziehbar ist, ist es dennoch schade. Games sind eine wunderbare Möglichkeit zum Eskapismus. Sie machen Spielerinnen und Spieler im Gegensatz zu allen anderen Darstellungsformen zu aktiven Mitgestaltern des Geschehens. Theoretisch stünde die Tür zu nahezu unbegrenzten Möglichkeiten offen. Und doch werden diese nicht genutzt. Heute sind es vor allem Entwicklungsstudios von Indie-Spielen, die über ihren Schatten springen und neue Konzepte ausprobieren. Das Ergebnis kann wunderbar sein – etwa bei Überraschungshits wie "Life is Strange", bei dem Spieler die Zeit zurückdrehen können, oder "Disco Elysium", das narrativ auf eine emotionale Achterbahnfahrt entführt. Auf Kampfmechaniken zu verzichten heißt also nicht, dass der Erfolg ausbleibt. Es setzt aber eine Innovationsbereitschaft voraus. Zeit für größere Games-Publisher also, endlich wieder fantasievoller zu werden. (Muzayen Al-Youssef, 29.6.2021)