Nicht "tax me now", sondern "invest now" ist das Gebot der Stunde, sagt Ökonom Kurt Kratena im Gastkommentar.

Cartoon: Kittyhawk, http://kittihawk.de

Eine Gruppe reicher Menschen aus Deutschland und Österreich hat unlängst in einem offenen Brief in der Süddeutschen Zeitung und im STANDARD eine stärkere Besteuerung von hohen Vermögen und Erbschaften gefordert. "Tax me now" nennen sie ihre Initiative. Marlene Engelhorn hat an dieser Stelle dafür geworben (siehe "Wie viel ist genug?", 12./13. 6. 2021). Klingt gut, oder? Dabei wird man jedoch den Eindruck der Heuchelei nicht ganz los. Wer oder was hindert diese Reichen daran, ihr Vermögen dem Staat als Schenkung oder Stiftung zu überlassen? Warum soll der Staat ihnen vorschreiben, was sie wollen sollen?

"Wer hat, dem wird gegeben. Durch die Finger schauen dabei die ‚unteren‘ 95 Prozent, also fast die gesamte Gesellschaft."
Marlene Engelhorn, Millionenerbin, im Gastkommentar

Effektiver Beitrag?

Von den Vertretern von "tax me now" und anderen Befürwortern hoher Vermögens- und Erbschaftssteuern wird argumentiert, dass diese neuen Reichen aufgrund zu geringer Besteuerung keinen genügenden Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Das unterstellt viele Bedingungen, die nicht unbedingt erfüllt sind, etwa dass die europäischen Staaten generell ein Einnahmen- und kein Ausgabenproblem haben. Oder dass der Staat die Mehreinnahmen im Sinne des Gemeinwohls verwendet. Es ist also nicht gesagt, dass – wenn der Staat diese Reichen erhört und sie höher besteuert – sie dann tatsächlich einen effektiven Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Umgekehrt könnten Reiche und Superreiche aber einen sehr wertvollen Beitrag zum Gemeinwesen leisten, indem sie die Investitionslücke für langfristige Infrastrukturvorhaben bei Klimaschutz und Dekarbonisierung der Wirtschaft schließen helfen.

Es gibt verschiedenste Ursachen für die bereits im "Juncker-Plan" konstatierte Investitionslücke in Europa. Eine wesentliche ist, dass, je voller die Welt bereits mit dem von uns produzierten Kapital ist, die reinen Ersatz- und Erhaltungsinvestitionen, wie zum Beispiel in Infrastruktur, schon sehr hoch und eine Herausforderung sind. In stagnierenden Volkswirtschaften – mit BIP-Wachstumsraten um ein Prozent – stagniert oder fällt auch die Quote der Investitionen am BIP.

Extreme Kurzsichtigkeit

Dazu kommt die immer extremere Kurzsichtigkeit der Investoren, die sogar im Widerspruch zur ökonomischen Rentabilität steht. Projekte zur Erhöhung der Energieeffizienz mit einer kürzeren Amortisationsdauer und einer niedrigeren Rendite werden solchen mit höherer Rendite und längerer Amortisationsdauer vorgezogen. Rentabilität lockt nicht mehr, und die Investoren sind bereit, einen Preis für diese Kurzsichtigkeit zu zahlen. Dadurch kommen wichtige Investitionsvorhaben zur Dekarbonisierung nur schleppend in Gang.

Ein paar Beispiele, wie Superreiche, die sich "undertaxed" fühlen, ihr Kapital segensreich zur Verfügung stellen könnten:

· Erneuerbare Stromerzeugung und Heizungstausch Es herrscht weitgehender Konsens, dass wir im Jahr 2030 in Österreich 20 bis 30 Terawattstunden (TWh) mehr erneuerbare Stromerzeugung benötigen. Dazu kommen noch Kosten für die Infrastruktur (Leitungsnetz). Der weitere Ausbau von integrierter Photovoltaik (Dächer, Fassaden) wäre hier prioritär. Dazu kommt der für die Dekarbonisierung notwendige Heizungstausch (Umstieg von fossiler auf erneuerbare Energie wie Wärmepumpe oder Fernwärme), den sich viele Niedrigeinkommen-Haushalte nicht leisten können. Das Kapital von Vermögensbesitzern könnte hier die ökologische und die soziale Nachhaltigkeit verbessern, indem parallel zur Dekarbonisierung Heizungs- und Stromkosten für ärmere Haushalte verringert werden.

· Ladeinfrastruktur für E-Pkw Dieses klassische Infrastrukturprojekt bietet sich ebenfalls für den Kapitaleinsatz von Vermögensbesitzern an, da hier niemand den ersten Schritt gehen will. Das Vorhandensein dieser Infrastruktur wird zweifellos den Umstieg auf die Elektromobilität massiv forcieren. Wenn die Investitionen ins Leitungsnetz schon getätigt wurden, dann kann mit circa sechs Milliarden Euro eine ausreichende Ladeinfrastruktur für Österreich errichtet werden.

· "Green Gas" Auch bei weitgehender Dekarbonisierung verbleiben im Wärme- und Industriebereich noch Anwendungen, die weiterhin auf Gas basiert sein werden. Für die rechtzeitige Bereitstellung von "grünem Gas" (Wasserstoff, Biomethan) müssten daher auch schon jetzt Investitionen mit langfristiger Perspektive getätigt werden, die außerhalb der Rentabilitätskalkulation liegen.

Blickt man historisch etwas zurück, dann war es am Ende der ersten Globalisierungswelle (1870–1914) auch nicht die Steuerpolitik, die eine große Vermögensumverteilung bewirkt hat, sondern die erfolgreiche Umlenkung der Vermögen in Investitionen, konkret in Kriegsanleihen im Ersten Weltkrieg. Wir befinden uns momentan in der glücklichen Situation, wesentlich segensreicheren Projekten zum Durchbruch verhelfen zu können als der Waffenproduktion. (Kurt Kratena, 19.6.2021)