In Österreich waren 2019 etwas über 22.000 Menschen obdach- oder wohnungslos.

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Lissabon/Wien – Die Europäische Union setzte sich im November vergangenen Jahres das Ziel, bis 2030 die Obdachlosigkeit in Europa zu beenden. Zu diesem Zweck soll nun am Montag in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon eine "Europäische Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit" ins Leben gerufen werden.

Portugal hat die Stärkung sozialer Rechte in der EU zu einem Hauptpfeiler seiner am 30. Juni zu Ende gehenden EU-Ratspräsidentschaft gemacht. Die Plattform soll es den EU-Mitgliedstaaten, aber auch Kommunen und Dienstleistern ermöglichen, sich gegenseitig auszutauschen, um effiziente und innovative Ansätze zu finden, die bei der Bewältigung der Obdachlosigkeit in Europa helfen können.

Es geht dabei um finanzielle Unterstützung für nichtstaatliche Hilfsorganisationen, Präventionsprogramme, die Bereitstellung von Wohnraum, aber auch um Strategien zur Entkriminalisierung von Obdachlosigkeit sowie die Integration von Obdachlosen in den Arbeitsmarkt durch Beschäftigungsprogramme, Schulungen und andere Hilfsprogramme.

700.000 Menschen in Europa obdachlos

Die vollkommende Auslöschung von Obdachlosigkeit in Europa bis 2030 hält Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, zwar für "äußerst schwierig", dennoch "müssen wir sie drastisch reduzieren, und das können wir schaffen". Dabei gehe es nicht nur um die Menschen, die man täglich auf den Straßen sehe. "Obdachlosigkeit ist viel mehr als das, und oft betrifft es ganze Familien. Wir müssen dafür sorgen, dass sie ein Dach über dem Kopf bekommen – und eine echte Perspektive für ein menschenwürdiges Leben in der Mitte unserer Gesellschaft", stellte Nicolas Schmit mit Blick auf die am kommenden Montag in Lissabon stattfindende EU-Konferenz klar.

"Viele Länder, Regionen und Städte haben gute Erfahrungen und erfolgreiche Lösungsansätze. Die Konferenz und die neue Plattform bieten die Gelegenheit, uns über Erfahrungen und bewährte Vorgehensweisen auszutauschen, um das Problem in ganz Europa anzugehen", so der EU-Kommissar weiter.

Laut dem letzten Bericht des Europäischen Verbands nationaler Organisationen der Wohnungslosenhilfe FEANTSA waren 2020 rund 700.000 Menschen in Europa obdachlos. 70 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Und Experten befürchten, die Corona-Pandemie könne die Situation noch verschärfen. In Österreich waren 2019 etwas über 22.000 Menschen obdach- oder wohnungslos.

Ausbau Delogierungsprävention

Für Elisabeth Hammer, Obfrau der österreichischen Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAWO), ist die Europäische Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit nicht nur eine Chance, diesem sozialen Problem mehr Öffentlichkeit zu geben, sondern auch eine gute Möglichkeit, auf der Suche nach den besten Lösungsansätzen und Strategien voneinander zu lernen.

Um die Obdachlosigkeit in Europa und in Österreich gezielt und effektiv bekämpfen zu können, bedürfe es zu allererst des Ausbaus der Delogierungsprävention. "Wohnungsverluste müssen bestmöglich verhindert werden. Volkswirtschaftlich ist es sowieso ein totaler Unsinn, Menschen zu delogieren, denn die Folgekosten sind um ein Vielfaches höher als die Übernahme von ein paar Monatsmieten", stellt Hammer klar.

Zudem müssten die mobilen Betreuungsangebote und mehr leistbarer, dauerhafter und inklusiver Wohnraum ("Housing First") geschaffen werden. "Inklusiv" bedeutet in diesem Fall, dass sich die Wohnungen nicht ausschließlich in peripheren, sozial schwachen Gegenden befinden sollten, wo die Menschen nicht an der normalen Gesellschaft teilnehmen können.

Mieten zu hoch, Einkommen zu niedrig

"Das beste Mittel gegen Obdach- und Wohnungslosigkeit ist eine Wohnung", meint Hammer. Für Österreich hat die BAWO bis 2025 einen Bedarf von 25.000 Wohnungen errechnet. "Wohnen muss billiger werden. Es braucht klare Mietzinsobergrenzen! Wohnen ist ein Menschenrecht", so die BAWO-Leiterin. In den letzten Jahren sei die Schere zwischen Einkommen und Mieten aber immer weiter auseinander gegangen.

Mit Blick auf die EU-Konferenz am Montag in Lissabon sei es erst einmal aber wichtig, überhaupt gemeinsame Strategien zu entwickeln. "Die EU-Kommission und auch das EU-Parlament haben erkannt, dass Obdach- und Wohnungslosigkeit zu einem immer größeren Problem werden und immer weiter in die Mitte der Gesellschaft reichen. Es ist höchste Zeit diesem Trend entgegenzuwirken und auf allen Ebenen dagegen vorzugehen", erklärte Elisabeth Hammer. (APA, 20.6.2021)