Vergangenes Wochenende herrschte in Venedig wieder einmal Hochbetrieb: Heerscharen von Touristen pflügten trotz schwüler Hitze über die Piazza San Marco. Die Cafés und Trattorien waren voll, an den Landungsstegen der Vaporetti am Piazzale Roma, bei der Rialto-Brücke und den anderen Haltestellen entlang des Canal Grande bildeten sich lange Schlangen. Auch die Gondolieri freuten sich über den Andrang der Touristen. "Neunzehn Monate nach dem verheerenden Hochwasser 2019 und der schrecklichen Pandemie konnten wir endlich wieder durchatmen", erklärt Maurizio Carlotto, der Vizepräsident der Vereinigung der Gondolieri Venedigs.

Aber so richtig glücklich sieht Carlotto dabei nicht aus, denn nach wie vor ist die Lagunenstadt weit vom Ende des Ausnahmezustands entfernt. Bereits am Wochenende zuvor hatte man in Venedig 50.000 Touristen gezählt – "aber am Montag danach war die Stadt wieder leer", betont Carlotto. Denn bei den Wochenendtouristen handelte es sich fast ausschließlich um Italiener.

Fortunato Vullo vor seinem Ristorante Opera gegenüber der römischen Engelsburg: Auch er wartet noch sehnlich auf ausländische Touristen, ist aber insgesamt zuversichtlich: "Rom hat in seiner Geschichte schon ganz anderes überlebt."
Dominik Straub

Die meisten kommen aus der näheren Umgebung. "Sie genießen die Ruhe in der Stadt, aber am Abend fahren sie nach Hause, ohne zu übernachten", klagt der Gondoliere. Im Vergleich zu 2019 habe er in dieser Saison bisher höchstens 20 Prozent der Einnahmen gehabt.

Überseetouristen fehlen

Das Problem kennen auch die anderen Kulturstädte Italiens: Der Binnentourismus läuft zwar an, aber Gäste aus dem Ausland lassen sich an einer Hand abzählen, nicht nur in der Lagunenstadt, sondern in ganz Italien. Städte wie Venedig, aber auch die Amalfi-Küste, wo auf ausländische Urlauber 80 bis 90 Prozent des Umsatzes entfallen, trifft dies besonders hart. Zwar kommen seit einigen Wochen wieder die ersten Deutschen, Franzosen, Schweizer, Österreicher, Engländer, aber Gäste aus Übersee – vor allem aus den wichtigen Märkten USA, China und Japan – fehlen fast vollständig.

Das gilt auch für Rom, wo immer noch 600 der 1200 Hotels geschlossen sind. Und diejenigen, die offen sind, klagen über eine Bettenauslastung, die oft 20 Prozent nicht übersteigt. Direktflüge aus Übersee fehlen. "Das wird sich heuer nicht mehr wesentlich bessern, wir werden frühestens 2022 zu den Umsätzen vor der Krise zurückkehren", resümiert Giuseppe Roscioli, Präsident des Römer Hotelierverbands. Immerhin: Im Vergleich zum Horrorjahr 2020 rechnet Roscioli heuer mit 20 bis 30 Prozent mehr Übernachtungen.

Es sind vor allem Italiener aus dem Umland, die es derzeit nach Venedig zieht. Abends fahren sie heim.
Foto: AFP/Miguel Medini

Die Pandemie hat in Italiens Tourismus eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Im Vorjahr zählte die Branche 74 Millionen weniger Urlauber als 2019, davon 43 Millionen aus dem Ausland. Insgesamt hat der Tourismus, der 13 Prozent zur Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt, seit Beginn der Pandemie 100 Milliarden Euro eingebüßt.

Viele Hotels, Restaurants, Boutiquen, Souvenirshops und Kunsthandwerk-Ateliers werden überhaupt nicht mehr aufmachen, weil die staatliche Hilfe nicht ausreichte, um Pleiten abzuwenden. Allein 2020 gingen im italienischen Tourismus 15.000 Arbeitsplätze verloren. Ohne Kurzarbeit und andere staatliche Unterstützung wäre es ein Vielfaches davon.

Wachsende Hoffnung

Jene jedoch, die den Tsunami überlebt haben, schöpfen Hoffnung. Ab heute Montag ist ganz Italien – außer dem Aostatal – wieder eine "weiße Zone", also bezüglich Covid-Fallzahlen in der niedrigsten Gefahrenstufe. "Wir haben am 1. Mai aufgemacht, das hätten wir nicht getan, wenn wir nicht überzeugt wären, dass das Schlimmste hinter uns liegt", sagt Fortunato Vullo, Besitzer des Ristorante Opera gegenüber der Engelsburg. Im Moment bedient er zwar fast nur Einheimische, aber das werde sich schon noch ändern: "Rom hat in seiner Geschichte schon ganz anderes überlebt."

Die meisten Sonnenschirme in Sergio Palazzos Lido "Il Selvaggio" in Sperlonga südlich von Rom sind unter der Woche noch leer. Aber auch er lässt sich nicht beeindrucken: "Das Meer hat uns letztes Jahr gerettet, und es wird uns auch dieses Jahr wieder retten."
Dominik Straub

Hoffnung schöpft auch der Minister für Tourismus, Massimo Garavaglia. "Die Situation hat sich verbessert: Die Fallzahlen sind tief, wir haben mehr als 40 Millionen Impfdosen verabreicht. Jetzt können wir endlich durchstarten", sagt der Minister. Hohe Erwartungen setzt er in die europäische Green Card, die ab Juli zur Verfügung steht: Die Einreise nach Italien wird damit unkomplizierter. Quarantäne für Reisende aus dem Schengenraum war schon Mitte Mai abgeschafft worden. Mit der Green Card ist auch kein negatives Testresultat mehr nötig, um im Belpaese Urlaub machen zu können. Schon jetzt stieg die Zahl ausländischer Touristen heuer im Vergleich zu 2020 um 15 Prozent.

Weniger Sorgen machen sich jene Ferienorte, die unabhängig von ausländischen Gästen sind. "Wir konnten zwar schon im Vorjahr erst mit Verspätung öffnen, aber nach dem Abklingen der ersten Covid-Welle hatten die Italiener einen derartigen Nachholbedarf, dass wir völlig überrannt wurden und eines unserer besten Geschäftsjahre verzeichneten", berichtet Sergio Palazzo, der im Badeort Sperlonga zwischen Rom und Neapel einen Lido betreibt.

Im Moment sind die meisten Sonnenschirme in seinem Strandbad noch frei, zumindest unter der Woche; der große Ansturm beginnt Mitte Juli. Das beunruhigt Sergio Palazzo nicht: "Das Meer hat uns letztes Jahr gerettet, und es wird uns auch dieses Jahr wieder retten." (Dominik Straub, 21.6.2021)