Viele Gewerbebetriebe wälzen schwere Probleme. Seit Corona hat sich der Mangel an Fachkräften verschärft.

Foto: Heribert Corn

Wien – Gerhard Ströck will nicht in den Chor der Klagen der Bäcker über arbeitsunwillige Österreicher einstimmen. Und er sieht keinen Grund dafür, Arbeitslosengelder zu kürzen. Dennoch kann es für sein Gewerbe so nicht mehr weitergehen, sagt er, denn seit Corona habe sich der Fachkräftemangel weiter verschärft.

Der Wiener Bäcker betreibt mit seiner Familie und rund 1600 Mitarbeitern 70 Filialen, beliefert große Supermärkte, Kindergärten, Krankenhäuser und Schulen. Seit Februar sucht sein Betrieb über das AMS ein Dutzend Teigmacher, Ofenarbeiter und Konditoren. Seither wurde ihm nur ein einziger Arbeiter zugewiesen, und dieser sah sich körperlich nicht dazu in der Lage, den Job zu bewältigen, erzählt Ströck.

Er versuche nun, mit Hilfsarbeitern über die Runden zu kommen. Zwölf stellte er heuer ein, 13 traten erst jüngst wieder aus.

Dass Löhne und Gehälter in seiner Branche nicht gerade üppig seien, räumt der Bäcker offen ein. Die mageren Margen seines Gewerbes ließen größeren finanziellen Spielraum jedoch nicht zu. Dass es während einer Hitzewelle im Sommer schöner sei, im Schwimmbad zu liegen als neben dem Backofen zu arbeiten, sei ebenso unbestritten.

"Gehässige Querschüsse"

Österreich komme aber nicht um eine Debatte herum, die ohne "gehässige Querschüsse von links oder rechts" geführt gehöre, sagt Ströck: "Wann ist jemand gut und fair entlohnt? Wie hoch muss die Differenz zwischen Arbeitslosengeld und Verdienst durch Arbeit sein?"

Für Ströck führt an generell höheren Gehältern kein Weg vorbei – doch stemmen könnten dies nicht die Bäcker allein. Noch weniger, seit ihre Umsätze durch Corona einbrachen. Wirte fielen als starke Abnehmer weg. Homeoffice ließ Kundenströme in den Filialen versiegen. Vor allem in U-Bahn-Stationen und Einkaufszentren saßen ihre Geschäfte über Monate auf dem Trockenen.

Einmal mehr verschob sich das Geschäft hin zu den Aufbackstationen der Supermärkte. Diese schöpfen mittlerweile 85 Prozent des österreichischen Backwarenmarktes ab. Das Gros ihres Brots und Gebäcks liefern wenige Industriebetriebe. Ströck selbst sperrte Corona-bedingt drei Verkaufsfilialen zu.

Soziale Hängematte?

Seit vier Monaten findet die Wiener Bäckerei Szihn kein Verkaufspersonal, trotz 130.000 Arbeitsloser in der Bundeshauptstadt, berichteten Medien. Betriebe wie Felber bestätigten den Mangel an Fachkräften, was harte Diskussionen anheizte: Haben viele Österreicher während der Krise gar die schönen Seiten des Sozialstaats kennengelernt und verlassen die Hängematte nur noch ungern? Oder haben es sich die Bäcker selbst zuzuschreiben, dass ihnen aufgrund geringer Gehälter und widriger Arbeitsbedingungen Mitarbeiter davonlaufen?

Die Arbeiterkammer erklärt die Not an Personal mit Letzterem. Sie erinnert an zahlreiche Fälle von unbezahlten Überstunden, Zuschlägen für Nachtarbeit und zur Gänze ausstehenden Löhnen, die an sie herangetragen wurden: Ehe Bäcker über fehlendes Engagement klagten, gehöre erst einmal für faire Arbeitsbedingungen gesorgt.

Viel Arbeit für wenig Geld

Eine aktuelle Studie des arbeitnehmernahen Instituts Momentum schlägt in dieselbe Kerbe. Die Branche biete im Verkauf keine marktüblichen Gehälter, resümiert Chefökonom Oliver Picek. Zugleich aber verlange diese von ihren Beschäftigten viel ab, von frühen Öffnungszeiten und Sechstagewoche bis hin zur Kassaverantwortung. Kündigungsfristen seien zudem extrem kurz.

Verkaufsmitarbeiter verdienten im ersten Jahr nicht mehr, als es der Mindestlohn vorsehe. Während Supermärkte Verkäufern in Backshops laut aktueller Stellenausschreibung brutto 1700 Euro im Monat zahlten, stiegen Bäckereimitarbeiter mit nur rund 1550 Euro aus. Über das Jahr gerechnet sei dies ein Gehaltsunterschied von netto 1464 Euro. Auch gelernte Bäcker suchen Picek zufolge das Weite: 60 Prozent der beim AMS vorgemerkten gelernten Bäcker wollten den Beruf wechseln.

Corona als Zäsur

Wolfgang Maurer hingegen, Chef der Bäckerei Schwarz mit 160 Mitarbeitern und 18 Filialen, sieht viele falsche Zahlen kursieren. Tatsächlich entlohnten Bäcker ihre Leute im Verkauf höher. Um das Fachkräfteproblem zu lösen – ob in seinem Gewerbe, in der Gastronomie oder in der Hotellerie – ist es seiner Erfahrung nach nicht mit höheren Mindestgehältern getan. Von den Preisen für Backwaren abgesehen, die dadurch wohl explodieren würden, was zum Schaden aller wäre, wie er betont. "In den vergangenen Jahren haben sich die Sozialpartner immer auf einen guten Kompromiss geeinigt. "Die Frage ist, was ist seit Corona anders?"

Maurer vermutet, dass viele Österreicher Gefallen an Kurzarbeit gefunden hätten. "Das AMS hat mit zufriedenen Arbeitslosen nun seine liebe Not." Er selbst suche vergeblich ein halbes Dutzend Leute. Allein der Lebenslauf der Bewerber zeige, dass es viele nirgendwo lange halte. Entscheidend für ihn ist daher weniger die Frage der Löhne, sondern: "Wie bringen wir die vielen Arbeitslosen wieder in Beschäftigung? Man wird nicht umhinkönnen, Arbeitslosigkeit weniger attraktiv zu machen."

Viele Schrauben

Martin Auer, der von Graz aus in 32 Filialen 430 Mitarbeiter beschäftigt, nimmt aber auch Unternehmer in die Pflicht. Damit seine Branche den Stempel loswerde, völlig unsexy zu sein, gehöre an vielen Schrauben gedreht. Aus einer Sechstagewoche ließe sich eine Fünftagewoche machen. Bei den Urlauben für Angestellte mit Familie könnten Vorgesetzte ebenso entgegenkommen wie bei der Wahl der Filiale nahe dem Wohnort. "Ich will finanzielle Aspekte nicht kleinreden. Aber Geld ist nicht alles." (Verena Kainrath, 21.6.2021)