Abkehr von bekannten Formen: Hollegha, Lassnig, Hartung (v. li. n. re.).

Foto: Museum Liaunig

Mit einer originellen Lesart der hauseigenen Sammlung wartet heuer das Südkärntner Museum Liaunig auf: Erstmals seit 2008 wurde mit der Gestaltung der Hauptausstellung kein Kunsttheoretiker, sondern ein Künstler betraut, wenn auch einer, der sich viele Jahre lang als Kurator der Neuen Galerie Graz auch theoretisch mit den Tendenzen der österreichischen Kunst befasst hat. Der steirische Foto-, Film- und Videokünstler Günther Holler-Schuster stellt anhand von 200 Exponaten die Chronologie der jüngeren heimischen Kunstgeschichte sowieso, aber auch ihre Zuordnung zu den diversen Stilrichtungen gründlich infrage.

Das Ganze nennt sich Tour de Force, kommt aber ganz leicht und selbstverständlich daher. All die wütenden Diskussionen, die kunsttheoretischen Grabenkämpfe und gegenseitigen Verdammungen, die eigentlich die Kunstproduktion im ganzen letzten Fünftel des vorigen Jahrtausends begleitet haben, sind auf einmal Makulatur.

Antworten auf die Zeit

In den Mittelpunkt der Ausstellung – aufgrund der architektonischen Gegebenheiten ist das auch ihr Ausgangspunkt – stellt Holler-Schuster Werke, die keinen herkömmlichen Wirklichkeitsformen mehr trauen. Wir befinden uns gleichsam in unmittelbarer Nähe zum Urknall der Gegenwartskunst. Der fand in Österreich etwas später statt als in Frankreich, hatte als Merkmal neben der Auflösung der Formen auch eine starke Aufwertung der malerischen Mittel und war, wie die jüngere Kunstforschung immer klarer erkennt, die Antwort der Kunst auf den fundamentalen Paradigmenwechsel, den der Zweite Weltkrieg, der moralische Super-GAU in Gestalt des Nationalsozialismus, aber auch der globale Schock auf die ersten Atombombenabwürfe ausgelöst hatten.

Die Titel der in diesem Ausstellungsteil gezeigten Arbeiten, aber eben nur die Titel, halten sich großteils noch in einer fast rührenden Weise an die alte Gegenständlichkeit. Wolfgang Hollegha nennt eine völlig abstrakte Komposition Stehende Figur mit Pflanzen, Hans Staudacher einen heftigen Pinseltanz Nu (im Sinn von Akt), und Arnulf Rainer bleibt mit der Bezeichnung Grün vertikal auch noch viel naturnäher, als die Malerei gemeint ist.

Suche nach freien Formen

Das alles hatte Paris-Bezug, war mehr oder weniger direkt angeregt vom dort entwickelten Informel und entstand 1959. Es dauerte ein paar Jahre. Noch Markus Prachensky nennt sein 1962 entstandenes Rouge sur blanc auch ganz gegenständlich Sebastianplatz III. Eigentlich am gegenständlichsten, nennt Maria Lassnig ein Hauptwerk von 1960 aber bereits Ohne Titel.

In den sich linker Hand erstreckenden Nordtrakt hinein setzt sich die Suche nach freien Formen im Grunde bis heute fort. Eine wunderbare, nach 44 Jahren fast kultisch anmutende Komposition von Peter Krawagna von 1977 (Ohne Titel) sei beispielhaft erwähnt, ebenso Martha Jungwirths hochironische Vogelscheuche von 1989. Da ist die Figur schon wieder zum Greifen nahe, und es verwundert nicht, dass dann etwa Arbeiten von Hubert Scheidl oder Siegfried Anzinger (Der blaue Hund, 1980) folgen.

Geschüttet und ausgetobt

Entschiedener kehrt sich der Südtrakt von den traditionellen Kunsttechniken ab. Das schon mit den aktionistischen Relikten und Schüttbildern Hermann Nitschs oder mit den malerischen Austobungen Otto Muehls und erst recht mit den fotografischen Dokumentationen der 1965 einsetzenden Radikalauftritte von Rudolf Schwarzkogler.

Hier möchte alles weg vom (Tafel-)Bild, ohne sich deshalb ganz von der Kunstgeschichte loszusagen. Im Gegenteil. Auf einmal taucht mit Kontinent (1956) und Schrift zur Erhellung der Magie (1958) ganz logisch wieder Hans Bischoffshausen auf, und dem kann man wirklich nicht nachsagen, kunsthistorisch unbekümmert gewesen zu sein.

Eine Tour also durch die österreichische Kunstgeschichte nach 1945 mit Ecken und Kanten. (Michael Cerha, 22.6.2021)