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US-Präsident Joe Biden will wieder die Führungsrolle übernehmen.

Foto: Reuters/CARLOS BARRIA

Ökonom Karl Aiginger kritisiert in seinem Gastkommentar den Umgang von US-Präsident Joe Biden mit Europa.

US-Präsident Joe Biden sonnt sich darin, dass er anders ist als Donald Trump. Er bietet den Amerikanern an, ihren Konsum zu finanzieren und Brücken zu reparieren, er kehrt zu Nato und Klimavertrag zurück und schlägt weltweite Mindeststeuern vor. Die Botschaft an Europa lautet, dass die USA bereit sind, wieder die Führungsrolle in der marktwirtschaftlichen Welt zu übernehmen, mit der kleinen Bitte, mehr zu zahlen, und der Forderung, China gemeinsam mit ihnen in die Schranken zu verweisen.

Aber eigentlich instrumentalisiert Biden Europa. Von den Trump-Anhängern wird ihm Schwäche vorgeworfen. Er sei zu unterwürfig gegen den russischen Präsidenten Putin gewesen, sagt Russland-Expertin Fiona Hill; "unsere Gegner riechen die Schwäche der USA", legt Trumps letzter Stabschef nach. Da hilft es, wenn Biden daheim Stärke demonstriert, allen Institutionen den Kauf amerikanischer Güter vorschreibt. Und die USA gegenüber Europa als Führungsmacht bezeichnet. Europas Vorteile kennt in den USA ohnehin niemand. Die Rolle der EU als Friedensbringer und Konfliktlöser ohne eigene Armee.

Nicht vorbildlich

Das bessere Abschneiden Europas verglichen mit den USA bei den sozialen und ökologischen Zielen; sagen wir es kurz: die Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung des europäischen Modells.

Dass das amerikanische Modell nicht vorbildlich ist, sieht man allein an der der hohen Staatsverschuldung, schon vor Trump und Corona. Nunmehr liegt sie bei 140 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wenn das ein anderes Land machen würde und dabei die Infrastruktur vernachlässigt, würden die internationalen Beobachter von IMF (International Monetary Fund) über Weltbank bis zu den Finanzinvestoren scharfe Kritik üben.

Wenn die Erwerbsquote sinkt, ebenso die Lebenserwartung durch Opioide und Fettleibigkeit, die Polizei rassistisch ist, Wahlbezirke verschoben werden, so ist eine moralische Führungsrolle der USA nicht gerechtfertigt. Trotz aller Vorzüge der USA durch technologische Stärke, ihr unverzichtbares militärisches Auftreten auch gegen China und ihre Ablehnung alter und neuer Formen von "sozialistischen Planwirtschaften".

Mit einer Stimme

Europa braucht die USA als Partner, aber als gleichberechtigten und nicht als väterlich fürsorgliche "Führungsmacht". Gemeinsam mit jener seiner unmittelbaren Nachbarn ist die Wirtschaftsleistung Europas höher als jene in den USA, die Exporte viel höher, die Leistungsbilanz aktiv. Das Wirtschaftssystem ist nachhaltiger. Europa muss sich aber bemühen, mehr mit einer Stimme zu sprechen, an G7- und G20-Gipfeln muss es durch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, vertreten sein, nicht durch einzelne Länder. Der US-Vordenker Jeffrey Sachs schlug vor, die Afrikanische Union zu den nächsten Gipfeln einzuladen, an eine Vertreterin der EU denkt niemand.

Europa braucht Partner für die neue Weltordnung, die USA ist willkommen, mit China müssen wir reden, als selbstbewusster Spieler in einer multipolaren Welt; ohne Führungsanspruch durch den Freund Amerika, dem wir natürlich für vieles in der Geschichte dankbar sind. Aber Biden sollte Europa nicht missbrauchen, um gegen die Kritiker aus dem Trump-Lager Stärke zu demonstrieren. (Karl Aiginger, 22.6.2021)