Was kommt nach den Ferien? Viele Wiener Schulleitungen fragen sich, wie sie für die Kinder besseren Unterricht mit weniger Ressourcen erreichen sollen.

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Direktor Claus Großkopf schwimmt ein bisschen. Schuld ist nicht die anhaltende Hitze, sondern die Bildungsdirektion der Stadt Wien. Die ließ ihn nämlich erst vor wenigen Tagen, also rund zwei Wochen vor Schulschluss, wissen, mit wie vielen Personalstunden er im kommenden Herbst rechnen darf. Weil die Liste dann auch noch fehlerhaft war und bis dato keine neue ausgestellt wurde, muss Herr Großkopf sogar noch etwas mehr strampeln als viele seiner Kolleginnen und Kollegen. Unterm Strich eint aber viele Standorte ein Schicksal: Es kommt zu Einsparungen. Allen anderslautenden Ankündigungen zum Trotz.

Problemaufriss

Die Bildungsdirektion und der pinke Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr würden das natürlich so nicht sagen. Wie hier die neue Stundenverteilung argumentiert wird und wie das Ganze zusammengeht mit dem groß beworbenen Index, der die Ressourcenverteilung anhand sozialer Kriterien (Basis ist eine Abfrage im Zuge der Bildungsstandardtests) gerechter machen soll?

Zunächst der Problemaufriss der Praktikerinnen und Praktiker vor Ort: Zwei Lehrkräfte muss Claus Großkopf mit Blick auf Herbst von der Ganztagsvolksschule Alterlaa im 23. Wiener Gemeindebezirk verabschieden – so viel ist schon einmal fix. Bei ihm geht das großteils zulasten der Lehrerdoppelbesetzung in der verschränkten Schulform. Die sogenannten Indexstunden, von denen ihm nur vier gekürzt wurden, reißen ihn da auch nicht mehr raus.

Im Büro von Christoph Wiederkehr (Neos) wollte am Montag noch niemand eine Stellungnahme abgeben. Am Dienstag betonte Wiederkehr bei einer Pressekonferenz, am neuen System zur Lehrerzuteilung festhalten zu wollen.
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Kollegin B., Schulleiterin an einer jener 100 Schulen, die gemäß Sozialindex eigentlich mehr Ressourcen bekommen sollten, beschreibt dem STANDARD – lieber anonym –, wie die Umsetzung in der Praxis aussieht: Rund 20 Indexstunden habe sie bekommen, das stimmt. Allerdings wurde ihr das sogenannte Basiskontingent, aus dem das Gros der Personalkosten abgedeckt wird, um 50 Stunden gestrichen. Und das sei noch einmal glimpflich ausgegangen, dem "Übergangszuschlag" sei Dank. Sonst wären gar 100 Stunden aus diesem Verrechnungstopf weggefallen. Heißt unterm Strich für den Standort – "und zwar für die Kinder", betont die Direktorin: Von den zusätzlichen Förderangeboten bleibt nur noch ein Teil übrig. "Da muss ich das eine gegen das andere austauschen." Sie sorgt sich um die Qualität und Attraktivität ihrer Schule: "Alles, was wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, geht flöten."

Projektfarce

Was viele Schulleitungen aufregt und was der Zentralausschuss der Wiener Pflichtschullehrerinnen in einem Schreiben an Bildungsstadtrat Wiederkehr als eine von vielen Beschwerden festgehalten hat: Die Möglichkeit, über pädagogische Projekte zusätzliches Geld abzuholen, sei zur Farce verkommen. "Ich kenne keine Schule, die aufgrund dieser Projekte irgendeine Stunde dazubekommen hätte", sagt Direktor Großkopf. Die befragten Schulleiter wundert das nicht: Es sei im Vorfeld ja auch nicht zu eruieren gewesen, mit welchen Projekten man eine Chance hat. Kollegin B. befindet unverblümt: "Wir wurden für blöd verkauft!"

Noch etwas empört die Praktiker, es scheint der Dreh- und Angelpunkt bei der neuen Berechnung des Basiskontingents zu sein. Berechnet wird das auch mithilfe der Formel "Zahl der Schülerinnen und Schüler dividiert durch 25" – die sogenannte Kopfquote. Das Problem daran sei nur, dass diese 25 Kinder pro Klasse eine rein "fiktive" Zahl seien, heißt es. Weder wolle noch könne man so viele junge Menschen in eine Klasse stecken. Am Ende wird nichts anderes übrigbleiben.

Keine qualitätsvolle Arbeit möglich

Karin Feller ist Direktorin der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau. Sie verliert heuer "nur" drei Lehrkräfte, sagt sie, "wir sind also im Vergleich zu anderen gar nicht so schlecht ausgestiegen". Für das kommende Schuljahr bedeutet das, jedes Lehrkräfteteam in den an der Schule etablierten Mehrstufenklassen verliert Stunden. Damit steht öfter als zuvor zu bestimmten Tageszeiten nur eine Lehrkraft in der Klasse – und die sind in den vergangenen Jahren ohnehin immer größer und größer geworden, auch jene mit Integrationskindern, wo mittlerweile im Schnitt 24 Kinder als eine Klasse zählen. Was Feller Sorgen bereitet: "Nur mit dem Grundkontingent an Personalstunden ist qualitätsvolle Arbeit nicht möglich." Sie ortet einen gewissen Widerspruch zu dem vom Bildungsministerium ausgegebenen Qualitätsrahmen, den die Schulen umsetzen sollen: "Wie?" Außerdem wurde ihr bereits angekündigt, dass im Schuljahr 2022/23 womöglich bis zu zwölf weitere Lehrpersonen gehen müssen.

Andere Schule, ähnliche Problematik: An der Ganztagsvolksschule 3 in Wien-Landstraße formiert sich schon Elternprotest. Mindestens drei Lehrerinnen müssten wegen der gestrichenen Stunden die Schule verlassen, das komme einer "De-facto-Abschaffung der Mehrstufenklassen" gleich, heißt es in einem offenen Brief an die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung.

(K)eine Reaktion

Die Sicht der Bildungsdirektion schildert Direktor Heinrich Himmer: Erstens, in Summe würden mehr Lehrerstunden verteilt. Allerdings, wie er zugibt, bei steigenden Schülerzahlen. Zweitens würden jetzt Schulen mit großen Klassen mehr Ressourcen bekommen. Anders gehe das in einer Großstadt schlicht nicht. Drittens, der Istzustand sei einfach nicht gerecht und würde diese Schieflage nur einzementieren. Aber: "Wir nehmen die Sorgen der Schulleiter ernst." Es soll also Gespräche geben. Und was den Budgettopf für die Projekte anlangt: "Da kann ich mich nur entschuldigen", das sei tatsächlich unglücklich gelaufen.

Im Büro von Christoph Wiederkehr wollte am Montag noch niemand eine Stellungnahme abgeben. Am Dienstag betonte Wiederkehr bei einer Pressekonferenz, am neuen System zur Lehrerzuteilung festhalten zu wollen. Bei Reformen gebe es immer auch ein paar Punkte, wo es wehtut. Der Wechsel zu einem "einfacheren, gerechteren und transparenteren" System sei aber notwendig.

Zuletzt sei die Lehrerzuteilung so kompliziert gewesen, dass sie selbst für sie schwer nachvollziehbar gewesen sei, betonten Wiederkehr und Himmer. Das neue System sieht nun vor, dass Schulen ein Basiskontingent erhalten, das auf der Zahl der Klassen und einem Zuschlag pro Schüler beruht. Für größere Klassen, in denen aus pädagogischen Gründen öfters Teilungen stattfinden, bekommt eine Schule damit mehr Posten. (Karin Riss, 22.6.2021)