Zwei Impfungen schützen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor schweren Verläufen nach Infektionen mit der Delta-Variante. In England, wo diese Impfung verabreicht wurde, hat die Deltavariante die Öffnungsschritte verzögert.

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In Österreich sind die Fallzahlen so niedrig wie seit August 2020 nicht mehr. Während aufgrund dieser erfreulichen Entwicklung hierzulande nach und nach die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie weiter zurückgefahren werden, gibt es in einigen europäischen Ländern Befürchtungen, dass es durch die Virusvariante Delta (früher: die "indische" Variante B.1.617.2) zu einem neuerlichen Anstieg der Infektionszahlen kommen könnte.

Was die Wissenschaft über die Delta-Variante weiß

Von der Weltgesundheitsorganisation WHO wurde die Delta-Variante wegen ihrer höheren Infektiosität am 10. Mai als "besorgniserregend" eingestuft. Im Moment geht man davon aus, dass sie bis zu 60 Prozent ansteckender sein dürfte als die Alpha-Variante (B.1.1.7, die "britische" Mutante), die bereits deutlich infektiöser war als der sogenannte "Wildtyp". Zudem scheint sie mehr Spitalsaufenthalte nötig zu machen. In einer rezenten Studie aus Schottland war von einer Verdopplung der Fälle die Rede. Solche Einschätzungen sind allerdings immer nur vorläufig und können sich ändern, wenn mehr Daten vorliegen. Die gute Nachricht aus Großbritannien ist, dass die Delta-Variante nicht tödlicher zu sein scheint. Sprich: Auch wenn die Behandlungen im Spital anteilsmäßig mehr werden, erhöht sich die Zahl letaler Verläufe nicht.

Offensichtlich führen Infektionen mit der Delta-Variante zu einer stärkeren Virenlast im Mund-Rachen-Raum gleich zu Beginn der Infektion, was auch die höhere Infektiosität erklärt. Zudem sind die Symptome der Delta-Variante etwas anders als die bisheriger Covid-19-Infektionen: Sie ähneln noch mehr einer starken Erkältung oder einer Sommergrippe. Geruchs- und Geschmacksverlust treten hingegen kaum mehr auf.

Wie sich die Delta-Variante in Indien ausbreitete

Auf dem Subkontinent selbst hat die Mutation mit der wissenschaftlichen Bezeichnung B.1.617.2 für eine Welle an Infektionen gesorgt, die Anfang Mai mit mehr als 400.000 Neuinfektionen pro Tag ihren Höhepunkt erreichte. So steil wie die Kurve damals anstieg, so steil sank sie nach dem Peak wieder nach unten ab. Am Sonntag lag die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen "nur mehr" bei etwas mehr als 50.000.

In Indien sind die Infektionszahlen wieder stark zurückgegangen, befinden sich aber immer noch auf einem höheren Niveau als vor der Welle.

Mittlerweile herrscht in Indien aber Besorgnis wegen einer "Delta Plus" genannten Variante. Diese auch Nepal-Mutation genannte Version ist im Wesentlichen die indische Variante plus die Mutation K417N im Spike-Protein des Virus. Diese Mutation gibt es auch in der Beta-Variante (der "südafrikanischen" B.1.315), wo sie die Immunabwehr unterläuft.

Die Durchimpfung läuft in Indien mehr als schleppend. Immerhin sind aber bereits fast 50 Millionen Menschen vollständig immunisiert – rund 3,6 Prozent der Bevölkerung. Insgesamt wurden 274 Millionen Impfungen verabreicht. Ein überarbeitetes Impfprogramm soll nun mit Zentralisierungsmaßnahmen die Durchimpfung beschleunigen. Die Impfungen sollen den Bürgern kostenlos zur Verfügung stehen. Jene, die es sich leisten können, werden jedoch ersucht, sich in privaten Impfzentren immunisieren zu lassen, wo je nach verabreichtem Impfstoff unterschiedlich hohe Gebühren anfallen.

Am Montag meldete die indische Regierung mit 7,3 Millionen verabreichten Impfungen gleich am ersten Tag des Programms einen neuen Rekord. Bisher lag der Tagesrekord bei 4,3 Millionen verabreichten Impfungen, der Wert war Anfang April erreicht worden.

Wie gut Impfungen vor der Delta-Variante schützen

Dazu gibt es vor allem aus Großbritannien vorläufige Daten, die auf zwei Haupterkenntnisse hinauslaufen: Erstens schützen unsere Covid-19-Impfungen prinzipiell gut gegen die Delta-Variante. Allerdings sind dafür unbedingt beide Teilimpfungen nötig. Nach nur einer Dosis beträgt der Schutz vor der Delta-Variante nur unter 40 Prozent. Er steigt aber nach der zweiten Impfung bei Comirnaty (Biontech/Pfizer) auf 80 Prozent und bei Vaxzevria (Astra Zeneca) auf 60 Prozent. Eine volle Immunisierung dürfte zu jeweils über 90 Prozent vor einem Spitalsaufenthalt schützen.

Das deckt sich auch mit den jüngsten Daten über britische Spitalsaufenthalte. In Großbritannien machen doppelt Geimpfte rund zehn Prozent der Delta-Krankenhauspatienten aus. Das Gute ist, dass Österreich im Vergleich zu England spät von der Delta-Variante getroffen wird und wir im Sommer möglichst viele Jugendliche und Erwachsenen impfen können. Keine Daten liegen bisher darüber vor, wie gut überstandene Infektionen vor der Delta-Variante schützen.

Wo Delta in Europa aktuell die meisten Sorgen bereitet

Ausgehend von Indien hat sich die Mutation des Coronavirus bereits auf dem gesamten Planeten verbreitet. Für Europa war Großbritannien eine Art Einfallstor. Dort war aufgrund der fortgeschrittenen Durchimpfung der Bevölkerung das öffentliche Leben über weite Strecken wieder in normale Bahnen zurückgekehrt. Wegen der Delta-Variante wurden aber vergangene Woche weitere geplante Lockerungen um vier Wochen verschoben. Erst Mitte Juli soll die Lage neu bewertet werden. Mehr als 95 Prozent der Infektionen gehen im Vereinigten Königreich mittlerweile auf das Konto der Delta-Variante.

Auch in Portugal hat Delta bereits die Dominanz übernommen: Mehr als 60 Prozent der Neuinfektionen sind auf die Mutation zurückzuführen. Dies ist das Ergebnis der Sequenzierung der positiven Corona-Proben im Juni. In den vergangenen Tagen war die Zahl der neuen Infektionen kontinuierlich angestiegen. Die Regierung versucht, die Verbreitung des Virus mit einem Wochenend-Lockdown in Lissabon zu bremsen. Von Freitagnachmittag bis Montagfrüh durften die 2,8 Millionen Einwohner der Hauptstadt die Metropolregion nur mit einer triftigen Begründung verlassen.

In jenen europäischen Ländern, wo sich die Delta-Variante stark ausgebreitet hat, steigen auch die Infektionszahlen.

In Russland scheint sich nun die bisherige mangelnde Impfbereitschaft der Bevölkerung zu rächen. Obwohl Russland mit Sputnik V über einen eigenen Impfstoff verfügt, grundelt die Durchimpfungsrate bei gerade einmal etwas mehr als zehn Prozent der Bevölkerung dahin. Am Wochenende wurde insbesondere in Moskau mit mehr als 9.000 neuen Infektionen ein Höchststand erreicht. Obwohl Russland bisher mit relativ geringen Einschnitten durch die Pandemie gekommen ist, sollen nun die Impfzahlen mit einem Impfzwang für bestimmte Berufsgruppen und anderen begleitenden Maßnahmen angekurbelt werden. Die Moskauer Fanzone für die Fußball-Europameisterschaft wurde gesperrt.

Welche Probleme es in den USA mit der Variante gibt

In den USA wiederum lässt die Verbreitung der Delta die Sorge hinsichtlich einer möglichen neuen Corona-Welle steigen. Der aktuelle Anteil der Variante wird auf 20 Prozent geschätzt. Die Impfkampagne ist zuletzt aber immer schleppender verlaufen. Joe Biden hatte angekündigt, dass zum Independence Day am 4. Juli 70 Prozent der US-Bürger geimpft sein sollen – ein Ziel, das immer unrealistischer erscheint. Die politische Spaltung, die quer durch die Gesellschaft verläuft, zeigt sich auch beim Thema der Corona-Impfung: Während 77 Prozent der Anhänger der Demokraten bereits zumindest eine Impfung erhalten haben, sind es aufseiten der Republikaner gerade einmal 52 Prozent, wie eine Umfrage von CBS und Yougov ergab. 29 Prozent der Republikaner, aber nur fünf Prozent der Demokraten erklären, sich überhaupt nicht impfen lassen zu wollen.

Was in China gegen die Variante unternommen wird

Auch in dem Land, in dem die Corona-Pandemie Ende 2019 ihren Ausgang genommen hat, werden scharfe Maßnahmen gegen die Delta-Variante gesetzt. In der Stadt Dongguan in der Provinz Guangdong wurden am Montag Massentests angeordnet und das Verlassen des Stadtgebietes verboten, nachdem am Freitag zwei Fälle gemeldet worden waren. Am Wochenende wurden in ganz China insgesamt 40 Neuinfektionen festgestellt, wie die Behörden am Montag meldeten. Allesamt habe es sich um eingeschleppte Fälle gehandelt, nur in einem Fall in Dongguan habe die Infektion im Land stattgefunden. Dazu kommen noch einmal ebenso viele Fälle asymptomatischer Corona-Infektionen, die in China jedoch nicht zu den bestätigten Covid-19-Fällen gerechnet werden.

Was wir über die Verbreitung in Österreich wissen

Die aktuelle Verbreitung lässt sich im Moment nur grob schätzen. Das liegt einerseits daran, dass die Sequenzierungen sieben bis zehn Tage benötigen und wir deshalb immer etwas hintennach sind. Außerdem wurden außer in Wien die PCR-Tests stark zurückgefahren, was wiederum die Sequenzierungen etwas beeinträchtigt. Laut der am Mittwoch aktualisierten Übersicht der Ages bestätigten sich bis jetzt 361 Fälle. 153 davon entfielen auf Woche 23, das sind rund 10 Prozent der Fälle diese Woche – Tendenz steigend.

In anderen europäischen Ländern zeigt sich aktuell, dass sich der Anteil der Delta-Variante pro Woche annähernd verdoppelt. Das bedeutet, dass wohl auch in Österreich die Mutante im Laufe der Juliwochen dominant werden wird. Offen ist, ob und wie stark dadurch auch die Infektionszahlen im Juli und im August ansteigen werden.

Was die Delta-Variante für Urlaube in Europa bedeutet

Das lässt sich im Moment schwer sagen. Offensichtlich ist, dass ein Land wie Portugal mit einem bereits hohen Anteil an Infektionen mit der Delta-Variante als Urlaubsziel ungünstig wird – beginnend beim Problem, in Lissabon in einen Lockdown zu geraten. Es hängt aber natürlich davon ab, ob man in Portugal oder anderswo den Urlaub abgeschieden auf einer Finca verbringt oder in den Discos eines Touristen-Hotspots.

Dank einer neuen Studie im Fachblatt "Nature" wissen wir, dass im Vorjahr die Sommerurlaube stark zur Verbreitung der "spanischen" Variante über ganz Europa beigetragen haben, obwohl diese nicht einmal ansteckender ist. Experten wie Ulrich Elling fordern daher, dass sich Rückreisende aus solchen Gebieten unbedingt testen lassen sollten, um nicht die Delta-Variante als Urlaubsmitbringsel im großen Stil zu importieren.

Welche Szenarien in Herbst denkbar sind

Das sind sich die Expertinnen und Experten noch uneins. Viel wird davon abhängen, wie hoch die Impfbereitschaft ist. Je höher die Impfquote ist, desto mehr Menschen werden im Herbst geschützt sein, wenn mit einem Anstieg der Infektionszahlen zu rechnen ist. Offensichtlich ist, dass Kinder besonders von Infektionen betroffen sein werden, die nicht geimpft sind, aber auch nur ganz selten schwere Verläufe haben.

Während der deutsche Gesundheitsökonom und SPD-Politiker Karl Lauterbach im FAZ-Podcast durchaus das Risiko sieht, dass wegen der Delta-Variante auch die Spitäler wieder mehr Covid-19-Patienten zu betreuen haben werden, "weil sich alle Ungeimpften infizieren werden", geht Virologe Christian Drosten davon aus, dass selbst bei steigenden Infektionszahlen die Zahl der schweren Erkrankungen wegen der Impfungen gering bleiben werden. Er prognostiziert im FAZ-Podcast bloß eine "Laborwelle" für den Herbst: also höhere Infektionszahlen, die aus den Testlabors gemeldet werden, während die schweren Verläufe in den Spitälern gering bleiben werden. (Klaus Taschwer, Michael Vosatka, 22.6.2021)

Anmerkung der Redaktion: Der Text wurde am 23.6., 15.00, um die neuen Zahlen in Österreich aktualisiert.