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Arbeitgeber in den USA sprechen bereits von einer handfesten Jobkrise: Arbeitnehmer fehlen.

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Für das Geflügel ist es zweifelsfrei eine gute Nachricht. Rund eine Milliarde Hühner werden jedes Jahr im Vereinigten Königreich geschlachtet, doch heuer dürften es deutlich weniger werden. Der Verband der britischen Geflügelindustrie warnte vor wenigen Tagen, dass die Produktion schon seit Wochen um gut zehn Prozent unter dem langjährigen Schnitt liege.

Den Schlachtbetrieben fehlten die Mitarbeiter, so der Verband, die Unternehmen kommen nicht mehr mit den Aufträgen nach. Prompt meldeten sich auch die Frächter und beklagten fehlendes Personal für den Sommer, die Belieferung der Supermärkte sei gefährdet.

Solche Beschwerden über fehlende Arbeitskräfte kommen derzeit aus vielen Industrieländern. In Österreich wird über den Mangel an Bäckern und Kellnern diskutiert. In den USA hat die Zahl der offenen Stellen ein Allzeithoch erreicht. 9,1 Millionen Jobs waren im April laut den jüngsten Zahlen des Arbeitsministeriums als unbesetzt ausgeschrieben worden. Das ist ein Plus von einer Million gegenüber März.

Die US Chamber of Commerce, eine Interessenvertretung zehntausender Unternehmen, spricht von einer handfesten Jobkrise. Denn aktuell gibt es nur halb so viele Jobsuchende pro freie Stelle wie im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre, so die Lobbyorganisation.

Ähnliche Meldungen kommen aus Australien, wo die Zahl der freien Stellen ebenfalls einen Rekordstand erreicht hat. In der Schweiz beklagt der Präsident von Hotellerie Suisse, dem Lobbyverband der Branche, einen landesweiten Fachkräftemangel. In Ungarn fehlen plötzlich Erntehelfer, und Warnungen kommen auch aus Deutschland. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft kommt in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass der Mangel an hochqualifizierten Arbeitnehmern jenen vor der Pandemie übertrifft.

Im Aufschwung spürbar

Was steckt hinter der Entwicklung? Zunächst sind manche Meldungen über fehlende Arbeitskräfte mit Vorsicht zu genießen. Die Zahl der gesuchten Fachkräfte mit Top-Ausbildung in Deutschland mag höher sein als vor der Krise. Für die weit größere Gruppe der Fachkräfte mit mittlerer Ausbildung stimmt das noch nicht. "Dort, wo Knappheiten auftreten, werden die in einem Aufschwung viel stärker wahrgenommen", sagt Helmut Mahringer, Arbeitsmarktökonom vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Es kehren also vielerorts einfach die alten Probleme zurück, die nun stärker auffallen.

Dass in so vielen Staaten gleichzeitig eine derart ähnliche Debatte losbricht, deutet auch darauf hin, dass es zumindest eine gemeinsame Ursache geben muss. Infrage kommt nur die Pandemie. Durch Corona ist die Nachfrage nach Arbeitskräften im vergangenen Jahr eingebrochen, seither hat die Erholung eingesetzt. Nun, wo wieder alles geöffnet hat, schreiben Unternehmen Stellen aus und holen manches von dem nach, was sie 2020 Corona-bedingt verabsäumt haben, wie Mahringer sagt.

In einem Aufschwung sei es nicht ungewöhnlich, dass plötzlich viele freie Stellen dazukommen, das sei eher ein Indikator für eine starke Konjunkturerholung. Weil alles sehr rasch geschieht, bilde sich ein Flaschenhals. In den kommenden Monaten sollte die Zahl der gemeldeten freien Stellen abnehmen. Dafür werden offene Jobs besetzt, so Mahringer. In einer Analyse der Entwicklung kommt der Economist zu der Erkenntnis, dass Geduld aktuell eines der besten Rezepte gegen den stotternden Jobmarktmotor in vielen Ländern ist: Ein Teil der Probleme werde sich mit der Zeit von selbst lösen.

Dazu dürfte auch beitragen, dass die Arbeitslosigkeit trotz Mangelerscheinungen in vielen Ländern noch über Vorkrisenniveau liegt.

Umstrittener ist schon der zweite Vorschlag des britischen Wirtschaftsblattes Economist, wonach im Kampf gegen fehlende Arbeiter die Migration wieder angekurbelt werden müsste. Doch auch für die These lassen sich Belege anführen: Laut dem Economic Statistics Centre of Excellence, einem britischen Thinktank, haben zum Beispiel 1,3 Millionen Arbeitnehmer das Vereinigte Königreich in der Pandemie verlassen. Die meisten waren EU-Bürger, für sie gab es keine Arbeit auf der Insel in Pubs und auf Baustellen. Wie viele zurückkommen, ist ob der Unsicherheiten rund um den Brexit unsicher.

Wo Migranten fehlen

Eine ähnliche Entwicklung gibt es in Australien: Ob der strengen Einreisebestimmungen werden dort erstmals seit Jahren mehr Menschen aus- als einwandern. Die Zeitungen dort thematisieren regelmäßig, wie die strikten Regelungen die Ankunft neuer Arbeitnehmer, oft bereits mit vor der Pandemie ausgestellten Visa, verhindern.

Belege dafür, dass fehlende Migranten zu einer Arbeitskräfteverknappung führen, lassen sich freilich nicht überall finden: In Österreich etwa gibt es 3,7 Millionen unselbstständig Beschäftigte, davon sind 29 Prozent ausländische Staatsbürger. Dieser Wert ist ein Allzeithoch, der Trend steigt schon seit Jahren, die Pandemie hat daran nichts verändert, wie eine Auswertung des Wifo zeigt.

Der entscheidendste Baustein in der Saga betrifft die Löhne: Auf dem Arbeitsmarkt entscheidet die Höhe der Bezahlung, ob sich jemand für einen Job findet oder nicht. Die große Frage ist, ob die Knappheit auch zu höheren Löhnen führen wird. Gesicherte Antworten dazu gibt es noch nicht, dafür ist es zu früh. In den USA gibt es Hinweise dafür, dass es zu moderaten Lohnsteigerungen kommt. Die Gehälter sind dort zuletzt um satte drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, einer der höchsten Werte seit Jahren.(András Szigetvari, 22.6.2021)