Die neuen Kriterien bei der Zuteilung von Lehrerinnen und Lehrern an Schulen beinhalten auch einen Anreiz, in Klassen die zulässige Höchstzahl an Schülern auszuschöpfen.

Foto: APA/Fohringer

Der Aufschrei ist an vielen Wiener Schulen groß. Denn ab Herbst müssen zahlreiche Standorte mit weniger Lehrerinnen und Lehrern auskommen als zuvor – und als geplant. Direktorinnen und Direktoren, Eltern und Lehrkräfte der betroffenen Schulen fürchten, dass für kommendes Schuljahr vorgesehene Projekte und Förderformate prompt dem Sparstift zum Opfer fallen müssen – DER STANDARD hat berichtet.

Sie hätten "volles Verständnis" für die Sorgen dieser Schulen, erklärten denn auch Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) und Bildungsdirektor Heinrich Himmer (SPÖ) bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Dienstag.

Waage zwischen Profiteuren und Verlierern

Im Hintergrund der mancherorts schmerzlichen Kürzungen steht ein Umbau des Systems der Lehrerzuteilung im Pflichtschulsektor, den die rot-pinke Stadtregierung beschlossen hat. Beim Gesamtbudget für Lehrerposten gebe es aber jedenfalls keine Einsparungen, sagte Himmer, im Gegenteil: In Wien würden kommendes Jahr sogar 130 Lehrerinnen und Lehrer mehr in den Klassen stehen. Allerdings: "Sie werden anders verteilt." Rund die Hälfte der Mittelschulen werden nach Himmers Angaben personell von der Reform profitieren, die andere Hälfte dagegen Lehrer-Planstellen verlieren. An den Volksschulen sei der Anteil mit einem Budgetminus sogar etwas höher als jener mit einem Plus, wobei auch Effekte wie veränderte Klassenzahlen in die jeweiligen Bilanzen hineinspielen.

Kopplung an Klassen- und Schülerzahlen

Die neue Aufteilung der Mittel basiere auf fairen und transparenten Kriterien, die für alle Schulen gleich seien, daher könne man auch eine "Solidarität zwischen den Standorten" erwarten, meint der rote Bildungsdirektor. Auch Wiederkehr gab sich fest entschlossen, die Reform trotz anschwellender Widerstandsbekundungen durchzuziehen: "Bei mutigen Reformen tut es immer kurzfristig weh. Das ist, wie wenn man ein Pflaster runterreißt. Sie sind aber die Voraussetzung für nachhaltige Verbesserungen."

Wie lauten nun die von SPÖ und Neos angepriesenen Kriterien, die je nach Schule für Freud oder Leid sorgen? Die Schulen bekommen ein "Basiskontingent", das sich aus der Zahl der Klassen plus einem Zuschlag für die Zahl der Schülerinnen und Schüler errechnet. Durch den Zuschlag für die Schülerzahl bekommen Schulen einen Vorteil, die die Klassenschülerhöchstzahl von 25 ausschöpfen. Ein Anreiz zur Bildung voller Klassen, den die Koalitionäre verteidigen, zumal es laut Wiederkehr "widersinnig" wäre, bei knappem Budget Schulen mit kleinen Klassen zu bevorzugen. Es sei vielmehr ein Gebot der Gerechtigkeit, die zusätzlichen Herausforderungen vollbesetzter Klassen finanziell abzudecken. Auch Himmer hielte es angesichts des regen Zuzugs nach Wien für das falsche Signal, Schulen für die Gründung kleinerer Klassen zu belohnen. Über die Verwendung des besagten Basiskontingents sollen die Schulleitungen künftig weitgehend frei entscheiden und damit eigene Schwerpunkte setzten können. Dadurch werde die Autonomie der Standorte gestärkt.

Mittel via "Mini-Chancenindex"

Zum Basiskontingent dazu kommen vom Bund fixierte Mittel (etwa für Deutschförderklassen), aber auch Gelder, die sich nach einem vom Bifie (neuerdings IQS) für Wien erhobenen "Mini-Chancenindex" richten. Für Schulen, die viele Kinder mit Förderbedarf unterrichten, gibt es demnach mehr Lehrerstellen. Das für Politikerjargon untypisch tiefstaplerische Attribut "Mini" rührt übrigens daher, dass die Stadt Wien vom türkis-grünen Bund einen viel weitreichenderen Chancenindex fordert, von dem man sich mehr Geld für Schulen in den großstädtischen sozialen Problemlagen erhofft. Darüber hinaus vergeben Experten der Wiener Bildungsdirektion künftig Mittel aus einem Topf für spezielle pädagogische Projekte – beispielsweise Schulschwimmen oder muttersprachlichen Unterricht.

Opposition über Reform empört

Die Wiener Grünen warfen Wiederkehr und der Stadt einen "Rückschritt" in der Bildungspolitik vor. Es handle sich um "Kürzungen ohne Not im Bildungsbereich" – zwei Wochen vor Schulschluss. Die Neos hätten ihr Bildungsversprechen nach nur wenigen Monaten in der Wiener Stadtregierung gebrochen – "in Rekordtempo", wie die nicht amtsführende Stadträtin Judith Pühringer sagte. Eines stört den ehemaligen Juniorpartner in der Stadt besonders: Auch an sogenannten Brennpunktschulen würden Stunden abgebaut. Durch neu eingeführte Basiskontingente würden zudem Schulen, die kleine Klassen hatten, benachteiligt, was individuelle Förderung schwieriger mache.

Statt der versprochenen Transparenz würden "Chaos und untragbare Verhältnisse" an den Schulen einziehen, attestierte die Wiener ÖVP. Und: "Obwohl der Bund der Stadt mehr Lehrkräfte bezahlt als jemals zuvor, haben fast alle Schulen weniger Mittel als vorher", meinte der türkise Bildungssprecher Harald Zierfuß.

Die FPÖ wiederum ortete einen "unfassbaren Skandal". Wiederkehr, aber auch Himmer müssen "sofort zurücktreten, damit der Bildungskahlschlag in Wien gestoppt wird". (Theo Anders, Oona Kroisleitner, 22.6.2021)