Ein Jahr nach der Untersuchung der Weißmarmore der Villa Armira in Bulgarien war das Marmorteam des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW im April 2019 erneut unterwegs. Mit dabei waren der Geologe Walter Prochaska (ÖAI), die Archäologin Vasiliki Anevlavi (ÖAI) und die Historikerin Chiara Cenati (Uni Wien). Dieses Mal stand die archäologische Stätte von Ascalon in Israel im Mittelpunkt unseres Interesses.

Das Ziel war die Untersuchung, Beprobung und Charakterisierung der Marmorarchitektur der römischen Basilika in Ascalon. Die Artefakte aus Marmor, von denen wir Proben für archäometrische Analysen im Labor entnommen haben, wurden mit Unterstützung von Sa'ar Ganor, Rachel Bar-Natan (Israel Antiquities Authority) und Antonio Dell'Acqua (Universität Tübingen) ausgewählt. Unsere Hauptfrage war dabei: Woher kommt der Marmor? Diese Frage können wir nun beantworten.

Vorbereitung für das Team vor dem Probenahmeverfahren (von links: Walter Prochaska, Sa'ar Ganor, Chiara Cenati und Rachel Bar-Natan).
Foto: ÖAW-ÖAI/ V. Anevlavi

Ein Land ohne Marmorvorkommen.

Die Verwendung von Marmor im römischen Palästina wird zum ersten Mal vom Schriftsteller Flavius Josephus erwähnt, der im 1. Jh. n. Chr. gelebt hat. Er behauptet in seinem Werk ‘‘Bellum Iudaicum‘‘, dass Marmor systematisch in Bauprojekten von König Herodes verwendet wurde. Dabei könnte es sich jedoch um eine Verwechslung von Marmor und Kalkstein in antiken Quellen handeln oder um das Ergebnis einer etwas unterschiedlichen Bedeutung des Wortes für Marmor im Lateinischen und Griechischen. In den Gebäuden, die in der Zeit von Herodes gebaut wurden, wurde jedenfalls kein Marmor im engeren Sinn verwendet.

Obwohl Palästina keine Marmorsteinbrüche besitzt, finden sich in der Region aber viele Objekte und Gebäude aus Marmor, der dafür wohl importiert werden musste. In der Römerzeit war die Verwendung von Marmor außerordentlich wichtig für die Selbstdarstellung der Oberschicht. Im Wettbewerb zwischen den Eliten wurde Marmor aufgrund seines hohen Prestigewerts eine wichtige Rolle zugewiesen und konnte auch als Ausdruck politischer Bindungen zwischen einzelnen Städten und dem Kaiser verstanden werden. Marmor wurde für Statuen, Gebäude und andere Objekte, wie zum Beispiel Sarkophage, verwendet – nicht nur in Ascalon, sondern auch in anderen Städten des Römischen Reichs. Die Frage ist: Woher wurde der Marmor importiert und wie erreichte er das römische Judäa?

Unser Büro – anders als wir es gewohnt sind.
Foto: ÖAW-ÖAI/V. Anevlavi

Ascalon: Eine Küstenstadt ohne Hafen?

Ascalon war eines der Hauptzentren der südlichen Mittelmeerküste Palästinas, aber bisher wurde an der Küste des antiken Ascalon kein befestigter Hafen gefunden. In Caesarea Maritima im Norden des heutigen Israel befand sich jedoch ein veritabler Hafen. Wurden die Importmarmore von hier auf dem Landweg nach Süden transportiert? Die Topografie des Küstenabschnitts bei Ascalon scheint für den Bau eines Hafens jedenfalls nicht geeignet zu sein.

Die Stadt war jedoch zu wichtig, um selbst keinen Hafen zu haben. Es wäre daher möglich, dass hier eine besondere Form eines Hafens vorhanden war: Archäologinnen und Archäologen fanden 600 Meter von der Küste entfernt Anker im Meer. Dies könnte bedeuten, dass große Frachtschiffe dort anhielten und die Ladungen mit kleineren Schiffen an die Küste transportiert wurden.

Das offensichtliche Fehlen eines sicheren, bebauten Beckens hinderte die Stadt jedoch nicht daran, dank des Handels zu gedeihen. Viele Schiffe exportierten Güter, wie zum Beispiel den berühmten Wein aus Ascalon oder Schalotten, andere Güter wurden importiert, wie zum Beispiel halbfertige Marmorprodukte. Noch heute liegen antike Marmorsäulen und Granitsäulen am Ufer und werden von den Wellen umspült. Wir beobachteten die Säulen unter unseren Füßen, blickten aufs Meer hinaus und stellten uns vor, wie diese Landschaft in der Antike ausgesehen haben könnte.

Proben und Methoden

Die Stadt erlebte ihre Blütezeit in der Antike und zur Zeit der Kreuzzüge – heute liegt ein Großteil der antiken Stadt aufgrund der Wüstenausdehnung unter dem Sand begraben. Die Basilika ist das bekannteste Gebäude, ein öffentlicher Ort mit unterschiedlichen Verwaltungsfunktionen. Sie befand sich am Forum – dem zentralen Platz einer römischen Stadt – und stand im Zentrum unserer Forschungen.

Was von der Basilika von Ascalon übrig blieb, ist die Marmordekoration des 2./3. Jahrhunderts n. Chr. Vermutlich ehrten die städtischen Eliten Kaiser Septimius Severus, indem sie das riesige Gebäude damals renovierten. Die Marmorartefakte, die wir untersucht haben, stammen aus der zweiten Hälfte des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. Einige der beeindruckendsten Objekte sind herzförmige Kapitelle und Basen in Kombination mit Säulen mit verschiedenen Reliefs von Victoria (Nike), Isis und Atlas. Mit Hammer, Meißel und viel Aufmerksamkeit und Sorgfalt nahm Vasiliki Anevlavi zusammen mit Walter Prochaska kleine Proben von den Rückseiten oder von alten Bruchflächen der Dekorationstücke. Jeder Arbeitsschritt wurde von Chiara Cenati notiert und fotografiert.

Probenentnahme.
Foto: ÖAW-ÖAI/V. Anevlavi
Verschiedene architektonische Elemente der römischen Basilika von Ascalon.
Foto: ÖAW-ÖAI/V. Anevlavi

Im Gegensatz zu farbigem Marmor, bei dem ein erfahrenes Auge die verschiedenen Typen recht erfolgreich unterscheiden und oft bis zu ihren Quellen zurückverfolgen kann, ist bei der Untersuchung von weißem Marmor aufgrund der Schwierigkeiten bei der visuellen Klassifizierung eine systematische wissenschaftliche Analyse unumgänglich. Zu diesem Zweck wurden in der Vergangenheit eine Reihe von Analysemethoden entwickelt.

Zurück im Labor, wurden die Proben mit verschiedenen Methoden untersucht. Neben den petrografischen Untersuchungen unter dem Mikroskop wurden verschiedene chemische Spuren- und auch Isotopenuntersuchungen durchgeführt. Diese Ergebnisse wurden dann mit der zur Verfügung stehenden Datenbank von circa 4.000 Proben aus Steinbrüchen der antiken Welt abgeglichen.

An der Küste von Ascalon wurde noch kein Hafen entdeckt.
Foto: ÖAW-ÖAI/V. Anevlavi
Granitsäulen an der Küste von Ascalon.
Foto: ÖAW-ÖAI/V. Anevlavi

Woher kommt der Marmor?

Die Architektur der Basilika von Ascalon ist der Basilika von Leptis Magna im heutigen Libyen, der Heimatstadt des Kaisers Septimius Severus, sehr ähnlich. Als wir die Bauteile beprobten, erkannten wir schon Marmore aus verschiedenen Steinbrüchen, die Ähnlichkeiten mit Marmoren der Basilika in Leptis Magna aufwiesen. Später bestätigten das auch die ersten Ergebnisse unserer Laboranalysen. Der größte Teil der verwendeten Marmore stammt aus Prokonnesos, der Marmara-Insel vor Istanbul. Auch Marmore aus Thasos, und von der Insel Lesbos sind prominent vertreten. Von besonderem Interesse ist die Verwendung verschiedener Marmore aus Lesbos, die in römischer Zeit wohl sehr beliebt waren, in Übereinstimmung mit vielen anderen Bauprojekten des Kaisers Septimius Severus. In dieser Hinsicht stimmt das Marmorinventar von Ascalon ausgezeichnet mit den gut untersuchten Marmoren von Leptis Magna überein.

Das Marmorteam während der Probennahmekampagne (von links: Chiara Cenati, Vasiliki Anevlavi und Walter Prochaska).
Foto: Sa’ar Ganor, Israel Antiquities Authority

Marmor war für die Römer unverzichtbar. Wenn es keine regionalen Vorkommen gab, dann wurde er importiert, wenn nötig vom anderen Ende der bekannten Welt. Wir arbeiten weiter daran, diese Zusammenhänge und die langen Wege des Marmors zu erforschen. (Vasiliki Anevlavi, Chiara Cenati, 24.6.2021)