Die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz erklärt in ihrem Gastkommentar, warum es sinnvoll ist, dass es zu Änderungen bei der Qualitätskontrolle bei Ärztinnen und Ärzten kommt. Und sie schreibt darüber, was ihr bei der Reform wichtig ist.

Die Allgemeinmedizinerin betrieb ihre Abtreibungspraxis schon seit Jahrzehnten, als ich im Jahr 2013 lautstark Alarm schlug: Mehrfach waren Frauen durch unsachgemäße Eingriffe schwer verletzt worden. Da die Ärztin die Kooperation mit mir verweigerte, konnte den Frauen nicht geholfen werden. Die Ärztekammer, zuständig für die Überwachung der Qualität im niedergelassenen Bereich, hatte zwar Disziplinarverfahren geführt, nachhaltige Verbesserungen blieben aber aus.

Methode der Selbstevaluation? Die Beurteilung der Qualität von Ordinationen soll neu organisiert werden.
Foto: Regine Hendrich

Wir von der Patientenanwaltschaft nahmen das nicht hin und setzten alle Hebel in Bewegung, bis die Ärztekammer sich endlich zum Entzug der Approbation durchringen konnte. Die Ärztin beschwerte sich beim Landesverwaltungsgericht Wien gegen die Streichung aus der Ärzteliste. Die gerichtliche Begründung für die Abweisung der Beschwerde eröffnet einen Blick in Abgründe schlimmster Qualitätsmängel. Es fehlte der Ärztin an einschlägiger Kompetenz, und sie arbeitete mit veralteten Methoden und Geräten. Für Notfälle war sie weder organisatorisch noch medizinisch vorbereitet.

Detektivischer Blick notwendig

Warum ist dieser alte Fall heute noch bedeutsam? Weil die Ärztekammer daraus keine systemischen Konsequenzen gezogen hat. Das Aus für die Ärztin bleibt bis dato die einzige bekannt gewordene Ordinationsschließung aus Qualitätsgründen in Wien. Vielleicht gab es ja ohnehin nur ein einziges schwarzes Schaf? Niemand weiß es, denn weder gibt es eine unabhängige Qualitätsprüfung noch Transparenz über festgestellte Mängel. Wer herausfinden will, ob eine massive Beschwerde gegen eine Ärztin / einen Arzt zur Aberkennung der Vertrauenswürdigkeit durch die Ärztekammer geführt hat, dem bleibt nur ein detektivischer Blick ins Ordinationsverzeichnis, ob die Ärztin beziehungsweise der Arzt dort noch aufscheint.

Die Qualität der österreichischen Arztpraxen beurteilt nämlich bis dato ausschließlich die Standesvertretung selbst, und sie bedient sich dabei der Methode der Selbstevaluation. Dieses Verfahren erlaubt dem Arzt oder der Ärztin, sich alle fünf Jahre mittels Fragebogen und Ja/Nein-Antworten selbst zu beurteilen. Der Patientensicherheit und dem Beschwerdemanagement wird ein ausgesprochen kleiner Bereich gewidmet. Es ist außerdem – kaum zu glauben – tatsächlich noch okay, wenn man analog mit Karteikarten arbeitet. Das Fehlen digitaler Patientendokumentation – ein wichtiger Pfeiler der Patientensicherheit – gilt keinesfalls als Mangel. In nur sieben Prozent der Fälle werden die Angaben stichprobenartig durch die Kammer nachgeprüft. Dieses Risiko kann man jedenfalls getrost aussitzen, denn es trifft den Einzelnen statistisch nur alle 70 Jahre!

Nicht verwunderlich, dass 97 Prozent der Ärztinnen und Ärzte sich selbst bescheinigten, es würde in ihrer Ordination kein Mangel vorliegen. So hielt es der Rechnungshof in seinem Bericht zur Qualitätssicherung im niedergelassenen Bereich (2018) jedenfalls kritisch fest. Bei den Stichproben stellten sich jedoch 18 Prozent als mängelbelastet heraus. Für die Patientensicherheit ist dieser Widerspruch untragbar, denn die Patientinnen und Patienten erwarten zu Recht, das unerwünschte Ereignisse hintangehalten und die erwartbaren Therapieergebnisse erzielt werden.

"Es ist außerdem – kaum zu glauben – tatsächlich noch okay, wenn man analog mit Karteikarten arbeitet. Das Fehlen digitaler Patientendokumentation – ein wichtiger Pfeiler der Patientensicherheit – gilt keinesfalls als Mangel."

Damit soll bald Schluss sein. Vergangene Woche hat der Nationalrat eine Reform beschlossen. Besonders die einhellige Initiative der Bundesländer zeigte Wirkung. Die Qualitätssicherung in den Ordinationen liegt ab 2023 nicht mehr in der Kompetenz der Kammer, sondern ist Aufgabe des Gesundheitsministers. Inakzeptabel ist jedenfalls für die Zukunft, dass die Prüfeinrichtung abhängig ist. Schon der Rechnungshof hat festgehalten, dass die ÖQMed, die die Qualitätsprüfung vornimmt, finanziell und organisatorisch mit der Ärztekammer verflochten ist, was zu Interessenkonflikten führen könnte. Man empfahl dem Ministerium und der Kammer, eine finanziell und organisatorisch unabhängige Qualitätssicherungseinrichtung zu entwickeln.

Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Für ein modernes und wirkungsvolles Qualitätsmanagement gibt es international sehr gute Beispiele. Das Institut für Höhere Studien hat bereits 2018 dazu einen Bericht gelegt. Es braucht ihm zufolge nicht nur eine subjektive Momentaufnahme wie bei der Selbstevaluation, sondern die Teams in den Ordinationen werden motiviert, nachhaltige qualitätssichernde Maßnahmen zu etablieren. Das externe und unabhängige Audit sieht eine umfassende Analyse der Stärken und der Verbesserungspotenziale in Arztpraxen vor.

Zeitsparend und unbürokratisch

Das Europäische Praxisassessment (EPA) ist dazu ein gutes Beispiel. Es wurde mit Qualitätsexperten aus dem Hausarztbereich entwickelt. Im Zentrum stehen die Patientenorientierung und die Zufriedenheit der Ärztinnen und Ärzte sowie der Mitarbeiter. Man untersucht Domänen wie medizinische und nichtmedizinische Ausstattung, Mitarbeiter- und Patientenperspektive, Aus- und Weiterbildung, Information und Kommunikation, Beschwerde- und Fehlermanagement, finanzielle Planung. Die Implementierung des EPA-Systems in den Praxen erfolgt in mehreren Schritten, arbeitet ergebnisorientiert, ist auf die Bedürfnisse der Ordination zugeschnitten, zeitsparend und unbürokratisch umsetzbar. Eine Studie hat bestätigt, dass damit in sehr vielen Bereichen signifikante und relevante Verbesserungen erzielt werden konnten.

Im Wartezimmer der Abtreibungsärztin hingen, fein gerahmt, die untadeligen Zeugnisse aus der Qualitätsüberprüfung in Selbstevaluation. Die Ärztekammer hatte keine Mängel gefunden. Damit die Patientinnen und Patienten künftig aber wirklich auf das behördliche Qualitätszertifikat vertrauen können, wird der Gesundheitsminister für zeitgemäße Qualitätsinstrumente, Unabhängigkeit und Transparenz sorgen müssen. (Sigrid Pilz, 23.6.2021)