Die Österreicher sind mit großer Mehrheit gegen eine Erleichterung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft für Zuwanderer bzw. deren Kinder. Eh klar.

Dennoch wird dieser erleichterte Zugang kommen. Einfach, weil eine unaufhaltsame gesellschaftliche Entwicklung dahintersteht. Es kann dauern, aber es kommt.

In Österreich leben 1,5 Millionen ausländische Staatsbürger. In Wien rund 600.000. Legt man das auf das wahlfähige Alter von 16 um, durften 2021 30,7 Prozent der Wiener Bevölkerung im wahlfähigen Alter ab 16 Jahren nicht an Wahlen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene teilnehmen.

Das geht auf Dauer nicht. Weder in den Bundesländern noch in Wien. Der größte Teil der hier lebenden ausländischen Staatsbürger ist "verfestigt". Die werden nicht mehr weggehen. Sie gehen hier zur Schule, arbeiten, zahlen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Sie haben hier ihren Lebensmittelpunkt. Sie auszuschließen ist auf Sicht gefährlich. Das gilt vor allem für die Jungen.

Die SPÖ hat daraus den logischen Schluss gezogen und möchte, dass man die Staatsbürgerschaft nach sechs statt nach zehn Jahren beantragen kann und dass das viel weniger kostet. Die üblichen Voraussetzungen (Sprache, staatsbürgerliches Wissen, Unbescholtenheit, selbstständige Erhaltung) müssten nach wie vor gegeben sein. Außerdem kann sich die SPÖ vorstellen, dass hier Geborene automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen, wenn zumindest ein Elternteil fünf Jahre legal im Bundesgebiet aufhältig ist – wie es in etlichen Ländern möglich ist.

"Entwertung" der Staatsbürgerschaft

Die ÖVP will das auf keinen Fall. Das wäre eine "Entwertung" der Staatsbürgerschaft, meint Kanzler Sebastian Kurz, und Ministerin Karoline Edtstadler sagt, die Staatsbürgerschaft müsse am Ende eines "gelungenen Integrationsprozesses" stehen. Eine Frage: Kann man hier geborene oder als Kleinkind zugewanderte Schülerinnen und Schüler, Studenten oder Lehrlinge, die perfekt Deutsch sprechen, gute Noten haben oder schon im Berufsleben sind, als "gelungen Integrierte" betrachten? Noch einmal: Die werden ganz überwiegend nicht mehr weggehen. Und da soll man sie im Status von Bürgern zweiter Klasse belassen? Was sollen die noch tun? Vielleicht ihren muslimischen Glauben ablegen, wenn sie denn einen haben? (Die größte Zahl ausländischer Staatsbürger in Wien stellen die Serben und die Deutschen – 77.000 und 52.000. Dann kommen die Türken – 45.000).

Die erleichterte Staatsbürgerschaft wird nach Umfragen von über 60 Prozent abgelehnt. Das ist eine Reflex-Antwort, die nicht die endgültige sein muss. Die SPÖ hat allerdings den Vorschlag einmal hingeschmissen, und das war’s. Es wurde nicht nachgearbeitet, breit diskutiert, keine Überzeugungsarbeit geleistet. Damit ist übrigens der Zustand einer Partei beschrieben, die früher in der gesellschaftspolitischen Avantgarde war und es verstand, das öffentliche Bewusstsein zu verändern. ÖVP und FPÖ geben sich der Fiktion hin, dass wir immer noch ein reines Lederhosen- und Wadelstutzenland sind.

Die Realität wird diese Fiktion zerbröseln. Infrage kommen derzeit rund 90.000 Personen (und nicht 500.000, von denen die ÖVP schwafelt). Sie und die Nachkommenden dauerhaft auszuschließen erzeugt eine wirkliche "Parallelgesellschaft", wenn nicht Schlimmeres. (Hans Rauscher, 22.6.2021)