Bis 11. September 2021 wollen die USA und ihre Verbündeten den Kriegseinsatz in Afghanistan beenden. Schon jetzt aber drehen die radikalislamischen Taliban eifrig an der Gewaltspirale und erkämpfen sich Provinz um Provinz. Das führt zu einem kleinen Schwenk im Weißen Haus, das nun doch einen etwas langsameren Truppenabzug erwägt. Die Frist bleibt jedoch unverändert, und das wird wohl so bleiben. Die USA können den Abzug verschmerzen: Geopolitisch hat ihnen der Einsatz kaum etwas gebracht, und alles, was danach kommt, ist für sie mehr als 11.000 Kilometer entfernt.

Bis 11. September 2021 wollen die USA und ihre Verbündeten den Kriegseinsatz in Afghanistan beenden.
Foto: AFP/JOEL SAGET

Anders verhält es sich für die Europäer – denn der sich anbahnende Bürgerkrieg und der daraus vermutlich hervorgehende Sieger, die Taliban, werden zu einer Flucht vieler Afghanen führen, wenn sie nicht schon dabei sind. Bereits jetzt sind sie laut Uno mit 2,6 Millionen die drittgrößte Flüchtlingsgruppe weltweit. Und in Österreich stellen sie nach den Syrern die meisten Asylanträge.

Die USA schaffen mit ihrer Ankündigung leicht verbesserte Rahmenbedingungen für Europa, das sich Folgendes vornehmen sollte: Es muss sich endlich von seiner außenpolitischen Rolle als Appendix der USA verabschieden und zumindest versuchen, mit weiterer Präsenz in Afghanistan eine gewisse Ordnung zu gewährleisten. Wenn es den Entscheidungsträgern hilft, kann man es so sehen: Es geht nicht zwingend um die Wahrung von Demokratie und Menschenrechten, nicht darum, die steinzeitlich anmutenden Taliban von der Macht fernzuhalten, sondern um puren Eigennutz.

Denn man sieht am Bürgerkrieg in Syrien oder am überstürzten Nato-Abzug aus Libyen, was passiert, wenn man in der Nachbarschaft nicht eingreift oder sich zu früh zurückzieht: Flüchtlinge und Migranten drängen in Scharen nach Europa und verändern den alten Kontinent grundlegend – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. (Kim Son Hoang, 22.6.2021)