Nikki Redman ist in ihrem Element. "Schau mal, alles schwarz, aber …", sagt die Reiseführerin und zeigt auf einen kleinen Baum. Verkohlt sieht die Pflanze aus. Der Eindruck täuscht. "Unten in den Wurzeln, da lebt der Baum weiter." Tatsächlich: Kleine grüne Zweige schießen durch den Sand; brechen durch scheinbar tote Rinde.

Redman ist Reiseführerin bei Kangaroo Island Odysseys Tours. Sie ist auf der Insel geboren, aufgewachsen und hat praktisch immer hier gelebt. "Ein paarmal ging ich weg", erzählt sie, "aber es zog mich immer wieder nach KI zurück." KI – so nennt hier jeder die Insel vor der südaustralischen Küste – sei ihr Zuhause. Mehr noch: "Ich bin KI", sagt die Mittvierzigerin.

7. Jänner 2020: Ein geretteter Koala auf Kangaroo Island.
Foto: EPA/DAVID MARIUZ

Und dann füllen sich Redmans Augen mit Tränen. Plötzlich sei sie wieder da, die Erinnerung, plötzlich beiße er wieder, der Schmerz. "Es ist hart", sagt sie. "Fast fühle ich mich schuldig." Schuldig, dass sie solche Emotionen habe, obwohl sie im Horrorsommer von 2020 nicht direkt betroffen gewesen war wie so viele ihrer Freunde und Bekannten. Damals, als die Hälfte von Redmans von Buschland bedecktem Naturparadies von einem Inferno heimgesucht wurde.

Flammenwände

Bald sind es eineinhalb Jahre, seit auf Kangaroo Island die verheerendsten Feuer der jüngeren Geschichte gewütet hatten. "Ein Inferno von kaum vorstellbarem Ausmaß", berichteten im Jänner 2020 die Medien. Bilder von 50 Meter hohen Flammen, die sich in rasender Geschwindigkeit durch die Landschaft fraßen, gingen um die Welt. Es war eine der spektakulärsten Feuersbrünste in diesem Sommer, in dem entlang der Ostküste des Kontinents zeitweise dutzende unkontrollierbare Brände wüteten. Zwei Menschen starben allein auf KI, über 400 Gebäude und 276 Fahrzeuge gingen in Flammen auf. 60.000 Nutztiere verbrannten, dutzende Familien verloren ihre Existenz.

Und der Schaden an der Natur war immens. Immer wieder kämen ihr Bilder in den Sinn, sagt Nikki Redman, ob sie wolle oder nicht. Etwa von einem Koala. "Ich hatte ihn in einem komplett ausgebrannten Gebiet gefunden und ihn in einen Wald gebracht, wo es noch Futter gab. Doch er rannte mir immer nach, wollte mit mir gehen." Sie musste das Tier zurücklassen. Am nächsten Tag war der Koala verschwunden. Bis zu 25.000 dieser ikonischen australischen Beuteltiere waren in den Flammen umgekommen. Hunderte weitere mussten monatelang gepflegt werden. Viele schafften es nicht.

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19. Jänner 2020: Ein Känguru inmitten der verbrannten Büsche.
Foto: REUTERS/Tracey Nearmy

Ortstermin mit einem Experten: Heiri Klein, gebürtiger Schweizer und Ökologe bei der Nationalparkbehörde des Bundesstaates Südaustralien, steht am Bunker Hill, einem der schönsten Aussichtsorte der Insel. Hier fegte 2020 ein Feuersturm durch. Seither hat sich die Natur auf geradezu spektakuläre Art und Weise erholt. Wo bis vor kurzem kein Blatt zu sehen war, stehen einheimische Pflanzen in einem neuen Kleid. Klein zeigt über ein Meer von Grün. "Wenn ein Waldbrand durch ein Gebiet geht, keimen schon wenige Woche später neue Pflanzen aus der Asche."

Natur braucht Feuer

Es sei eine Eigenart der australischen Natur, dass sie sich nach einer Feuersbrunst schnell wieder erholt. Einheimische australische Pflanzen wie Eukalyptusbäume, Banksia-Büsche und Teebäume bräuchten sogar die Hitze eines Feuers und die Chemikalien des Rauchs, damit sich ihre Samenkapseln öffnen können.

Doch während sich die Natur neu erschafft, leiden noch immer viele Menschen unter dem Trauma von 2020. "Einige haben alles verloren", erklärt Rob Manton, Koordinator für Katastrophenhilfe. Der Wiederaufbau werde noch Jahre dauern. "Noch weitaus länger aber dürften wir mit den psychischen Folgen zu tun haben", sagt der Beamte. Viele der Bewohner seien zutiefst traumatisiert. Sie mussten nicht nur um ihren Besitz und ihre Tiere fürchten, sondern auch um ihr Leben.

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2. Dezember 2020: Ein Zwergbilchbeutler freut sich auf die sich erholende Natur auf der Insel.
Foto: Reuters/Ashlee Benc

John Hird, Betriebschef der Luxushotelanlage Southern Ocean Lodge, ist wohl nur noch hier, weil er und seine Mitarbeiter sich in einem feuerfesten Bunker unter dem Hauptgebäude in Sicherheit bringen konnten. "Das Feuer kam von allen Seiten", erinnert er sich, "zu fliehen wäre aussichtslos gewesen." Als sie nach den wohl nervenzerreißendsten zwei Stunden ihres Lebens die Bunkertüre öffneten, lag vor ihnen eine apokalyptische, von Asche bedeckte Landschaft. "Alles war weiß", erinnert sich Hird, "wie von Schnee bedeckt."

Praktisch alle Gebäude waren zerstört. "Wir mussten dann erst mal alle aufs Klo", sagt Hird und grinst. Sein Humor hilft ihm wohl auch, Geduld für den Wiederaufbau zu haben. Zwei Jahre werde es dauern, bis wieder Gäste einziehen können in die Anlage direkt am Ozean, sagt der Hotelier.

Pandemie als Segen

Die für das Wohlergehen der gesamten Insel entscheidende Tourismusindustrie sah sich nach den Bränden einer wirtschaftlichen Doppelkatastrophe gegenüber, als kurze Zeit später Covid-19 kam. Überraschenderweise erwies sich die Pandemie aber als eine Art Segen. Zwar blieben zehntausende ausländische Reisende weg, die Grenzen sind bis heute für Touristen geschlossen. Dafür nahmen tausende Australier die Fähre vom Festland nach KI. Da Australier ihr Land nicht verlassen dürfen, machen sie zu Hause Urlaub.

Nicht nur auf KI freuen sich Hotels und andere Anbieter in der Reisebranche über einen Nachfrageboom, wie sie ihn seit Jahren nicht erlebt haben. Für viele Bewohner von KI ist das Interesse der Besucher an ihrer Insel moralisch von großer Bedeutung. "Diese Unterstützung ist für uns lebenswichtig", sagt Bürgermeister Michael Pengilly. Man freue sich auf die Öffnung der Grenzen, um endlich wieder Touristen aus dem Ausland begrüßen zu können.

Die Vegetation erobert die verbrannten Gebiete rasch wieder. Zum Teil benötigt die australische Flora sogar regelmäßig Brände, damit die Samen der Pflanzen keimen können.
Foto: Urs Wälterlin

Nikki Redman stoppt ihren Allrad-Toyota am Rand eines kleinen Waldes. Sie blickt in die Ferne und lauscht. "Hörst du?", fragt sie und zeigt auf einen kleinen Vogel, der im Geäst eines nahen Eukalyptusbaumes zwitschert. In den Monaten nach den Feuern sei hier kein Ton zu hören gewesen. "Alles war tot." Nicht einmal Insekten hätten gebrummt. "Jetzt singen die Vögel wieder", sagt sie. Und ihre Augen füllen sich mit Tränen. (Urs Wälterlin aus Kangaroo Island, 23.6.2021)