Isabella von Bourbon-Parma heiratete Kaiser Joseph II., liebte aber seine Schwester Marie Christine, die Lieblingstochter Maria Theresias. Gemälde von Jean Marc Nattier d.J., Prinzessin Maria Isabella von Parma (1741–1763), Gemahlin von Joseph II., 1758.
Foto: KHM-Museumsverband

Regenbogenfahnen wehen derzeit vor vielen Museen als Zeichen für Vielfalt und Toleranz. Innerhalb der Kunsthäuser finden sich ebenfalls Zeugnisse von LGBTQ+-Persönlichkeiten und -Erzählungen. Weil aber oft einschlägiges Vorwissen nötig ist, um diese zu erkennen, ist es wichtig, dass sie zumindest im Pride-Monat Juni etwa bei Führungen vor den Vorhang geholt werden.

Auf der Suche nach Darstellungen des queeren Lebens und Schaffens stoßen Forschende in Sammlungen auf teils höchst aussagekräftige Kunstwerke und Dokumente verschiedener Epochen und Kulturen.

Das verdeutlichen etwa die Briefe der Isabella von Bourbon-Parma, die auch im Kunsthistorischen Museum (KHM) abgebildet ist. Die Gemahlin des Habsburger Kaisers Joseph II. tauschte mit ihrer Schwägerin, der Erzherzogin Marie Christine, innige Nachrichten aus. Sätze wie "ich küsse Sie und bete Sie an bis zu einem Grade, den ich nicht sagen kann" zeigen, dass die adeligen Frauen mehr als beste Freundinnen waren.

Das bekannteste Beispiel für einen mythologischen Charakter abseits der Geschlechterbinarität: Hermaphroditos. Gemme aus dem 18. Jahrhundert.
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Androgyn und intersex

Ebenfalls lässt sich die strikte binäre Geschlechtertrennung mit fest zugeschriebenen Rollen als gesellschaftliches Konstrukt anhand von vielen musealen Objekten und Aufzeichnungen diskutieren. Selbst die Rollen- und Idealbilder veränderten sich im Laufe der Zeit immer wieder. Im 16. Jahrhundert etwa galt Androgynität in Europa vielerorts in höheren Gesellschaften als Idealbild, dem sich viele Frauen und Männer anzunähern suchten, wie man bei einer KHM-Führung von Larissa Kopp erfährt. In Adelskreisen und im Bürgertum wurden Männer mit femininen Zügen als besonders edel und begehrenswert angesehen.

Gleichzeitig griffen Maler wie Bartholomäus Spranger in ihren Werken mythologische Figuren wie Hermaphroditos auf, der mit seinen Geschlechtsmerkmalen zwischen typisch weiblichem und typisch männlichem Körper ein Beispiel für die Darstellung von Intersexualität ist.

Männerfreundschaft plus

Aus italienischen Quellen ist bekannt, dass damals viele Männerfreundschaften – wie schon im antiken Griechenland – eine erotische Komponente besaßen. In Florenz kam es wegen der offiziell eigentlich verbotenen Verbindungen zu tausenden Anzeigen, wobei die Verstöße nur selten streng sanktioniert wurden. Und mit Caravaggio gibt es im Museum mindestens einen berühmten Vertreter der Kunstschaffenden um 1600, der wahrscheinlich mit Frauen wie Männern intim verkehrte. Intergeschlechtlichkeit, Homo- und Bisexualität existieren in der Kunst seit geraumer Zeit, allein die heutigen Bezeichnungen dafür gab es über weite Strecken nicht.

Androgynität spielte im 16. Jahrhundert eine große Rolle. Im Gemälde "Sine Cerere et Baccho friget Venus" von Bartholomäus Spranger (um 1590) sehen sich die Gottheiten Ceres und Bacchus sehr ähnlich.
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Dass häufig der Eindruck vermittelt wird, LGBTQ+-Personen existierten erst seit kurzer Zeit, liegt der Forschung zufolge auch an Sammlungspraxis und Interpretation der jeweiligen Objekte. So spiegelt der Fundus des Weltmuseums Wien größtenteils eine Vergangenheit wider, in der aus einer heteronormativen Perspektive heraus gesammelt wurde. Oft entsprach der Blick der reisenden Fremden nicht dem, was die Ortsansässigen in den Alltags- und Kunstgegenständen sahen. "Weiße Männer sammelten großteils das, was ihr Interesse traf", so formuliert es der Historiker Muhammet Ali Baş, der am Weltmuseum Führungen anbietet.

Unterdrückung in Kolonialherrschaft

Die Benennung der Gegenstände wurde ebenfalls vielfach vom Weltbild ihrer Finder beeinflusst und oft für lange Zeit beibehalten. Ein Beispiel dafür ist ein äthiopischer Kopfschmuck, der im Königreich der Kaffa als Sinnbild für Macht und Mut besonders tapferen Kriegern überreicht wurde. Der Sammler dieser Stücke, der Afrikareisende Friedrich Bieber, interpretierte sie eindeutig als Phallussymbole. Neuere ethnografische Forschungen ergaben, dass sie ebenso Antennen für die spirituelle Verbindung zu den Göttern darstellen könnten. Bei Biebers Interpretation dürfte seine Faszination für die Lehren Freuds eine Rolle gespielt haben.

Phallus oder Antenne? Der Blick der Sammler prägt oft für lange Zeit die Interpretation eines Ausstellungsstücks.
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Der deutsche Bali-Kenner Walter Spies, einer seiner Zeitgenossen, sammelte künstlerische Motive der indonesischen Bevölkerung. Als schwuler Mann hatte Spies mit der damaligen niederländischen Kolonialregierung zu kämpfen und wurde mehrfach festgenommen. In einigen Ländern sorgten erst Kolonialherrschaft und christliche Missionare dafür, dass etwa gleichgeschlechtliche Sexualität verpönt und zur Straftat wurde.

Verfolgung und Widerstand

Naheliegenderweise führte die Feindlichkeit gegenüber Personen, die man heute als queer bezeichnen würde, dazu, dass viele ihre Identität im Verborgenen hielten. Einige Lebensgeschichten sind nur bekannt, weil Bruchstücke von ihnen in Strafakten Eingang fanden.

In der Ausstellung "Homo Neubau" erzählt das Bezirksmuseum Neubau die Geschichten von sieben homosexuellen Frauen und Männern, die zwischen 1939 und 1945 verfolgt wurden. "Hier sieht man, wie Privates zwischen zwei Aktendeckeln landen und einem zum Verhängnis werden kann", sagt Monika Grußmann, Leiterin des Bezirksmuseums. In der Ausstellung, die bis Juni 2022 läuft, finden sich etwa persönliche Briefe, die mit Markierungen und Stempeln der Gestapo versehen sind, die in den Schriftstücken nach Hinweisen auf Homosexualität suchte. Viele der Porträtierten wurden auf Basis weniger Dokumente verfolgt oder deportiert, manche nahmen sich ob ihrer aussichtslosen Lage das Leben. "Homo Neubau" erzählt aber auch imponierende Geschichten von Mut und ausdauerndem Widerstand, der unter widrigsten Umständen Menschenleben rettete.

Ideenfindung für das Queer-Museum

LGBTQ+-Personen in der musealen Aufbereitung nicht auf eine Opferrolle zu reduzieren empfindet auch Hannes Sulzenbacher als zentralen Punkt. Er arbeitet am Forschungszentrum für queere Geschichte QWien und ist in die Planung des Queer Museum Vienna involviert. "Man muss den Menschen sagen und zeigen, dass ihre Geschichte auch eine von Glück und Erfolgen ist", sagt der Kurator.

In Bezug auf das Queer-Museum fordert er dazu auf, die Kulturstätte als unkonventionellen Vermittlungsort zu denken. Im kommenden Jahr ist eine international besetzte Tagung zur Ideenfindung geplant. Hierfür sind auch zwei Ausstellungen in Vorbereitung, die unter dem Titel "Positions" queere Kunst aus Osteuropa zeigen werden. (Marlene Erhart, Julia Sica, 23.6.2021)