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Karoline Edtstadler, Österreichs Europaministerin, mit dem ungarischen Außenminister am Dienstagabend. Zu diesem Zeitpunkt wollte die ÖVP-Politikerin das homosexuellenfeindliche Gesetz in Ungarn noch nicht verurteilen, wie es andere Europaminister bereits getan hatten.

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Die Regenbogenparade wurde am Samstag kurzfristig gestört.

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Der Pride-Month neigt sich dem Ende zu – und in den letzten Tagen wurde wieder deutlich, wieso der für einen Monat gewählte spezielle Fokus noch immer notwendig ist. Neben einer Störaktion bei der Regenbogenparade am Samstag und Kritik an dem Monat an sich aus dem freiheitlichen Lager sind es aber vor allem internationale Entwicklungen, die aktuell für Aufregung sorgen: Im Nachbarland Ungarn wurde vor einer Woche ein Gesetz beschlossen, das jegliche Information Minderjähriger über Homosexualität verbietet.

Die ungarische Regierung wird deswegen aktuell von einer ganzen Reihe von Europaministerinnen und -ministern verurteilt, nicht aber von der österreichischen, Karoline Edtstadler (ÖVP) – zumindest zunächst. Denn nachdem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwochvormittag bezüglich des Gesetzes von einer "Schande" gesprochen hatte und Edtstadler für ihr Vorgehen von vielen Seiten kritisiert worden war, lenkte sie ein.

14 Mitgliedsstaaten unterzeichneten zunächst eine entsprechende Resolution, Österreich war das einzige westeuropäische Land, das dies nicht tat. "Ich bin gelernte Richterin, und ich bin es gewöhnt, dass man zuerst alle Fakten auf den Tisch bekommt, bevor man sich ein abschließendes Urteil bildet", sagte Edtstadler noch am Dienstag. Auf Twitter betonte sie am Mittwoch: "Die jüngsten Entwicklungen in Ungarn in Bezug auf die LGBTQI-Community sind zutiefst besorgniserregend."

Gründe für das Einlenken

Man habe die Faktenlage sorgfältig geprüft, begründete Edtstadler ihren Schritt. Auf Twitter sprachen Postings von Grünen für einen zu großen innerkoalitionären Druck als Auslöser für das Einlenken – was allerdings keine überraschende Sichtweise als grüner Koalitionspartner ist. Auch unkoordiniertes Vorgehen auf EU-Ebene könnte mit ein Grund sein. Denn die Benelux-Staaten waren am Dienstagvormittag mit der Resolution vorgeprescht, bevor es eine Anhörung der ungarischen Justizministerin gegeben hatte. Österreich, aber auch Italien (das am Dienstag spätabends der Resolution zustimmte) sowie Griechenland (stimmte wie Österreich am Mittwochmittag zu) wollten dem Vernehmen nach diese Anhörung abwarten und am Mittwochvormittag ein gemeinsames Statement abgeben. Zypern stimmte der Erklärung nach Österreich, am Mittwochnachmittag, zu.

Aus dem Umfeld Edtstadlers heißt es, dass auch die Kommission – in Form von Präsidentin Ursula von der Leyen – erst am Mittwoch reagiert habe. Bei der Anhörung selbst sei die Stimmung äußerst aufgeheizt gewesen. Edtstadler habe mit der ungarischen Justizministerin Judith Varga dennoch davor und danach das bilaterale Gespräch gesucht. Den Betroffenen in Ungarn würde ein Wettlauf zur Verurteilung des Gesetzes nicht helfen, eine Lösung zu finden hingegen schon, wurde außerdem betont.

Ungarn auch Thema im Nationalrat

Auch im österreichischen Nationalrat gab es übrigens einen Schlagabtausch bezüglich einer Verurteilung Ungarns. Hier brachten die Neos einen Antrag ein, in dem es hieß, die Bundesregierung werde dazu aufgefordert, den "erneuten Anschlag" auf die LGBTQI-Community in Ungarn "aufs Schärfste" zu verurteilen. ÖVP, FPÖ und Grüne stimmten dagegen. Die Regierungsparteien brachten stattdessen einen eigenen Antrag ein, laut Yannick Shetty, LGBTQI-Sprecher der Neos, sei dieser aber bewusst "schwammiger" formuliert gewesen – Ungarn wird in diesem Antrag nicht explizit genannt. Vielmehr heißt es darin, dass die Regierung aufgefordert wird, sich für den Schutz von LGBTQI-Personen "auf europäischer und bilateraler Ebene" einzusetzen.

Von den Grünen wurde am Wochenende auf der Regenbogenparade allerdings scharfe Kritik an der nicht vorhandenen Gleichstellungspolitik der ÖVP geäußert: "Es hat einen Grund, wieso unser Koalitionspartner ÖVP heute nicht auf der Bühne steht – und das zu Recht. Seit Jahrzehnten blockieren sie alles, was geht. Aber wisst ihr was? Wir sind mehr, und wir kämpfen gemeinsam, bis der letzte Punkt durch ist", sagte Gleichstellungssprecherin Ewa Ernst-Dziedzic auf der Bühne bei tosendem Applaus.

Störaktion am Samstag

Die Wiener Regenbogenparade am Samstag war eine fröhliche und ausgelassene Demonstration, genau wie es bei der Pride eben sein soll. Aber gegen Ende war es doch noch zu einer Störaktion gekommen: Drei Personen hatten ein Anti-Pride-Banner entrollt und zusätzlich mit Pyrotechnik auf dieses aufmerksam gemacht. Die Exekutive reagierte schnell, das Banner wurde wieder entfernt. Shetty filmte die Aktion zufällig mit. "Warum wir den Regenbogen noch immer brauchen?", schrieb er dazu auf Twitter.

Nachdem bereits im Frühjahr zahlreiche Regenbogenfahnen im ganzen Land gestohlen, verbrannt oder anderweitig zerstört wurden – allein im kleinen Vorarlberg sind es bis dato elf an der Zahl – und im Pride-Month Juni besonders viele bunte Fahnen gehisst wurden – unter anderem wurden 50 Wiener Schulen beflaggt, aber auch Spitäler und andere öffentliche Institutionen wie etwa Amtshäuser –, war vielerorts die Sorge vor Beschädigungen groß. Die Wiener Polizei kann aber entwarnen: Weder von interner noch von externer Stelle seien solche Vorfälle bis jetzt gemeldet worden. "Dies schließt jedoch nicht aus, dass so etwas vereinzelt vorgekommen sein könnte", sagte Pressesprecher Markus Dittrich.

"Wien liebt dich, egal wen du liebst"

Die Stadtregierung machte nach der Störaktion am Samstag jedenfalls schnell klar, was man davon hält: "Hassgefühle und Intoleranz haben in unserer Stadt keinen Platz. Denn Wien liebt dich, egal wen du liebst", betonten Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) in einer gemeinsamen Aussendung.

Die Stadtregierung war auch auf der Parade zahlreich vertreten – von der Bundesregierung waren ausschließlich grüne Vertreterinnen und Vertreter anwesend: Justizministerin Alma Zadić, Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Vizekanzler Werner Kogler – sowie viele grüne Abgeordnete.

Die ÖVP fehlte auch dieses Jahr – mit einer Ausnahme: Nico Marchetti, JVP-Chef in Wien, der einzige offen schwule ÖVP-Abgeordnete im Nationalrat, marschierte mit. Bei der letzten regulären Parade vor der Pandemie wollte die JVP zwar teilnehmen, das wurde ihr von der Homosexuellen-Initiative (Hosi), die die Pride mitorganisiert, aber untersagt. Die JVP habe zur LGBTQI-feindlichen Politik der ÖVP konsequent geschwiegen.

JVP-Chef Marchetti: ÖVP blockiert nicht alles

Marchetti sagte unlängst im ORF, dass die ÖVP "gar nichts" gegen Homosexuelle habe. Er habe "den Anspruch, etwas zu ändern", er versuche dabei stets zu verbinden, aber manchmal brauche es auch eine "Schocktherapie, weil es vielfach Dinge sind, die man noch nie diskutiert hat". Und dass die ÖVP alles blockiere, stimme nicht. Immerhin habe man unlängst einstimmig ein Verbot der Konversionstherapien für Minderjährige auf den Weg gebracht.

Das Verhalten der Türkisen färbt auch auf den Koalitionspartner ab. Vor allem von den Neos ernten die Grünen Kritik. Bei jener Sitzung der Gleichbehandlungskommission, wo das Verbot der Konversionstherapien für Minderjährige auf den Weg gebracht wurden, hätte der Juniorpartner in der Regierung gegen andere wichtige Vorschläge für die Community gestimmt. Shetty kritisiert den Gesundheitsminister außerdem dafür, dass er noch nicht aktiv wurde, um Blutspenden für homosexuelle und bisexuelle Männer ohne Einschränkungen zu ermöglichen.

Rot-Weiß-Rot statt Regenbogen

Gefehlt hat bei der Parade natürlich auch die FPÖ, die aus der Ablehnung des Pride-Month keinen Hehl macht. Die Freiheitliche Jugend Kärnten sorgt aktuell beispielsweise auf Instagram mit einem Posting für Aufregung: "Unser Regenbogen hat nur zwei Farben: Patriotsmonth statt Pridesmonth!" steht darin – zu sehen ein Paar in Dirndl und Lederhose vor rot-weiß-rotem Hintergrund. Den erhofften Zuspruch erreichte man damit aber nicht – vielmehr wünschten zahlreiche Leute den jungen Freiheitlichen unter dem Posting "Happy Pride". (Lara Hagen, Fabian Schmid, 23.6.2021)