In Wien-Döbling starb eine Passantin nach einem Verkehrsunfall. Aus Sicht der Anklagebehörde ist eine teilbedingte Geldstrafe für die Autolenkerin zu wenig.

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Wien – Wie soll der Staat den Unfalltod eines Menschen sanktionieren? Um diese Frage dreht sich die Berufungsverhandlung vor dem Zwei-Richterinnen-und-ein-Richter-Senat unter Vorsitz von Helene Gnida. Die 60-jährige Frau A. sitzt auf dem Anklagestuhl, sie hat im Februar 2020 in Wien-Döbling eine Fußgängerin angefahren, die so unglücklich stürzte, dass die ältere Frau an einem Schädel-Hirn-Trauma starb.

Das Bezirksgericht Döbling verurteilte die unbescholtene A. wegen fahrlässiger Tötung zu einer teilbedingten Geldstrafe. Von 90 Tagessätzen à 80 Euro, insgesamt also 7.200 Euro, wurden 50 Tagessätze, zusammen 4.000 Euro, unbedingt ausgesprochen. Der Staatsanwaltschaft Wien passte dieses Urteil nicht, die Anklagebehörde ging in Berufung.

Verteidiger als Machthaber

Die Sitzungsvertreterin führ vor dem Senat aus, warum: Das Strafmaß sei zu gering, und überhaupt sollte aus spezial- und generalpräventiven Gründen eine Freiheits- statt einer Geldstrafe in Betracht gezogen werden, argumentiert die Staatsanwältin. Außerdem sei A. beim ursprünglichen Prozess nicht erschienen, sondern habe sich durch ihren Verteidiger Harald Schuster als Machthaber vertreten lassen, deshalb sei der Milderungsgrund des reumütigen Geständnisses nicht gültig.

Ein Einwand, den Verteidiger Schuster absolut nicht versteht, wie er in seinem Plädoyer klarstellt. Seine Mandantin habe ihn in der Corona-Zeit als Vertreter geschickt, um eine Vertagung auf die Zeit nach der Pandemie zu verhindern. Ihr das jetzt zum Vorwurf zu machen, findet er dreist.

"Es ist doch für Frau A. nicht lustig! Sie hat mir vor der Verhandlung erzählt, dass sie seit damals bei jeder Kreuzung so oft nach links und rechts schaut, dass andere Autofahrer sie schon anhupen!", verrät der Verteidiger. "Unglücklichste Umstände" hätten zum Tod der Frau geführt, ein mittelalter Mann hätte wahrscheinlich maximal blaue Flecken bekommen. Man hätte sogar eine Diversion in Betracht ziehen können, ist der Verteidiger überzeugt. Insgesamt hält Schuster das Ursprungsurteil aber für gerecht und bittet den Senat, der Berufung der Staatsanwaltschaft keine Folge zu leisten.

"Ich bin weiterhin erschüttert"

Die Angeklagte selbst nutzt die Gelegenheit des letzten Wortes, um ihre Sicht darzulegen. "Ich bin weiterhin erschüttert", sie leide noch immer an dem durch sie verursachten Tod eines Mitmenschen. "Ich bin Lehrerin und sozial ...", beginnt sie noch, ehe sie in Tränen ausbricht.

Das Gericht gibt der Berufung Folge und spricht die gesamte Geldstrafe unbedingt aus. Bei einer Strafandrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder 720 Tagessätzen sei klar, dass der Gesetzgeber eine Geldstrafe durchaus als angemessene Sanktion sehe. Das Erstgericht habe die sogar sehr schwer bemessen, begründet Vorsitzende Gnida. Aus generalpräventiven Gründen sei sie aber unbedingt auszusprechen, sei der Senat überzeugt. Das Geständnis sei spätestens jetzt reumütig und daher als mildernd zu werten, stellt Gnida auch noch klar. (Michael Möseneder, 23.6.2021)