Er war fraglos einer der großen österreichischen Foto- und Filmpioniere des 20. Jahrhunderts: Lothar Rübelt (1901–1990) prägte mit seinen Aufnahmen und Reportagen seit den 1920er-Jahren die Bildsprache vieler österreichischer Printmedien. Als in mehrfacher Hinsicht "rasender Reporter" – Rübelt war auch Motorradpionier und als Leichtathlet Sprinter – versorgte er insbesondere in der Zwischenkriegszeit und während des NS-Regimes den ständig wachsenden Markt der Bildillustrierten mit dem nötigen Fotomaterial.

Lothar Rübelt im Jahr 1949 mit seiner Leica.
Foto: Bildarchiv der ÖNB/Aus dem Buch "Wiener Bilder", Edition Winkler-Hermaden

Das umfangreiche fotografische Wirken Rübelts, dessen Nachlass das Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) aufbewahrt, wurde seit dem Ende der 1970er-Jahre bereits mehrfach in Ausstellungen und Bildbänden gewürdigt. Der jüngste Beitrag dieser Art kommt vom Kulturhistoriker Mattias Marschik und der Historikerin Michaela Pfundner, die an der ÖNB unter anderem für den Nachlass Rübelts zuständig ist.

Neuer Bildband mit alten Fotos

Die beiden haben aus einer Überfülle an Fotos Rübelts beste "Wiener Bilder" (Edition Winkler-Hermaden) aus rund vier Jahrzehnten zusammengestellt, thematisch und zeitlich gut geordnet, die nicht nur eindrucksvoll Zeugnis von den fotografischen Fähigkeiten Rübelts geben, sondern auch neue alte Perspektiven auf die Stadt ermöglichen.

Matthias Marschik / Michaela Pfundner (Hg.): "Wiener Bilder. Fotografien von Lothar Rübelt". 160 Seiten mit 240 Fotografien / 34,90 Euro. Edition Winkler-Hermaden, Wien 2020. (Hier gibt es auch Fotos aus dem Band zu sehen.)

Der Fotograf und leidenschaftliche Motorradfan Rübelt, der dem jungen Konrad Lorenz übrigens auch dessen 680er Brough Superior OHV vermittelte, war aber auch Filmpionier.

Der spätere Nobelpreisträger und Verhaltensforscher als "Wilder mit seiner Maschin’" (ebenjener Brough Superior) im Jahr 1927, fotografiert von Lothar Rübelt, seinem guten Bekannten.
Foto: Bildarchiv der ÖNB/Aus dem Buch "Wiener Bilder", Edition Winkler-Hermaden

Und auch das lässt sich dieser Tage begutachten. Rübelts Film "Mit dem Motorrad über den Wolken" aus dem Jahr 1926 wurde in den letzten Jahren vom Österreichischen Filmmuseum gemeinsam mit dem Filmarchiv Austria aufwendig restauriert und ist am Donnerstag und Freitag in der neuen Fassung zu sehen, am Klavier begleitet von Elaine Loebenstein. Wer sich mit minderer Qualität und italienischen Zwischentiteln zufriedengibt, wird auf Youtube fündig:

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Bekannte NS-Verstrickungen ...

Überschattet ist Rübelts eindrucksvolles visuelles Wirken allerdings von seiner Anhängerschaft für den Nationalsozialismus, die in den letzten zwei Jahrzehnten kritisch aufgearbeitet wurde, wie es im Begleittext des Filmarchivs heißt. Damit sind vor allem die Arbeiten des Fotohistorikers Anton Holzer gemeint, der sich mit der Biografie und dem Wirken des Fotografen in der NS-Zeit ausführlich auseinandersetzte.

Auch Marschik und Pfundner sparen in ihrer einleitenden biografischen Skizze nicht aus, dass sich der Fotograf in den Dienst des Regimes stellte – und zwar nicht erst seit dem "Anschluss": Schon 1936 war er als Sportfotograf bei den Olympischen Spielen in Berlin dabei, einem frühen Höhepunkt seiner Karriere. Bis 1945 lieferte er beständig das gewünschte Propagandamaterial. Aber auch Rübelts Beteiligung an der Arisierung des Wollzeile-Kinos, die Holzer ausführlich rekonstruierte, werden in der Skizze vermerkt.

... und eine übersehene NS-Freundschaft

Ein vermutlich wichtiger Aspekt der NS-Anhängerschaft Rübelts ist den Fotohistorikern bislang allerdings entgangen: seine enge Freundschaft mit einem der ranghöchsten österreichischen Nazis. Die Rede ist von Otto Wächter, Staatssekretär der "Anschluss-Regierung", SS-Gruppenführer und ab 1942 Gouverneur des Distrikts Galizien. Über Wächter hat der britische Schriftsteller und Jurist Philippe Sands im Vorjahr ein großartiges Buch geschrieben ("Die Rattenlinie", S. Fischer) und darin erstmals Details dieser in jeder Hinsicht recht weit gehenden Kontakte enthüllt.

Diese begannen schon früh – Wächter und der genau drei Monate ältere Rübelt kannten sich ab 1920 über ihre Aktivitäten als Leistungssportler: Wächter war Ruderer (für den Klub Donauhort, auch dazu gibt es ein relativ neues Buch von Marta Marková, in dem diese Aspekte behandelt werden) und zweimaliger Staatsmeister, Rübelt – siehe oben – Kurzstreckenläufer. Zumindest Wächter war schon früh politisch aktiv: Er engagierte sich schon als Jus-Student handgreiflich rechtsextremistisch und fasste 1921 für seine Beteiligung an Prügeleien nach dem "Antisemitentag" in Wien eine Gefängnisstrafe aus.

Sympathien für die Nazis

Wie früh Rübelt mit der extremen Rechten sympathisierte, ist unklar. In einem etwas verstörenden Interview, das er vermutlich 1976 mit Otto Wächters Witwe Charlotte führte und das vom United States Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C., vor kurzem online gestellt wurde, heißt es bloß, dass "wir als junge Menschen alle irgendwie sympathisiert haben". Denn damals habe es geheißen, so Rübelt im Rückblick, die Nationalsozialisten seien "keine Partei, sondern eine Bewegung". Und in dem ersten Programm habe es sogar geheißen, "wenn die Bewegung ihr Ziel erreicht, löst sie sich auf".

Von Wächters "politischen Geschichten" habe der Fotograf "nur vom Rande aus gehört", sagt Rübelt im Interview 1976. Nachdem Wächter Rechtsanwalt geworden war, gehörte der Fotoreporter jedenfalls zu seinen Mandanten: Wächter unterstützte Rübelt 1929 in einem Prozess gegen Karl Kraus, weil dieser ein Foto Rübelts ungefragt und ohne Copyrightvermerk verwendet hatte. Rübelt und Wächter verloren den Prozess trotzdem.

Fotos vom Gauparteitag

Fotografisch gut dokumentiert ist ein weiteres berufliches Zusammentreffen der beiden im Herbst 1932: Vom 28. September bis 2. Oktober fand der Gauparteitag der NSDAP in Wien statt, zu dem unter anderem Göring, Röhm und Julius Streicher nach Wien kamen. Wächter war inzwischen zum Anwalt der Partei, Gauamtsleiter in Wien und Hauptschulungsleiter der NSDAP in Österreich aufgestiegen. Außerdem betrieb er einen NS-Nachrichtendienst, den STANDARD-Kollege Tobias Röck kürzlich in seiner Masterarbeit aufdeckte und im Rahmen eines Workshops des Instituts für Zeitgeschichte der Uni Wien und des Karl-Renner-Instituts präsentierte (zu einem Video davon geht es hier, ab 7:52:30).

Rübelt machte 1932 zahlreiche Fotos von der fünftägigen Veranstaltung – leider schaffte es keines davon in den neuen Band mit den "Wiener Bildern". Dabei war der Heldenplatz im Herbst 1932 ähnlich voll mit Nazis wie knapp sechs Jahre später. Bei Rübelt im O-Ton 1976 klingt es nach einem Auftrag wie jeder andere: "Das war ein zeitgeschichtliches Ereignis. Als Bildberichter hat man ja kein Richturteil, man hat nur etwas geschildert." Seine über 80 Bilder sprechen eine etwas andere Sprache. (Hier ein Foto mit Wächter und der versammelten NS-Prominenz.)

Unfreiwilliger (?) Fluchthelfer

Auf eine dramatische Bewährungsprobe wurde die Freundschaft dann im Juli 1934 gestellt, in jenem Jahr, in dem sich Rübelt mit seinem Fotoatelier im "Arischen Geschäftsweiser Wiens" eintragen ließ. Otto Wächter war Hauptorganisator des "Juliputsches" gegen Kanzler Dollfuß am 25. Juli und gab vermutlich die entscheidenden Befehle. Er selbst aber schaffte es nicht ins Bundeskanzleramt – übrigens ebenso wenig wie Rübelt, der das Ereignis dokumentieren wollte.

Nachdem klar wurde, dass der Putsch scheiterte, flüchtete Wächter in die Wohnung Rübelts, wo er sich ein paar Stunden versteckte, ehe er telefonisch weitere Anweisungen aus Deutschland erhielt. Auf diese Weise konnte Wächter dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Deutschland flüchten. Hätte man ihn entdeckt, wäre Wächter zum Tode verurteilt worden. Rübelt, der für seine mehr oder weniger freiwillige Fluchthilfe wohl auch eine ordentliche Strafe ausgefasst hätte, wenn sein Freundschaftsdienst bekannt geworden wäre, besuchte seinen in Österreich gesuchten Freund danach regelmäßig in Berlin und fungierte auch als Bote zwischen Wien und Berlin.

Nach dem "Anschluss", den der Fotograf vor allem in Tirol dokumentierte, klappte es dann doch nicht mit einer NSDAP-Mitgliedschaft, denn ein Urgroßelternteil Lothar Rübelts war "jüdisch". Dennoch bastelte er als rasender Fotoreporter bei etlichen Propagandamissionen weiter an seiner Karriere. Und er besuchte den Gouverneur des Distrikts Galizien nach 1942 auch mehrmals in Krakau, ehe Wächter 1944 nach Italien versetzt wurde.

Otto Wächter (3. v. r.), umringt von weiteren NS-Distriktsgouverneuren im Jahr 1942. Links neben Wächter: Hans Frank, der Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete.
Foto: Narodowe Archiwum Cyfrowe / gemeinfrei

"In alter Verbundenheit, Otto"

Nach dem Krieg wurde der NS-Politiker als Kriegsverbrecher und Massenmörder gesucht, konnte sich aber drei Jahre lang erfolgreich in Hütten in den Hohen und Niederen Tauern verstecken, ehe er sich im Frühjahr 1949 über Südtirol nach Rom absetzte, wo er von Bischof Alois Hudal empfangen wurde. Wächter hatte seinen alten Freund nicht vergessen: Am 30. Juni schrieb Wächter aus Rom einen (ebenfalls im Netz abrufbaren) Brief an Rübelt und schlug vor, "unseren uralten Kontakt wieder aufzunehmen".

Lothar Rübelt mit seiner Leica anlässlich seines 75. Geburtstags 1976. Sympathien für den "starken Mann" hatte er nach wie vor.
Foto: Bildarchiv der ÖNB/Aus dem Buch "Wiener Bilder", Edition Winkler-Hermaden

Wächter hatte eine Geschäftsbeziehung im Sinn: Er wollte Rübelts Fotos in italienischen Publikationen unterbringen, die ein Faible für Sensationsgeschichten hätten. Das Schreiben endet wie folgt: "Im Übrigen bitte ich um Diskretion, da ich keinen gesteigerten Wert auf das Bekanntwerden meiner künstlerischen Aktivitäten lege. In alter Verbundenheit, Otto". Vermutlich wurde der Brief nicht mehr abgeschickt. Unmittelbar danach erkrankte Wächter schwer und starb unter nach wie nicht restlos geklärten Umständen genau 14 Tage später in den Armen von Bischof Hudal.

"Jemand wie der gute Hitler"

Rübelt konnte seine Karriere als Starfotograf nach 1945 nahezu ungebrochen fortsetzen. Dass er auch noch lange nach dem Krieg Sympathien für den Nationalsozialismus hegte, kann man im Gespräch mit Charlotte Wächter nachhören: "Wenn heute so jemand käme wie der gute Hitler und dieselben Versprechungen machen würde", so Rübelt 1976, "würden wir uns bei dem gegenwärtigen Stand der Parteien wahrscheinlich auch an den Messias halten, der uns jetzt aus diesen ganzen widerlichen politischen Geschichten herausführen kann." (Klaus Taschwer, 25.6.2021)