Herwig Kollaritsch, der regelmäßig auch auf Pressekonferenzen der Regierung spricht, warnt vor einem leichtsinnigen Sommer.

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Erst dreimal in der kurzen, aber heftigen Geschichte der Coronavirus-Pandemie waren die Infektionszahlen in Österreich auf dem jetzigen Niveau: Mitte März 2020, kurz bevor das Chaos ausbrach; Mitte April, nachdem der erste Lockdown die erste Welle niedergedrückt hatte; und Mitte August, als das Land gerade durch einen recht unbeschwerten Sommer ging. Zu unbeschwert, wenn man den Vorjahressommer in der Rückschau betrachtet. Immerhin setzte spätestens im Oktober die zweite Welle mit voller Wucht ein.

Herwig Kollaritsch vom Österreichischen Impfgremium warnt nun eindringlich davor, dass sich dieses Szenario wiederholt. "Wir dürfen nicht denselben Fehler wie voriges Jahr machen, nämlich den Sommer verschlafen", sagt er im Interview mit dem STANDARD. "Wir könnten im Herbst eine Welle bekommen, die uns im täglichen Leben nachhaltig behindert."

Schon jetzt den dritten Stich planen

Denn was wir jetzt in den Infektionszahlen sehen würden, das sei auch großteils ein saisonaler Effekt. Laut Kollaritsch sei zu 42 Prozent der Sommer für die niedrigen Zahlen verantwortlich. "Wir werden erst sehen, wie gut belastbar wir sind, wenn dieser Effekt wegfällt", das werde im September der Fall sein.

Man müsse es also bis Ende August schaffen, alle Impfwilligen durchzuimpfen. Neue Daten zeigen: Das sind einige. Die Impfbereitschaft, so das Resultat einer aktuellen Befragung des Gallup-Instituts, ist leicht gestiegen. Im Juni waren 71 Prozent von 1000 Befragten entweder bereits geimpft, oder breit dazu. Das ist kaum ein Unterschied zu April (68 Prozent), aber doch um einiges mehr als im Jänner, als die Impfungen erst angelaufen waren (62 Prozent). Ein Viertel der Befragten will sich hingegen eher nicht oder sicher nicht impfen lassen.

Langsam, aber sicher werde nun "der nächste Schritt dringender", sagt Kollaritsch: Die Impfungen müssen aufgefrischt werden. Mit jetzigem Stand soll das nach neun Monaten passieren – die ersten Stiche wurden rund um Weihnachten 2020 gesetzt. "Es wird ein Problem, wenn die Gültigkeit des Impfzertifikats mit einem Stichtag aussetzt", sagt Kollaritsch. Der schlimmste Fall wäre, dann plötzlich wieder ständig testen zu müssen: "Da muss ein Zeitraum für das Management der Auffrischungen geschaffen werden."

Momentan, nach sechs Monaten Corona-Impfung, haben 57 Prozent der aktuell impfbaren Bevölkerung in Österreich über zwölf Jahren einen Erststich erhalten, 33 Prozent sind vollimmunisiert. Bis heute wurden laut Dashboard des Gesundheitsministerium 7,76 Millionen Impfdosen nach Österreich geliefert. Bis Ende der kommenden Woche soll mit weiteren in Kürze erwarteten Großlieferungen dieser Wert auf rund neun Millionen Dosen steigen. Weitere neun Millionen Impfdosen sollen es dann im dritten Quartal sein. Dass Liefertermine allerdings nicht immer eingehalten werden, zeigten die vergangenen Monate.

Corona-Tests sollen gratis bleiben

Davon, die Impfbereitschaft zu erhöhen, indem man keine Gratis-Corona-Tests mehr anbietet, hält Kollaritsch – auch Autor eines Buchs mit dem Titel "Tipps für die persönliche Impfentscheidung" – nichts. Schon zuvor hatten sich namhafte Experten dagegen ausgesprochen, nachdem der Gemeindebund gefordert hatte, dass Impfverweigerer künftig für Corona-Tests zahlen sollten.

Am Mittwoch sagte etwa der Virologe Norbert Nowotny von der Veterinärmedizinischen Universität Wien im Interview mit Puls 24: "Auf keinen Fall die Zentren schließen, sondern im Gegenteil erweitern." Epidemiologe Gerald Gartlehner sprach auf Ö1 davon, dass es "sehr gefährlich und sehr heikel" sei, Testzentren zu schließen, "weil wir eigentlich nicht wirklich wissen, was im Herbst mit der Delta-Variante auf uns zukommen wird".

Auch Kollaritsch meint mit Blick auf die Delta-Variante, es gebe "keine vernünftige Alternative, als das Testprogramm beizubehalten, trotz aller damit verbundener Schwächen wie gelegentlich falsch positiver Tests". Alles andere würde nur die Fronten verhärten und Impfgegner nicht dazu bringen, ihre Meinung zu ändern. "Es gibt Leute, die impfunwillig sind, weil sie es nicht wollen oder weil sie zu faul sind, hinzugehen", sagt Kollaritsch, und Erstgenannte könnten auch durch kostenpflichtige Tests nicht motiviert werden. Die Letztgenannten seien aber eine eher kleine Gruppe, "die motivierbar sein dürfte".

Daher müsse man Überzeugungsarbeit leisten, und da könne "schon einer, der querschießt, viel kaputtmachen", sagt Kollaritsch – auf gesellschaftlicher wie auf politischer Ebene. Überhaupt könnte man erst dann, wenn alle Menschen ein Impfangebot bekommen haben, über eine Änderung des Testsystems nachdenken. Doch selbst dann müsste es zumindest einmal die Woche für alle das Angebot geben, sich gratis testen zu lassen. (Gabriele Scherndl, 24.6.2021)