Nach einer längeren Periode mit sehr geringer Inflation – einer allgemeinen Erhöhung des Preisniveaus – kommt mit dem Ende des Lockdowns auch hier Bewegung ins Spiel. So stiegen in der Eurozone sowie im Vereinigten Königreich die Inflationsraten, gemessen am jeweiligen Verbraucherpreisindex, im April gegenüber dem Vorjahr auf 1,6 Prozent und in der Europäischen Union auf zwei Prozent. Die Vereinigten Staaten verzeichneten im Mai sogar eine Inflationsrate von fünf Prozent (im Vormonat April betrug die Inflationsrate 4,2 Prozent). Als zentrale makroökonomische Größe steht die Inflationsrate unter Beobachtung der Finanzmärkte sowie der Zentralbanken. Ungeachtet der unterschiedlich formulierten Mandate sind die Notenbanken der Preisstabilität verpflichtet und mit einem entsprechenden Instrumentarium ausgestattet, um dieses Ziel zu erreichen.

Wie in diesem Blogbeitrag argumentiert wird, sind die aktuell in einigen Ländern moderat steigenden Inflationsraten jedoch von temporärer Natur und maßgeblich der Corona-Pandemie geschuldet. Daher wird die Wahrscheinlichkeit eines persistenten Preisniveauanstiegs als relativ gering angesehen. Allerdings wurden durch die Pandemie auch Aspekte offengelegt, die durchaus auf strukturelle Veränderungen hinweisen und damit in längerer Frist potenziell für moderat höhere Inflationsraten und insbesondere für stärkere Schwankungen der Inflationsraten über die Zeit sorgen könnten.

Preisstabilität als Kernaufgabe der Zentralbanken

Die Ursachen von Inflation sind vielschichtig und können durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Grundsätzlich sind Preisveränderungen ein normaler Bestandteil einer dynamischen Volkswirtschaft und bilden Anpassungen von Angebot und Nachfrage auf den Güter- und Faktormärkten ab. Sollte die Nachfrage längere Zeit das Angebot übersteigen, kann dies zu einer Überhitzung der Wirtschaft führen, was in unkontrollierten Preisniveausteigerungen resultieren kann. Mögliche Folgen einer hohen Inflation umfassen Instabilitäten auf Arbeits- und Finanzmärkten und sind generell mit ökonomischen Kosten verbunden.1 Daher ist die Preisstabilität, definiert als eine bestimmte, mittelfristig zu erreichende Inflationsrate (meistens an einem bestimmten Preisindex gemessen), das vorrangige Ziel der meisten Zentralbanken. Sollte die Preisentwicklung ein Einschreiten einer Zentralbank notwendig machen, stehen dieser dafür unterschiedliche Instrumente zu Verfügung. Durch den gezielten Einsatz dieser kann eine Abkühlung der Wirtschaft und dadurch eine sinkende Inflationsrate erwirkt werden. Da dies oft mit steigenden Zinsen einhergeht, reagieren insbesondere Finanzmärkte recht schnell auch auf erste Anzeichen einer restriktiveren Geldpolitik. Das Halten von konventionellen Sparprodukten gegenüber Wertpapieren würde attraktiver werden und verleitet daher zu Portfolioumschichtungen.

Nach den Lockdowns stieg die Konsumnachfrage.
Foto: AFP /NIKLAS HALLE'N

Derzeitige Preissteigerungen sind überwiegend pandemiebedingt

Für die derzeitigen, leichten Preissteigerungen sind im Wesentlichen vier Gründe verantwortlich, die unterschiedlich stark und überwiegend temporär auf das Inflationsgeschehen wirken.

1. Nach den Lockerungen der Maßnahmen zur Pandemieeindämmung nimmt das gewohnte Leben langsam wieder an Fahrt auf. Dies wirkt sich auch auf die Nachfrage nach Konsumgütern und Energie aus, die auch derzeit primär für den Preisniveauanstieg verantwortlich sind. Mit Beginn der Pandemie sind die Preise für Rohöl, einem wichtigen Faktor der Weltwirtschaft, deutlich gesunken. Da die Höhe der jetzigen Inflationsrate nicht nur von der tatsächlichen Preisentwicklung, sondern auch vom Vorjahresniveau abhängt, fällt der derzeitige Anstieg durch eben diese Basiseffekte noch stärker aus. Zusätzlich ist Ende des letzten Jahres in Deutschland die Mehrwertsteuersenkung, die als Maßnahme die Konsumentinnen und Konsumenten während der Pandemie entlasten sollte, ausgelaufen, was zu einer zusätzlichen Preissteigerung im Euroraum beigetragen hat. Auch wurden Aus- und Schlussverkäufe im Einzelhandel pandemiebedingt verschoben und erwirken jetzt einen zusätzlichen Preisniveaueffekt.

2. Die durch die Pandemie bedingte, aufgestaute Konsumnachfrage, die nach Öffnung aller Geschäfte und Dienstleistungen teilweise befriedigt werden möchte, kann ebenfalls als kurzfristiger Preistreiber wirken. Auf diese zusätzliche Nachfrage könnte durch Produktions- und Investitionsausweitungen reagiert werden, was zu einer gesteigerten Nachfrage nach Rohstoffen sowie Arbeitskräften führt. Ob bei reduziertem oder gleichbleibendem Arbeitskräfteangebot Lohnerhöhungen zu erwarten sind, die durch Preiserhöhungen an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben werden, bleibt abzuwarten. Umfragen haben jedoch gezeigt, dass die aufgestaute Konsumnachfrage derzeit im Euroraum keinen großen Effekt verursacht, während in den USA dieser Effekt stärker ausfällt.

3. Zusätzlich hat die Pandemie gezeigt, dass auch globale Lieferketten anfällig für Störungen sind und einen Engpass darstellen können (zum Beispiel gerade bei Halbleitern, die für die Produktion von vielen elektronischen Produkten notwendig sind). Ausbleibende Lieferungen von Zwischenprodukten bei gleichzeitig niedrigen Lagerständen können zu einem kompletten Produktionsstillstand führen, wodurch die Endproduktverfügbarkeit sinkt, was erneut in Preissteigerungen resultiert.

4. Darüber hinaus haben staatliche Konjunkturpakete (Investitionen oder Zuschüsse) ebenfalls den aggregierten Konsum erhöht. So steigt durch die enormen Konjunkturpakete der Vereinigten Staaten auch die dortige Nachfrage nach ausländischen Gütern und Dienstleistungen, mit dem Resultat einer weiteren zusätzliche Nachfragesteigerung nach europäischen Produkten.

Ein Übergangsphänomen unter ständiger Beobachtung

Diese Gründe haben eines gemeinsam: Sie sind durch die globale Ausnahmesituation hervorgerufen und werden, nachdem die Pandemie unter Kontrolle gebracht wurde, größtenteils an Bedeutung verlieren. Daher werden die derzeitigen Bewegungen nicht mit der Gefahr eines mittelfristig deutlich höheren Preisniveaus assoziiert, auf das im Rahmen des Preisstabilitätsmandats unmittelbar reagiert werden müsste. Dennoch analysieren und bewerten Expertinnen und Experten der Zentralbanken die Preisdynamiken kontinuierlich, um strukturelle Veränderungen, die zu starken Preisanstiegen führen könnten, zeitnah zu erkennen und bei Bedarf adäquat einzugreifen. Dies ist insbesondere in diesen Zeiten herausfordernd, da es durch die Pandemie auch zu veränderten Konsummustern gekommen ist (zum Beispiel vermehrter Onlinehandel und weggefallene Dienstleistungen, wie Restaurantbesuche), die die Bewertung von Inflation erschweren.2 All diese Faktoren werden von den Zentralbanken beobachtet, analysiert und eingeschätzt, um das Mandat der Preisstabilität bestmöglich zu erfüllen.

Auch langfristige Veränderungen können das Preisniveau beeinflussen

Obwohl die derzeit beobachteten leichten Inflationsanstiege also überwiegend der Ausnahmesituation geschuldet sind, gibt es strukturelle Phänomene, die durch die Pandemie offengelegt wurden und langfristig Effekte auf Preise haben können. Dies kann sich einerseits direkt auf das Preisniveau beziehen oder aber auch über die Veränderung von relativen Preisen (also der Preis eines Gutes im Verhältnis zum Preis eines anderen Gutes) wirken.

So können zum Beispiel demografische Entwicklungen einhergehend mit Strukturänderungen des Arbeitsmarkts, die Renationalisierung von globalen Wertschöpfungsketten (Deglobalisierung), oder auch der Klimawandel genannt werden. Dadurch, dass Menschen immer älter werden und die globalen Fertilitätsraten zurückgehen, verschiebt sich das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Personen, die nicht mehr aktiv am Arbeitsmarkt teilnehmen. Dies kann bei fehlendem Ausgleich (beispielsweise durch technische Innovationen) zu einem Arbeitskräftemangel führen und gleichzeitig auch einen Konsumüberhang bewirken, wenn die ältere Bevölkerung mehr konsumiert (auch erhaltene Pflegetätigkeiten werden in dieser Betrachtung konsumiert).

Auf der Produzentenseite steht die Resilienz von globalen Lieferketten mit einer eventuellen Neubewertung von Produktionsstandorten auf dem Prüfstand. Eine komplette Umstellung auf eine vollständig lokale Produktion ist aus heutiger Sicht zwar sehr unwahrscheinlich, dennoch können vereinzelt strategisch bedeutsame Produkte wieder vermehrt lokal produziert werden. Da die eingesparten Lieferkosten die zusätzlichen Personal- und Investitionskosten wohl nicht ausgleichen können, wird auch dadurch langfristig eine Preisniveausteigerung zu erwarten sein. Abschließend kann der Klimawandel – eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahre und Jahrzehnte – durch veränderte Umweltbedingungen ebenfalls Auswirkungen auf Preise haben. So haben beispielsweise Dürren oder Überschwemmungen durchaus das Potenzial, gerade Lebensmittelpreise steigen zu lassen.

Daher wird zu diesen Aspekten bereits seit längerem in den Wirtschaftswissenschaften und auch in den Zentralbanken intensiv geforscht, um ein grundlegendes Verständnis solcher Strukturphänomene sowie deren möglicher Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen. (Thomas Zörner, 29.6.2021)