Die diesjährige Fußball-EM wird an elf verschiedenen Spielorten ausgetragen. Wer schon einmal bei einem Match war, ist sich der schieren Größe dieser Felder bewusst. Nur wenige Menschen wissen jedoch, dass es sich dabei um circa einen Hektar Fläche handelt. Ein Mathematiklehrer hat uns einmal erklärt: Die Fähigkeit der Menschen, sich Mengen vor zustellen, hört bei vier auf. Ab der Zahl Fünf denken wir in Gruppen und Mustern. Bei Flächen behelfen wir uns mit Fußballfeldern, und Volumen werden mithilfe von Badewannen dargestellt.

Österreich verbraucht pro Tag mehr als die Fläche aller elf EM-Spielorte zusammen.
Foto: Stefanie Grüssl

In Österreich verbrauchen wir nach wie vor jeden Tag einiges mehr als die Fläche aller elf Euro-2020-Spielorte zusammen, nämlich 13 Hektar. Oder anders ausgedrückt: Während eines Matches, inklusive Pause, wird in Österreich die Größe der Spielfläche an Boden verbraucht. Aber was bedeutet "Flächenverbrauch"?

Gemeint ist damit der dauerhafte Verlust biologisch produktiven Bodens durch unter anderem Verbauung und Versiegelung für Siedlungs-, Verkehrs- und Freizeitzwecke.

Die Ausstellung Boden für Alle im Architekturzentrum Wien beschäftigt sich mit den Auswirkungen dieses ausufernden Verbrauchs und widmet sich unter anderem anhand vieler Zahlenspiele den sozialen, ökonomischen, ökologischen und rechtlichen Aspekten des Bodens. In der Ausstellung werden diese durch anschauliche Grafiken, Illustrationen, Animationen bis hin zu Fotostorys dargestellt.

Ein Kritiker hält uns allerdings vor, dass wir Laiinnen seien, und zwar auf dem Gebiet der Statistik. Er geht sogar einen Schritt weiter und fragt, ob wir Österreicher – der Kritiker ist aus dem süddeutschen Raum – tatsächlich so "bescheuert" seien, dass wir Vergleiche und Bilder brauchen und mit den trockenen Zahlen nichts anfangen können.

Angstschweiß und Zornesröte

Die Antwort muss wohl "Ja" lauten. Und trotzdem sind wir der Meinung, dass auch wir mit Zahlen hantieren dürfen, sogar müssen. Wer von uns kann sich unter "13 ha Flächenverbrauch pro Tag" irgendetwas vorstellen? Wen versetzen solche Zahlen in jene Alarmbereitschaft, die angesichts der Auswirkungen unseres Handelns angebracht wäre? Wir brauchen Vergleiche, die unsere Vorstellungskraft unterstützen. Der Seitenhieb auf die "bescheuerten Österreicher" ist aber auch aus geschichtlicher Hinsicht interessant: Vielleicht war es ja kein Zufall, dass Otto Neurath – ein Österreicher – die Wiener Methode der Bildstatistik erfand, die er später in Isotype umbenannte und die von hier aus ihren volksbildnerischen Siegeszug um die ganze Welt startete.

Um die dramatische Situation zu illustrieren, stellen wir hier ein paar Vergleiche an, die einigen Statistikern den Angstschweiß auf die Stirn und die Zornesröte ins Gesicht treiben werden: In Österreich werden pro Minute 37,44 Quadratmeter Boden versiegelt und damit täglich der Lebensraum von über elf Millionen Regenwürmern vernichtet. Pro Stunde werden 2,63 neue Gebäude fertiggestellt, wovon zwei Drittel Ein- oder Zweifamilienhäuser sind. Dabei gibt es hierzulande eigentlich schon genügend Häuser: Würde man alle Einwohner Österreichs auf die bereits existierenden Ein- und Zweifamilienhäuser verteilen, ergäbe das einen Schlüssel von 4,16 Bewohnern pro Wohneinheit. Kamen im Jahr 1937 noch 208,66 Einwohner auf ein Auto, so sind es 2019 nur noch 1,76. Die Anzahl der Autos ist seit 1937 um 15.567,13 Prozent gestiegen. Für all diese Autos braucht es Straßen und Parkflächen. In ganz Österreich entspricht das heute schon der fünffachen Fläche von Wien, und pro Minute kommt die Fläche eines kleinen Kinderzimmers dazu.

37,44 Quadratmeter Boden werden in Österreich pro Minute versiegelt

Diese flächenintensive Bautätigkeit geht auf Kosten von Grünraum: Im Jahr 2019 haben wir jede Minute 30,8 Quadratmeter Ackerfläche verloren oder alle zwei Minuten die Fläche eines Squashplatzes. Zwischen 1951 und 2016 ist die landwirtschaftlich genutzte Fläche Österreichs um beinahe die Größe der Steiermark zurückgegangen.

Wir können aber auch Vergleiche zur Beantwortung der Frage beitragen, warum sich die Bodenverbrauchsspirale immer nur nach oben dreht: In Österreich steigt der Wert des gesamten gewidmeten, aber nicht bebauten Baulands pro Sekunde um 745,78 Euro. Beim Vergleich der Anlageformen "Bausparvertrag" und "durchschnittliches Baugrundstück" erzielt Letztere in fünf Jahren 25-mal mehr Gewinn.

Ohne Maß und Ziel

Grundeigentümer in Kitzbühel können bei der Umwidmung von Grünland in Bauland eine Wertsteigerung von knapp 16.000 Prozent erreichen. Bei einem Verkauf müssen sie im besten Fall nur 4,2 Prozent Immobilienertragsteuer zahlen. Hingegen werden durchschnittlich verdienende unselbstständig tätige Österreicher bei einem Zuverdienst aus selbstständiger Nebentätigkeit mit einem Steuersatz von über 40 Prozent besteuert.

Diese Zahlenspiele sagen vor allem aus, dass wir ohne Maß und Ziel Fläche konsumieren. Sie sagen aber auch aus, dass unser Finanz- und Steuersystem diesem Verbrauch genügend Anreize bietet. Aber diese Fläche ist nicht nur eine zweidimensionale verplanbare und veräußerbare Größe. Diese Fläche ist auch Boden, ist Naturraum, Ernährungsgrundlage, Erholungsraum und jener Raum, den sich die anderen 99,99 Prozent Lebewesen aufteilen müssen.

Laut einer Studie der Ages wird der Klimawandel vor allem die heute fruchtbarsten Böden im Osten und Nordosten Österreichs hart treffen. Der zu erwartende Anstieg des Nahrungsmittelverbrauchs und das massiv sinkende Produktionspotenzial führen dazu, dass wir in naher Zukunft bei essenziellen Kulturarten keine Selbstversorgung mehr erreichen werden. Spätestens dann wird der Mensch merken, dass man weder Gold, Beton noch Asphalt essen kann.

Was übrigens nicht stimmt, ist die medial weitverbreitete Behauptung, Österreich sei Europameister im Flächenverbrauch. Grundsätzlich raten wir zu Misstrauen, wenn behauptet wird, Österreich sei in irgendeinem Bereich Europameister. (Karoline Mayer, Katharina Ritter, 27.06.2021)