Bariton Christian Gerhaher sang Schubert.

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Schon lange vor Ludwig Hirsch, Danzer und dem Nino gab es in Wien Liedermacher. Einer hieß Franz Schubert, und sein Gemüt war so weich wie ein Bademantel aus Frottee. Und so traf es sich gut, dass Christian Gerhaher im Konzerthaus Lieder von Schubert zu singen hatte, versteht es doch der Bayer, die nachgiebige Gefühlsgestalt dieser Lieder auf ideale Weise auszufüllen.

Denn Gerhaher ist im Liedgesang das, was Jessye Norman zu ihrer Zeit war: eine Klasse für sich, das Maß aller Dinge. Wie eine goldglänzende Kugel schwebt sein Bariton über den Dingen, der Schwerkraft enthoben. Und die Kugel, sie weitet und verkleinert sich oft blitzschnell, sie tänzelt und hüpft keck herum; immer geschmeidig und beweglich, verwandelt sich bei Bedarf in ein Schwert oder in einen Strom flüssigen Goldes.

Große Kultiviertheit

Gerhaher ist die Kultiviertheit in Person: eine Kultiviertheit, die sich auf Sensibilität gründet und der selbstverständlichen Beherrschung aller Umgangsformen. Umso unverständlicher, dass es Männer gibt, die dem befrackten Künstler während des Konzerts vorn im Mittelgang ihre bloßen Füße entgegenstrecken. 26 Schubert-Lieder sang Gerhaher, Vertonungen Schlegels, Goethes, Silberts und Mayrhofers. Er erzählte von Natur, Göttern und der Liebe.

Bei Goethe wurde es dramatisch, da bekam der Opernsänger Auslauf: ein Höhepunkt der Abendstern mit seinem Frage-Antwort-Spiel. Gerold Huber begleitete Gerhaher am Klavier wie ein Schatten, war ihm Sekundant in Gefühlsgefechten. Er fertigte Hintergrundmalereien an, bereitete Stimmungen vor und nach: balsamisch das sanfte Plätschern des Felsenquells in Mahomets Gesang, spinnwebzart das silbrige Nachspiel von An SchwagerKronos. Besser, gefühlsgenauer kann man es nicht machen. Schade einzig, dass das Programm sehr dicht war, dass Gefühlslandschaften im Eiltempo vorbeizogen. Trotzdem: ein unvergesslicher Abend. (Stefan Ender, 24.6.2021)