Eine moderne portugiesische Antigone (Sara Barros Leitão, rechts) wird auf das familiäre Mordhandwerk verpflichtet: ein wahrhaft abgründiger Disput, eine große Produktion.

Foto: Pedro Macedo

In naher Zukunft, "acht Jahre" nach Beendigung der Pandemie, hat sich Portugal gewissen Entwicklungstendenzen in Europa bedrückend deutlich angeglichen. Nicht weniger als 177 Abgeordnete der populistischen Rechten sollen mittlerweile in Lissabon im Parlament vertreten sein. Einer von ihnen sticht hervor: Er genießt ein in jeder Hinsicht besonderes Gastrecht. Auf der geräumigen Festwochen-Bühne in der Halle E (Museumsquartier) hat man den eleganten Neofaschisten an eine Festtafel gesetzt. Im Schatten eines Korkeichenwaldes wartet die gastgebende Familie auf den ultimativen Höhepunkt in jedem Kalenderjahr. An besagtem Tag wird ein waschechter Rechts-außen von ihr feierlich ins Jenseits befördert.

In Tiago Rodrigues’ Stück Catarina e a beleza de matar fascistas hören buchstäblich alle Mitglieder der mordgierigen Familie auf den Vornamen "Catarina". Die Verabredung dieser progressiven Blutsäufer beruht auf einer historischen Begebenheit von 1954: Damals wurde die reale Catarina Eufémina, eine Landarbeiterin, von Häschern der rechten Salazar-Diktatur ermordet. Die Frau des Täters schwor sich sodann, an jedem Todestag Catarinas einen Faschisten zu erschießen. Für jeden Hingemetzelten pflanzte die Sippe eine Eiche. Auch so kommt über die Jahre ein dichter, schattenspendender Wald zustande.

Absonderlicher Clan

Die dysfunktionale Familie bildet in dieser famosen Produktion des Teatro Nacional D. Maria II aus Lissabon einen reichlich absonderlichen Clan. Männer und Frauen tragen ohne Unterschied traditionelle Damenröcke. Die Vorbereitungen für das Schlachtfest vertreibt man sich mit dem Austausch von Bertolt-Brecht-Zitaten und mit der Erprobung von Schweinsfußrezepten – auch wenn die Jüngste nachdrücklich Verständnis für ihren Veganismus einfordert.

Die postulierte "Schönheit des Tötens von Faschisten" stößt indes an ethisch dringend gebotene Grenzen. Eine Volte, die man sich nur mit der Dialektik der Aufklärung erklären kann. "Tochter Catarina" (Sara Barros Leitão), die Nächste in der Überlieferungskette, verweigert mit dem Ernst einer lusitanischen Antigone die von ihr verlangte Abknallerei. Prompt prasselt eine Fülle von Überredungsversuchen auf die gewissensstarke Frau nieder. Mama liest ihr harsch die Leviten; ein schmeichlerischer Onkel erprobt an ihr sophistisch seine Überredungskünste. So oder so nützt das alles nichts: Am Schluss ist der entführte Faschist nicht nur quietschlebendig, sondern auch noch obenauf.

Endlose Tirade

Der beinahe dreistündige Abend nimmt erst in der letzten halben Stunde beklemmend Fahrt auf. Denn kaum weiß sich der entführte Populist seines Lebens endlich wieder sicher, lässt er – vielleicht auch aus Gründen der Kompensation – eine nicht enden wollende Tirade vom Stapel. "Der notwendige Wandel", den er als Demagoge mit reichlich Schaum vor dem Mund postuliert, gleicht einer Blütenlese: Dieser soeben noch Todgeweihte pflügt sich quer durch das degoutante populistische Standardprogramm.

Das reicht von der billigenden Inkaufnahme "häuslicher Gewalt" bis zur Diffamierung von Minderheiten und zur Restauration alter Autoritäten. Eine verblüffende, mit viel Eifer und noch mehr rhetorischem Geschick gehaltene Standpauke, die, von Regisseur Rodrigues beinhart kalkuliert, als Provokation ins Parkett hinüberschwappt (deutsche und englische Übersetzungen laufen synchron mit).

Schauspieler Romeu Costa würde in der Klubleitung jeder Partei von Ultrarechten eine glänzende Figur machen. Das Publikum hingegen reagierte schockiert. Behinderte den vermeintlichen Krawallbruder mit gezieltem Störapplaus oder stimmte Bella ciao an. Noch vor Ende des Monologs setzte ein Exodus ein: Es scheint, als ob das Wahrwerden schlimmster, nicht nur portugiesischer Befürchtungen selbst Wohlmeinende bis an den Rand des Erträglichen führt. Der Populist? Zog als Sieger von dannen, ehe auf der Bühne endgültig die Lichter ausgingen. Wenigstens von den Schweinsfüßen seiner Gastgeber hatte er nicht gekostet. (Ronald Pohl, 24.6.2021)