Die bunte Ausgelassenheit des Abends steht in Kontrast zu seinem ernsten Anliegen: demokratische Stabilität. Das lockert auf, schmälert aber nicht.

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Unzählige kleine, bunte Aufblaspinguine stehen über die Bühne verstreut; in ihrer Mitte eine Insel, aufgetürmt aus einer Aufblaspalme, einer Aufblasente, Aufblaspizza. Mit dem Streifenvorhang dahinter schaut das fast aus wie im Zirkus. Es müsste ein heiterer Abend werden! Fehlannahme. Zwar geht es bunt zu, und die Darsteller spielen Gitarre und singen dem Ventilator an der Decke schief ein Geburtstagsständchen. Aber das Thema von Four Days in September (The Missing Comrade) des thailändischen Theatermachers Wichaya Artamat ist ernst.

Denn der "Herr Deckenventilator", wie er ehrfürchtig genannt wird, "kooperiert" nicht, will heißen: Er hat keinen Ausschaltknopf. Bald ändert er erratisch die Richtung, kippt hin und her. Der vermeintliche Nonsens hat Hintersinn, steht das Ding doch für das thailändische Königshaus. Weil man dieses nicht ungestraft kritisieren darf, verklausuliert Artamat sein Anliegen: In der thailändischen Königshymne heiße es, der König sei der, der "unsere Köpfe kühl bewahrt", erklärt der Regisseur uns Westlern im Programmheft.

Siamesische Elefanten für Napoleon

Wie dem Westen überhaupt einiges an dieser von den Wiener Festwochen koproduzierten Uraufführung (auf Thai mit bestens getimten Übertiteln) erklärt wird. Der Schlaumeier im fünfköpfigen Ensemble beginnt zu diesem Zweck, die Geschichte des Landes im Austausch mit Europa aufzurollen. Siam entsandte etwa im Ersten Weltkrieg Soldaten nach Frankreich. Es waren aber schon zuvor Kanonen aus Siam beim Sturm auf die Bastille beteiligt, hören wir. Der siamesische König hatte sie Ludwig XIV. in der Hoffnung auf engere Beziehungen geschenkt. Später bekam Napoleon III. von einem Nachfolger zwei Elefanten in den Pariser Zoo überstellt.

Artamat flicht seine Botschaften in ein buntes Durcheinander ein. So wird einmal ein Hamster namens "Maus" gesucht. Der ist entlaufen und wird zur allgemeinen Erheiterung mit einer Hausratte Sex haben, was das Ensemble engagiert mit Aufblastieren nachstellt und mit dem Quietschen von Badeentchen simuliert. Der Kern der Szene steckt aber in einem nebenbei fallengelassenen Satz: Ein freigelassenes Tier will nicht in den Käfig zurück. Das gilt genauso sehr für Menschen.

Erinnern als politischer Akt

Ästhetisch unterscheidet sich das kaum von aktuellem westlichem Theater. Artamat, 1985 geboren, wird als einer der unkonventionellsten Regisseure Thailands gehandelt. Er ist Mitbegründer der Gruppe For What Theatre und hängt seine Stücke gerne an markanten Daten auf, um das Erinnern – als kollektiven Akt – zu thematisieren. 2019 war er mit This Song Father Used to Sing (Three Days in May) über Geschwister, die des toten Vaters gedenken, schon bei den Festwochen zu Gast.

Was dieser Abend ersehnt, ist eine stabile demokratische Regierung, wie sie der konstitutionellen Monarchie Thailand seit langem fehlt. Stattdessen gibt es Razzien, Demonstranten verschwinden (worauf der Untertitel des Stücks anspielt). Proteste werden auf der Bühne mit Platzpatronen niedergeschlagen. Die Darsteller rennen in einem Wechsel aus Putschen und Neuwahlen vor und zurück.

Eine Überraschung jagt die andere. Man sinniert über Schamhaare, einer versucht Übungen gegen seine Plattfüße. Allerdings versteht das westliche Publikum nicht alle Anspielungen so gut wie die auf den aktuellen König (wurde für bauchfreie Shirts bekannt). "Die Zeit ist auf unserer Seite", heißt es nach 90 Minuten schluchzend. Ein Abend mit großem Anliegen, der zudem Spaß macht. (Michael Wurmitzer, 24.6.2021)