Schopp: "Mancini hat mit alten Traditionen gebrochen."

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Hartberg – Selbstverständlich hat sich Markus Schopp alle bisherigen EM-Spiele der Italiener angeschaut, was ist das für eine Einstiegsfrage. Und selbstverständlich gerät auch der ehemalige ÖFB-Teamspieler und Italien-Legionär ins Schwärmen ob der Darbietungen der Squadra Azzurra. "Italien flog nach dem Verpassen der WM 2018 komplett unter dem Radar. Seitdem hat sich im Team viel verändert. Sie sind stark verjüngt, stabil und können auf jede Taktik des Gegners reagieren", sagt Schopp zum STANDARD.

Der 47-jährige Hartberg-Trainer kickte einst vier Jahre bei Brescia in der Serie A, hat den italienischen Fußball quasi inhaliert. Italien spielt ein 4-3-3-System, das sich im Ballbesitz zu einem 3-2-4-1 wandelt. Der größte Trumpf ist der offensive Dreizack mit Immobile, Insigne und Berardi. "Sie verändern aber ihre Grundordnung oft. Immobile holt sich sehr viele Bälle aus dem Mittelfeld, Barella und Jorginho sorgen für ein Gleichgewicht in der Mitte, in der Verteidigung ist fast wurscht, wer spielt, die sind alle gut."

Trainer Roberto Mancini ist für Schopp mutig, "weil er mit alten Traditionen gebrochen hat. Früher bestand das Grundgerüst aus Spielern der Großklubs." Mancini hat in seiner Ära 70 Spieler getestet, im Team stehen Akteure von Milan, Napoli oder Roma, aber auch von Sassuolo oder Torino. Nimmt man die Bank dazu, hat man Spieler aus der halben Liga im Kader.

Jeder Spieler zählt

Die Worte spektakulär und italienischer Fußball konnte man in der Vergangenheit selten zusammen verwenden. Jetzt spielt Italien so vertikal wie noch nie. "Sie sind unangenehm, weil du nicht weißt, wie sie es anlegen: Zweier- oder Dreieraufbau, wenn du sie hoch anläufst, finden sie Lösungen, weil sie technisch versiert sind. Es passieren kaum schwere Ballverluste, das macht ein Umschaltspiel gegen sie schwerer. Es ist ein geiler Fußball."

Die Italiener sind das erste Team, das bei einer EM die Gruppenphase ohne Gegentor durchlief. Dafür brauchte es aber weniger Catenaccio als gute Laune innerhalb der Mannschaft. In den bisherigen drei Partien hat es Mancini geschafft, allen 23 Feldspielern im Kader Einsatzzeit zu geben. Er fördert das Erlebnis und vernachlässigt nicht das Ergebnis. Eine Kunst? "Es bedarf einer klaren Idee, an die jeder Spieler glaubt. Sie haben dreimal in Rom gespielt, das entfacht zusätzliche Energie. Das ÖFB-Team ist die Auswärtskulisse gewohnt, das spricht in London für Österreich."

Die größte Stärke der Foda-Elf sieht Schopp in der Breite des Kaders, in seiner Variabilität. "Ein Grillitsch hat das Zentrum gegen die Ukraine mit und ohne Ball dermaßen dominiert. Ich weiß nicht, ob wir jemals eine Mannschaft hatten, in der Spieler auf jeder Position den Unterschied ausmachen können. Die Frage ist, ob das am Samstag in London auch alle im Kollektiv abrufen können."

Zum vierten Mal nach 1978, 1990 und 2000 gewannen die Azzurri alle Gruppenspiele einer Endrunde. Ex-Teamchef Marcelo Lippi vergleicht den Teamgeist bereits mit jenem der Mannschaft, die 2006 Weltmeister wurde.

Hartberg-Coach Schopp sieht generell ein hohes Niveau bei der Euro, von einer Neuausrichtung des modernen Fußballs will er aber nicht sprechen: "Ich bin immer vorsichtig mit diesem Begriff. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es sich oft um die Wiederkehr von bereits gesehenen Dingen handelt und nicht immer um Neuerfundenes." (Florian Vetter, 25.6.2021)